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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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der Absicht, den Leidenschaften der Massen eine Richtung zu geben, in der sie
ohne Gefahr für den Thron austoben konnten. Mochte Nero oder Marc
Aurel die Welt beherrschen, mochte das Reich ruhig oder von Aufruhr und
Bürgerkrieg zerrüttet sein, die Barbaren sich über die Grenzen ergießen, oder
von den römischen Heeren zurückgetrieben werden, zu Rom war für Hohe und
Niedrige, Freie und Sklaven, Männer und Frauen, die Frage, ob die Blauen
oder Grünen siegen würden, immer von derselben Wichtigkeit und der Gegen¬
stand unzähliger Gespräche, Streitigkeiten und Wetten. Das Christenthum
entthronte die alten Götter, denen zu Ehren die Circusspicle waren gefeiert
worden, die Völkerwanderung wälzte sich über das römische Reich und schlug
es in Trümmer, aber zu Rom kämpften die Parteien noch immer mit der
alten Leidenschaft um den Vorrang im Circus. Auch die Christen ließen sich
durch die Ermahnungen ihrer Prediger nicht von dem Besuch des Schauspiels
zurückhalten. Sie wandten ein, daß man die Ergötzlichkeite", die Gottes
Güte gewährt habe, nicht verschmähen dürfe, ja sie beriefen sich auf die hei¬
lige Schrift und führten an, Elias sei auf einem Wagen gen Himmel ge¬
fahren, folglich könne die Kunst des Wagenlenkens nicht sündhaft sein und tgi.
Vollends als die heidnischen 'Gebräuche des Circus abgeschafft, nament¬
lich die Götterbilder und kleinen Kapellen aus der Bahn entfernt waren und
die Processtonen von Götterbildern, mit denen die Spiele eingeleitet wurden, auf¬
gehört hatten, da fanden die strengen Geistlichen, die noch immer die Theil¬
nahme an diesen Lustbarkeiten für sündlich erklärten, wol bei den wenigsten
Anklang. Im sechsten Jahrhundert schilderte Casstodor, der Secretär des
Gvthentonigs Theoderich, das Treiben der Rennbahn noch ganz so wie wir es
aus den Schriftstellern der frühern Kaiserzeit kennen. Gewann der Grüne
den Vorsprung, so trauerte die eine Hälfte des Volks, war es der Blaue, so
war die andere niedergeschlagen. Hader, Zwietracht und blutige Auftritte
waren die unvermeidliche Folge dieser Parteiungen. Zur Kulmination gelangte
übrigens das Factioneuwesen bekanntlich nicht in Rom, sondern in Konstan¬
tinopel, nachdem durch den Beitritt der beiden schwächer!! Parteien (weiß und
roth) zu den beiden stärkern (grün und blau) das Parteiinteresse sich auf diese
letztern concentrirt hatte. Hier nahm die Parteispaltung einen religiösen und
politischen Charakter an, und bildete sich zu einer Art von epidemischer Krank¬
heit aus, die dem gesammten StaalsorgciniSmus Gefahr drohte. Der soge¬
nannte Nikaaufruhr, der im Jahr S32 im Circus von Konstantinopel ent¬
brannte, hätte Justinian Thron und Leben gekostet, wäre er nicht durch die
Geistesgegenwart seiner Gemahlin Theodora und durch BelisarS Treue ge¬
rettet worden, dreißigtausend Menschen sollen dabei ums Leben gekommen sein-

Wie oben bemerkt, hatten auch die Kaiser an der Absorbirung der Inter¬
essen durch den Circus ein wesentliches Interesse. Das berühmte xanem et


der Absicht, den Leidenschaften der Massen eine Richtung zu geben, in der sie
ohne Gefahr für den Thron austoben konnten. Mochte Nero oder Marc
Aurel die Welt beherrschen, mochte das Reich ruhig oder von Aufruhr und
Bürgerkrieg zerrüttet sein, die Barbaren sich über die Grenzen ergießen, oder
von den römischen Heeren zurückgetrieben werden, zu Rom war für Hohe und
Niedrige, Freie und Sklaven, Männer und Frauen, die Frage, ob die Blauen
oder Grünen siegen würden, immer von derselben Wichtigkeit und der Gegen¬
stand unzähliger Gespräche, Streitigkeiten und Wetten. Das Christenthum
entthronte die alten Götter, denen zu Ehren die Circusspicle waren gefeiert
worden, die Völkerwanderung wälzte sich über das römische Reich und schlug
es in Trümmer, aber zu Rom kämpften die Parteien noch immer mit der
alten Leidenschaft um den Vorrang im Circus. Auch die Christen ließen sich
durch die Ermahnungen ihrer Prediger nicht von dem Besuch des Schauspiels
zurückhalten. Sie wandten ein, daß man die Ergötzlichkeite», die Gottes
Güte gewährt habe, nicht verschmähen dürfe, ja sie beriefen sich auf die hei¬
lige Schrift und führten an, Elias sei auf einem Wagen gen Himmel ge¬
fahren, folglich könne die Kunst des Wagenlenkens nicht sündhaft sein und tgi.
Vollends als die heidnischen 'Gebräuche des Circus abgeschafft, nament¬
lich die Götterbilder und kleinen Kapellen aus der Bahn entfernt waren und
die Processtonen von Götterbildern, mit denen die Spiele eingeleitet wurden, auf¬
gehört hatten, da fanden die strengen Geistlichen, die noch immer die Theil¬
nahme an diesen Lustbarkeiten für sündlich erklärten, wol bei den wenigsten
Anklang. Im sechsten Jahrhundert schilderte Casstodor, der Secretär des
Gvthentonigs Theoderich, das Treiben der Rennbahn noch ganz so wie wir es
aus den Schriftstellern der frühern Kaiserzeit kennen. Gewann der Grüne
den Vorsprung, so trauerte die eine Hälfte des Volks, war es der Blaue, so
war die andere niedergeschlagen. Hader, Zwietracht und blutige Auftritte
waren die unvermeidliche Folge dieser Parteiungen. Zur Kulmination gelangte
übrigens das Factioneuwesen bekanntlich nicht in Rom, sondern in Konstan¬
tinopel, nachdem durch den Beitritt der beiden schwächer!! Parteien (weiß und
roth) zu den beiden stärkern (grün und blau) das Parteiinteresse sich auf diese
letztern concentrirt hatte. Hier nahm die Parteispaltung einen religiösen und
politischen Charakter an, und bildete sich zu einer Art von epidemischer Krank¬
heit aus, die dem gesammten StaalsorgciniSmus Gefahr drohte. Der soge¬
nannte Nikaaufruhr, der im Jahr S32 im Circus von Konstantinopel ent¬
brannte, hätte Justinian Thron und Leben gekostet, wäre er nicht durch die
Geistesgegenwart seiner Gemahlin Theodora und durch BelisarS Treue ge¬
rettet worden, dreißigtausend Menschen sollen dabei ums Leben gekommen sein-

