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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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gegossenen Wunderpracht ärmlich und gemein erschiene. Dieses Märchens
mag man gedenken, wenn man versucht, aus unermeßlichen Trümmern sich
ein Bild von der überschwenglichen Fülle künstlerischen Schmucks herauszu¬
rufen, in der die größern und reichern Städte des römischen Reichs prangten
und damit die modernen Versuche vergleicht, das öffentliche Leben so wie die
Existenz im Innern des Hauses durch Zierden der Kunst zu verschönern, die
jenem sinnverwirrenden Reichthum gegenüber in Nichts verschwindet.

Um sich eine annähernde Vorstellung von dem kolossalen Kunstbedürfniß
und der kolossalen Beschäftigung der.bildenden Künste in der römischen Kaiser¬
zeit zu machen (wobei wir zunächst nur an Malerei und Sculptur denken),
muß man die Hauptzwecke, für die sie in Anspruch genommen wurden, sich
vergegenwärtigen. Ihre Thätigkeit war eine überwiegend decorative. Die
Werke, die sie schufen, sollten zum allergrößten Theil nicht in selbstständiger,
in sich abgeschlossener Herrlichkeit die Betrachtung anziehen und fesseln, son¬
dern als dienende Glieder an ein Ganzes sich anschließen, die Wirkung be¬
deutender Monumente, namentlich Architekturen, erhöhen, leere Räume fül¬
len, dem schweifenden Blick einen angenehmen Ruhepunkt, eine flüchtige
Unterhaltung, der Lust an Formen und Farben eine immer neue Nahrung
bieten. Nirgend, am wenigsten in Rom, erhob sich ein bedeutender öffentlicher
Bau, zu dessen Verzierung nicht der Meißel des Bildhauers in Anspruch ge¬
nommen worden wäre, neben dem nach Bedürfniß auch der Maler, der Stuk¬
kateur, der Mosaicist thätig waren. Statuengruppen art Reliefs füllten die
Frontvns der Tem'pel, Statuen standen zwischen den Säulen und in den Ni¬
schen der Theater und Amphitheater (das temporäre Theater des Scaurus ent¬
hielt 3600), an den Wänden der Säulengänge zogen sich Freske" hin, die Ge¬
wölbe der Thermen prangten in buntem Farbenschmuck kenau denke an die
Arabesken der Tilusthermen, denen Rafael Anregung verdankte), die Fu߬
böden der Sääle mit schimmernden Mosaiken: alle architektonischen Glieder,
Fries und Architravj Pfosten und Schwellen, Capitale und Bekrönungen
waren mit plastischem Schmuck wie aus einem unversteglichen Füllhorn über¬
schüttet, und wie bald ist dieser Reichthum in geschmacklose Ueberladung aus¬
geartet. Von der Masse der öffentlichen Bauten und Anlagen, die in Rom
während der Kaiserzeit nebeneinander und nacheinander wie durch Zauber aus
der Erde wuchsen, ist es kaum möglich, sich eine genügende Vorstellung zu
wachen, und schon diese unaufhörlichen, einander drängenden großen Unter¬
nehmungen, von denen die spätern häufig auf Kosten und mit dem Material
der frühern ausgeführt wurden, waren hinreichend, beiläufig einem gan¬
zen Heer von bildenden Künstlern und Kunsthandwerkern vollauf dauernde
Beschäftigung zu geben. Agrippa legte in einem einzigen Jahr in Rom 103
Röhrenbrunnen und 700 Wasserbassins an, und schmückte sie mit L00 Mar-


gegossenen Wunderpracht ärmlich und gemein erschiene. Dieses Märchens
mag man gedenken, wenn man versucht, aus unermeßlichen Trümmern sich
ein Bild von der überschwenglichen Fülle künstlerischen Schmucks herauszu¬
rufen, in der die größern und reichern Städte des römischen Reichs prangten
und damit die modernen Versuche vergleicht, das öffentliche Leben so wie die
Existenz im Innern des Hauses durch Zierden der Kunst zu verschönern, die
jenem sinnverwirrenden Reichthum gegenüber in Nichts verschwindet.

Um sich eine annähernde Vorstellung von dem kolossalen Kunstbedürfniß
und der kolossalen Beschäftigung der.bildenden Künste in der römischen Kaiser¬
zeit zu machen (wobei wir zunächst nur an Malerei und Sculptur denken),
muß man die Hauptzwecke, für die sie in Anspruch genommen wurden, sich
vergegenwärtigen. Ihre Thätigkeit war eine überwiegend decorative. Die
Werke, die sie schufen, sollten zum allergrößten Theil nicht in selbstständiger,
in sich abgeschlossener Herrlichkeit die Betrachtung anziehen und fesseln, son¬
dern als dienende Glieder an ein Ganzes sich anschließen, die Wirkung be¬
deutender Monumente, namentlich Architekturen, erhöhen, leere Räume fül¬
len, dem schweifenden Blick einen angenehmen Ruhepunkt, eine flüchtige
Unterhaltung, der Lust an Formen und Farben eine immer neue Nahrung
bieten. Nirgend, am wenigsten in Rom, erhob sich ein bedeutender öffentlicher
Bau, zu dessen Verzierung nicht der Meißel des Bildhauers in Anspruch ge¬
nommen worden wäre, neben dem nach Bedürfniß auch der Maler, der Stuk¬
kateur, der Mosaicist thätig waren. Statuengruppen art Reliefs füllten die
Frontvns der Tem'pel, Statuen standen zwischen den Säulen und in den Ni¬
schen der Theater und Amphitheater (das temporäre Theater des Scaurus ent¬
hielt 3600), an den Wänden der Säulengänge zogen sich Freske» hin, die Ge¬
wölbe der Thermen prangten in buntem Farbenschmuck kenau denke an die
Arabesken der Tilusthermen, denen Rafael Anregung verdankte), die Fu߬
böden der Sääle mit schimmernden Mosaiken: alle architektonischen Glieder,
Fries und Architravj Pfosten und Schwellen, Capitale und Bekrönungen
waren mit plastischem Schmuck wie aus einem unversteglichen Füllhorn über¬
schüttet, und wie bald ist dieser Reichthum in geschmacklose Ueberladung aus¬
geartet. Von der Masse der öffentlichen Bauten und Anlagen, die in Rom
während der Kaiserzeit nebeneinander und nacheinander wie durch Zauber aus
der Erde wuchsen, ist es kaum möglich, sich eine genügende Vorstellung zu
wachen, und schon diese unaufhörlichen, einander drängenden großen Unter¬
nehmungen, von denen die spätern häufig auf Kosten und mit dem Material
der frühern ausgeführt wurden, waren hinreichend, beiläufig einem gan¬
zen Heer von bildenden Künstlern und Kunsthandwerkern vollauf dauernde
Beschäftigung zu geben. Agrippa legte in einem einzigen Jahr in Rom 103
Röhrenbrunnen und 700 Wasserbassins an, und schmückte sie mit L00 Mar-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/335>, abgerufen am 23.07.2024.