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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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lauter den ersten gewaltigen Grundstein zu ihrem indischen Reiche gelegt hatten,
und das ihn nöthigt, in seiner eigenen Person die blutige Vollendung dieses
Gebäudes abzuschließen! Ob Delhi früher zu nehmen war? Truge nicht alles,
so war diese Möglichkeit unmittelbar nach dem Aufstände in Mirut gegeben,
und die Bevölkerung von Delhi selbst scheint im ersten Moment nichts Anderes
erwartet zu haben. Aber Unfähigkeit und Willenlosigkeit regierte zu Mirut,
das eine ziemlich starke europäische Besatzung hatte, und nichts mehr als dieses
Zeichen wirklicher Schwäche scheint dem Aufstand seine unheilvolle Ausdehnung
gegeben zu haben. Wir sind auch jetzt, nachdem so vielerlei auch im ent¬
gegengesetzten Sinne geschrieben worden, der Meinung, daß eine planmäßig
verabredete Verschwörung zur Zeit der Erhebung nicht stattgefunden hat.
Die Regimenter folgten dem gegebenen Beispiel anderer Regimenter, und manches
darunter, wie es scheint ungern genug, sei es im Drang der Begebenheiten,
sei es direct dazu veranlaßt durch das allgemein veranlaßte Mißtrauen der
Europäer. Die Engländer haben an vielen Stellen, besonders in den ersten
Momenten des Aufstandes, nicht den allen Ruhm ihrer Besoun'enden und
Thatkraft bewährt. Taktlosigkeit, Dummheit, mitunter auch Mangel an Muth
haben hie und da zu den traurigsten Episoden geführt. Unter ihnen steht vor
allem die Affaire von Dinapur hervor, wo ein altersschwacher General dem
Aufstand alle erforderliche Zeit ließ sich zu organisiren, so daß die Meuterer
eine englische Abtheilung gradezu überfallen und fast vernichten konnten.
Die Tragödie von Cawnpore, die Belagerung von Lakuo, so wie die allgemeine
DeSorganisirung im einstigen Königreiche Audh sind die directen Folgen dieses
unbegreiflichen Fehlers. Aber Hai die Negierung weniger gesündigt, daß sie
einen gichtischen und wie aus der von ihm unternommenen Vertheidigung
hervorgeht, eigensinnigen und von sich eingenommenen Mann an so verant¬
wortlicher Stelle ließ? Ueberhaupt scheint Kalkutta sich als der würdige
Ort einer Regierung gezeigt zu haben, welche aus dem Schlendrian und ans
eigensinniger Rechthaberei ein wenig erbauliches Handwerk gemacht hat. Wir
wollen hier nur an jnie Proclamation des Generalgonvcrneurö erinnern, welche
nicht solvol nach ihrem Inhalte, als wegen der ganzen unzeitgemäßer Veröffentli¬
chung bei der gesammte" englischen Presse einen Sturm des Unwillens hervorgerufen
hat und die jedenfalls nicht geeignet war, die Stimmung und die Energie des
britischen Heeres zu erhöhen. Aber viel merkwürdiger ist noch, daß es den
kalkulier Einflüssen gelungen zu sein scheint, die Energie der Heeresleitung
möglichst zu lahmen. Als Anson gestorben war. erzählten englische Blätter
viel von der Tüchtigkeit deö nen ernannten Oberbefehlshabers Sir Patrick
Grant. Man hat aber seitdem nichts weiter von ihm gehört, als daß er bei
der Ankunft seines Nachfolgers seine herzliche Freude darüber ausgedrückt
haben soll, eine Stelle nicht mehr zu bekleiden, die zwar Verantwortlichkeit,


lauter den ersten gewaltigen Grundstein zu ihrem indischen Reiche gelegt hatten,
und das ihn nöthigt, in seiner eigenen Person die blutige Vollendung dieses
Gebäudes abzuschließen! Ob Delhi früher zu nehmen war? Truge nicht alles,
so war diese Möglichkeit unmittelbar nach dem Aufstände in Mirut gegeben,
und die Bevölkerung von Delhi selbst scheint im ersten Moment nichts Anderes
erwartet zu haben. Aber Unfähigkeit und Willenlosigkeit regierte zu Mirut,
das eine ziemlich starke europäische Besatzung hatte, und nichts mehr als dieses
Zeichen wirklicher Schwäche scheint dem Aufstand seine unheilvolle Ausdehnung
gegeben zu haben. Wir sind auch jetzt, nachdem so vielerlei auch im ent¬
gegengesetzten Sinne geschrieben worden, der Meinung, daß eine planmäßig
verabredete Verschwörung zur Zeit der Erhebung nicht stattgefunden hat.
Die Regimenter folgten dem gegebenen Beispiel anderer Regimenter, und manches
darunter, wie es scheint ungern genug, sei es im Drang der Begebenheiten,
sei es direct dazu veranlaßt durch das allgemein veranlaßte Mißtrauen der
Europäer. Die Engländer haben an vielen Stellen, besonders in den ersten
Momenten des Aufstandes, nicht den allen Ruhm ihrer Besoun'enden und
Thatkraft bewährt. Taktlosigkeit, Dummheit, mitunter auch Mangel an Muth
haben hie und da zu den traurigsten Episoden geführt. Unter ihnen steht vor
allem die Affaire von Dinapur hervor, wo ein altersschwacher General dem
Aufstand alle erforderliche Zeit ließ sich zu organisiren, so daß die Meuterer
eine englische Abtheilung gradezu überfallen und fast vernichten konnten.
Die Tragödie von Cawnpore, die Belagerung von Lakuo, so wie die allgemeine
DeSorganisirung im einstigen Königreiche Audh sind die directen Folgen dieses
unbegreiflichen Fehlers. Aber Hai die Negierung weniger gesündigt, daß sie
einen gichtischen und wie aus der von ihm unternommenen Vertheidigung
hervorgeht, eigensinnigen und von sich eingenommenen Mann an so verant¬
wortlicher Stelle ließ? Ueberhaupt scheint Kalkutta sich als der würdige
Ort einer Regierung gezeigt zu haben, welche aus dem Schlendrian und ans
eigensinniger Rechthaberei ein wenig erbauliches Handwerk gemacht hat. Wir
wollen hier nur an jnie Proclamation des Generalgonvcrneurö erinnern, welche
nicht solvol nach ihrem Inhalte, als wegen der ganzen unzeitgemäßer Veröffentli¬
chung bei der gesammte» englischen Presse einen Sturm des Unwillens hervorgerufen
hat und die jedenfalls nicht geeignet war, die Stimmung und die Energie des
britischen Heeres zu erhöhen. Aber viel merkwürdiger ist noch, daß es den
kalkulier Einflüssen gelungen zu sein scheint, die Energie der Heeresleitung
möglichst zu lahmen. Als Anson gestorben war. erzählten englische Blätter
viel von der Tüchtigkeit deö nen ernannten Oberbefehlshabers Sir Patrick
Grant. Man hat aber seitdem nichts weiter von ihm gehört, als daß er bei
der Ankunft seines Nachfolgers seine herzliche Freude darüber ausgedrückt
haben soll, eine Stelle nicht mehr zu bekleiden, die zwar Verantwortlichkeit,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/362>, abgerufen am 23.07.2024.