Wie oben bemerkt, hatten auch die Kaiser an der Absorbirung der Inter¬
essen durch den Circus ein wesentliches Interesse. Das berühmte xanem et


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[0392] der Absicht, den Leidenschaften der Massen eine Richtung zu geben, in der sie ohne Gefahr für den Thron austoben konnten. Mochte Nero oder Marc Aurel die Welt beherrschen, mochte das Reich ruhig oder von Aufruhr und Bürgerkrieg zerrüttet sein, die Barbaren sich über die Grenzen ergießen, oder von den römischen Heeren zurückgetrieben werden, zu Rom war für Hohe und Niedrige, Freie und Sklaven, Männer und Frauen, die Frage, ob die Blauen oder Grünen siegen würden, immer von derselben Wichtigkeit und der Gegen¬ stand unzähliger Gespräche, Streitigkeiten und Wetten. Das Christenthum entthronte die alten Götter, denen zu Ehren die Circusspicle waren gefeiert worden, die Völkerwanderung wälzte sich über das römische Reich und schlug es in Trümmer, aber zu Rom kämpften die Parteien noch immer mit der alten Leidenschaft um den Vorrang im Circus. Auch die Christen ließen sich durch die Ermahnungen ihrer Prediger nicht von dem Besuch des Schauspiels zurückhalten. Sie wandten ein, daß man die Ergötzlichkeite», die Gottes Güte gewährt habe, nicht verschmähen dürfe, ja sie beriefen sich auf die hei¬ lige Schrift und führten an, Elias sei auf einem Wagen gen Himmel ge¬ fahren, folglich könne die Kunst des Wagenlenkens nicht sündhaft sein und tgi. Vollends als die heidnischen 'Gebräuche des Circus abgeschafft, nament¬ lich die Götterbilder und kleinen Kapellen aus der Bahn entfernt waren und die Processtonen von Götterbildern, mit denen die Spiele eingeleitet wurden, auf¬ gehört hatten, da fanden die strengen Geistlichen, die noch immer die Theil¬ nahme an diesen Lustbarkeiten für sündlich erklärten, wol bei den wenigsten Anklang. Im sechsten Jahrhundert schilderte Casstodor, der Secretär des Gvthentonigs Theoderich, das Treiben der Rennbahn noch ganz so wie wir es aus den Schriftstellern der frühern Kaiserzeit kennen. Gewann der Grüne den Vorsprung, so trauerte die eine Hälfte des Volks, war es der Blaue, so war die andere niedergeschlagen. Hader, Zwietracht und blutige Auftritte waren die unvermeidliche Folge dieser Parteiungen. Zur Kulmination gelangte übrigens das Factioneuwesen bekanntlich nicht in Rom, sondern in Konstan¬ tinopel, nachdem durch den Beitritt der beiden schwächer!! Parteien (weiß und roth) zu den beiden stärkern (grün und blau) das Parteiinteresse sich auf diese letztern concentrirt hatte. Hier nahm die Parteispaltung einen religiösen und politischen Charakter an, und bildete sich zu einer Art von epidemischer Krank¬ heit aus, die dem gesammten StaalsorgciniSmus Gefahr drohte. Der soge¬ nannte Nikaaufruhr, der im Jahr S32 im Circus von Konstantinopel ent¬ brannte, hätte Justinian Thron und Leben gekostet, wäre er nicht durch die Geistesgegenwart seiner Gemahlin Theodora und durch BelisarS Treue ge¬ rettet worden, dreißigtausend Menschen sollen dabei ums Leben gekommen sein- Wie oben bemerkt, hatten auch die Kaiser an der Absorbirung der Inter¬ essen durch den Circus ein wesentliches Interesse. Das berühmte xanem et

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/392>, abgerufen am 23.07.2024.