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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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interessirte, über die oft gehörte Behauptung, der Materialismus sei im
Handwerkerstande allgemein vertreten, etwas Näheres zu erfahren, so hielt
ich bald darauf vor dem zahlreichen Publicum einen Vortrag über Leib und
Seele und> suchte besonders die Schwächen des Materialismus aufzudecken.
AIS ich ausgesprochen hatte und zum Meinungsaustausch aufforderte, war ich
bald von einem Kreis meiner Zuhörer umgeben. Allerdings stieß ich aus
manchen eifrigen Anhänger der Grundsätze MoleschottS; allein bei Vielen
schien auch meine Ansicht Eingang zu finden, die Ansicht nämlich, daß
dieses Problem wie viele andere jenseits unserer Erkenntnißgrenzen liege, und
daß die Materialisten gar nicht fähig seien, die Richtigkeit ihrer Meinung zu
beweisen.

Auch hier wie in so manchen andern Punkten ist Hamburg ein Ort, an
dem man in Deutschland noch lernen kann, wie manches Gute socialer Zu¬
stände sich aus sich selbst zu einem nützlichen Ziele entwickelt, wenn man nur
ein wenig Zeit und Bewegung läßt. Alle diese genannten Institute sind ja
der Privatthätigkeit entsprossene Zeichen eines erfreulichen geistigen BildungS-
drangeS.

Fraglich kann es sein, ob man auch die Güte der mannigfaltigen hiesigen
Leihbibliotheken zu diesen Zeichen rechnen darf.' Dieselben weisen allerdings
in ihren Katalogen einen gediegenen Büchervorrath auf, und zeichnen sich
hierdurch sowol wie durch ihren Umfang vor den berliner Leihbibliotheken
aus. Das scheint zu Gunsten unserer Stadt zu sprechen, ist aber zunächst
schon deshalb Täuschung, weil in Berlin die sogenannten Volksbibliotheken
in den verschiedenen Stadttheilen die gediegene Seite unserer Leihbibliotheken
repräsentiren. Sodann aber laßt sich behaupten, und wird nicht selten be-,
hauptet, die Güte der Leihbibliotheken sei grade ein Zeichen geringen geistigen
Interesses einer Stadt. Sie beweise, daß nur für wenige Leute der Besitz
einer eignen Bibliothek werthvoll sei. Unleugbar ist es, daß in Hamburg
nicht selten die feinsten Damen ihre Lectüre aus der Leihbibliothek holen, weil
ihnen eigene Bücher fehle". Den Stolz der Engländer auf eine eigene
Bibliothek kennen unsere reichen Leute allerdings oftmals nicht. Allein man
braucht nur in den letzten Jahren Or. Hoffmanns Aufsätze im Serapeum "über
Hamburger Bücherfreunde" gesehen zu haben, um zu wissen, daß es auch
unter den Kaufleuten beachtenswerthe Ausnahmen gab, wie z. B. die
Brüder Ramevcr, deren bedeutende Sammlung portugiesischer und spanischer
Werke Lessing rühmte. Sie gaben ihm hier Gelegenheit, sich mit spanischer
Bühnendichtung vertraut zu machen.

Für einen Platz so bedeutenden Weltverkehres, wie Hamburg ihn
unterhält, hat natürlich die schnelle Kunde von Weltereignissen eine ganz be¬
sondere Bedeutung. Schon das Geschäftsinteresse führt die Kaufleute dahin,


interessirte, über die oft gehörte Behauptung, der Materialismus sei im
Handwerkerstande allgemein vertreten, etwas Näheres zu erfahren, so hielt
ich bald darauf vor dem zahlreichen Publicum einen Vortrag über Leib und
Seele und> suchte besonders die Schwächen des Materialismus aufzudecken.
AIS ich ausgesprochen hatte und zum Meinungsaustausch aufforderte, war ich
bald von einem Kreis meiner Zuhörer umgeben. Allerdings stieß ich aus
manchen eifrigen Anhänger der Grundsätze MoleschottS; allein bei Vielen
schien auch meine Ansicht Eingang zu finden, die Ansicht nämlich, daß
dieses Problem wie viele andere jenseits unserer Erkenntnißgrenzen liege, und
daß die Materialisten gar nicht fähig seien, die Richtigkeit ihrer Meinung zu
beweisen.

Auch hier wie in so manchen andern Punkten ist Hamburg ein Ort, an
dem man in Deutschland noch lernen kann, wie manches Gute socialer Zu¬
stände sich aus sich selbst zu einem nützlichen Ziele entwickelt, wenn man nur
ein wenig Zeit und Bewegung läßt. Alle diese genannten Institute sind ja
der Privatthätigkeit entsprossene Zeichen eines erfreulichen geistigen BildungS-
drangeS.

Fraglich kann es sein, ob man auch die Güte der mannigfaltigen hiesigen
Leihbibliotheken zu diesen Zeichen rechnen darf.' Dieselben weisen allerdings
in ihren Katalogen einen gediegenen Büchervorrath auf, und zeichnen sich
hierdurch sowol wie durch ihren Umfang vor den berliner Leihbibliotheken
aus. Das scheint zu Gunsten unserer Stadt zu sprechen, ist aber zunächst
schon deshalb Täuschung, weil in Berlin die sogenannten Volksbibliotheken
in den verschiedenen Stadttheilen die gediegene Seite unserer Leihbibliotheken
repräsentiren. Sodann aber laßt sich behaupten, und wird nicht selten be-,
hauptet, die Güte der Leihbibliotheken sei grade ein Zeichen geringen geistigen
Interesses einer Stadt. Sie beweise, daß nur für wenige Leute der Besitz
einer eignen Bibliothek werthvoll sei. Unleugbar ist es, daß in Hamburg
nicht selten die feinsten Damen ihre Lectüre aus der Leihbibliothek holen, weil
ihnen eigene Bücher fehle». Den Stolz der Engländer auf eine eigene
Bibliothek kennen unsere reichen Leute allerdings oftmals nicht. Allein man
braucht nur in den letzten Jahren Or. Hoffmanns Aufsätze im Serapeum „über
Hamburger Bücherfreunde" gesehen zu haben, um zu wissen, daß es auch
unter den Kaufleuten beachtenswerthe Ausnahmen gab, wie z. B. die
Brüder Ramevcr, deren bedeutende Sammlung portugiesischer und spanischer
Werke Lessing rühmte. Sie gaben ihm hier Gelegenheit, sich mit spanischer
Bühnendichtung vertraut zu machen.

Für einen Platz so bedeutenden Weltverkehres, wie Hamburg ihn
unterhält, hat natürlich die schnelle Kunde von Weltereignissen eine ganz be¬
sondere Bedeutung. Schon das Geschäftsinteresse führt die Kaufleute dahin,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/429>, abgerufen am 23.07.2024.