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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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gewährt zwar die Einweisung der öffentlichen Behörden, aber der 78, gibt die
Erlaubniß, Stiftungen oder Schenkungen in absoluter Weise ohne Dazwischen¬
tritt der Gesetzgebung verwalten und vertheilen zu lassen. Hierin lag die
Hauptgefahr. DaS faidersche Gesetz hatte der öffentlichen Wohlrhäligkeit
durchweg das Uebergewicht gelassen, der nothomb - malousche Entwurf be¬
gnügte sich mit einigen Garantien gegen den Mißbrauch, welche man, wie die
Gegner mit Recht behaupteten, zu umgehen suchen und welchen man zu ent¬
gehen wissen würde.

Die Zwischenzeit zwischen der Einreichung des malouschen Berichts und
dem Beginn der eigentlichen Berathung in den Kammern -- Mitte Decem¬
ber bis Mitte April -- wurde von beiden Parteien benutzt, um im Volke Sym-
pathien für ihre Ansicht von dem Gesetz hervorzurufen. Die Linke war sich nach
dem Ausfall der letzten Wahlen und nach den Debatten über die Adresse klar,
daß sie mit ihrer Opposition gegen das Cabinet unterliegen würde. Dagegen
konnte sie hoffen, die Mehrheit der Belgier außerhalb der Kammer, wenigstens
die Mehrheit derer, welche in politischen Dingen überhaupt mitzählen, für sich
zu gewinnen. Die Hirtenbriefe der Bischöfe von Gent und Brügge hatten
den Argwohn deö Volkes namentlich in den Städten rege gemacht und einen
empfänglichen Boden für antiklerikale Saaten geschaffen. Die malousche
Empfehlung des nvthombschen Entwurfs hatte den Argwohn beträchtlich ge¬
schärft. Die Flugschriften und Zeitungsartikel, in denen jetzt die Consequenzen'
des Gesetzes aufgezeigt wurden, riefen daher eine Aufregung hervor, wie sie
in Belgien seit Jahren nicht erhört war. ES konnte kaum in der Absicht der
Liberalen liegen, durch Agitirung des Landes die Vertagung der Berathungen
über den Gesetzvorschlag oder gar die Beiseitelegung desselben zu veran¬
lassen; sie wußten, daß sie es mit starken und hartnäckigen Gegnern zu thun
hatten. Sie dachten unzweifelhaft mehr an die Zukunft, als an die Gegenwart.
Sie wollten die Grundlage ausdehnen, auf welcher sie ihre künftige Herrschaft
zu erbauen dachten und dies gelang, als zu den Darstellungen der Natur deS
Gesetzes in der Presse das lebendige Wort von der Rednerbühne der Kammer
kam, über Erwarten. Sehr bald wurde von dem Wohlthätigkeitögesetz von
einem Ende des Landes zum andern nur noch als von einem "Klostergesetz",
einem "Kapuzinergesetz" gesprochen.

In der vorletzten Woche des April eröffnete Nothomb die Verhandlungen
über sein Gesetz mit einer langen Vertheidigungsrede für seine Nützlichkeit, welche
begreiflicherweise nur diejenigen überzeugte, die zu überzeugen überflüssig war.
Mehr als zwanzig Sitzungen vergingen mit weitläufigen Erörterungen von
Vorfragen, wobei die Redner der Linken reichliche Gelegenheit fanden, die
Rolle, welche die Ultramontanen auf dem fraglichen Gebiete im Lauf der Ge¬
schichte gespielt, zu charakterisiren. Eine Unzahl von Ungebührlichkeilen und


gewährt zwar die Einweisung der öffentlichen Behörden, aber der 78, gibt die
Erlaubniß, Stiftungen oder Schenkungen in absoluter Weise ohne Dazwischen¬
tritt der Gesetzgebung verwalten und vertheilen zu lassen. Hierin lag die
Hauptgefahr. DaS faidersche Gesetz hatte der öffentlichen Wohlrhäligkeit
durchweg das Uebergewicht gelassen, der nothomb - malousche Entwurf be¬
gnügte sich mit einigen Garantien gegen den Mißbrauch, welche man, wie die
Gegner mit Recht behaupteten, zu umgehen suchen und welchen man zu ent¬
gehen wissen würde.

Die Zwischenzeit zwischen der Einreichung des malouschen Berichts und
dem Beginn der eigentlichen Berathung in den Kammern — Mitte Decem¬
ber bis Mitte April — wurde von beiden Parteien benutzt, um im Volke Sym-
pathien für ihre Ansicht von dem Gesetz hervorzurufen. Die Linke war sich nach
dem Ausfall der letzten Wahlen und nach den Debatten über die Adresse klar,
daß sie mit ihrer Opposition gegen das Cabinet unterliegen würde. Dagegen
konnte sie hoffen, die Mehrheit der Belgier außerhalb der Kammer, wenigstens
die Mehrheit derer, welche in politischen Dingen überhaupt mitzählen, für sich
zu gewinnen. Die Hirtenbriefe der Bischöfe von Gent und Brügge hatten
den Argwohn deö Volkes namentlich in den Städten rege gemacht und einen
empfänglichen Boden für antiklerikale Saaten geschaffen. Die malousche
Empfehlung des nvthombschen Entwurfs hatte den Argwohn beträchtlich ge¬
schärft. Die Flugschriften und Zeitungsartikel, in denen jetzt die Consequenzen'
des Gesetzes aufgezeigt wurden, riefen daher eine Aufregung hervor, wie sie
in Belgien seit Jahren nicht erhört war. ES konnte kaum in der Absicht der
Liberalen liegen, durch Agitirung des Landes die Vertagung der Berathungen
über den Gesetzvorschlag oder gar die Beiseitelegung desselben zu veran¬
lassen; sie wußten, daß sie es mit starken und hartnäckigen Gegnern zu thun
hatten. Sie dachten unzweifelhaft mehr an die Zukunft, als an die Gegenwart.
Sie wollten die Grundlage ausdehnen, auf welcher sie ihre künftige Herrschaft
zu erbauen dachten und dies gelang, als zu den Darstellungen der Natur deS
Gesetzes in der Presse das lebendige Wort von der Rednerbühne der Kammer
kam, über Erwarten. Sehr bald wurde von dem Wohlthätigkeitögesetz von
einem Ende des Landes zum andern nur noch als von einem „Klostergesetz",
einem „Kapuzinergesetz" gesprochen.

In der vorletzten Woche des April eröffnete Nothomb die Verhandlungen
über sein Gesetz mit einer langen Vertheidigungsrede für seine Nützlichkeit, welche
begreiflicherweise nur diejenigen überzeugte, die zu überzeugen überflüssig war.
Mehr als zwanzig Sitzungen vergingen mit weitläufigen Erörterungen von
Vorfragen, wobei die Redner der Linken reichliche Gelegenheit fanden, die
Rolle, welche die Ultramontanen auf dem fraglichen Gebiete im Lauf der Ge¬
schichte gespielt, zu charakterisiren. Eine Unzahl von Ungebührlichkeilen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/500>, abgerufen am 23.07.2024.