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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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zu beleben. Trotzdem wollen wir nicht behaupten, daß der Einfluß der
^re-l'rkasures - Lxlubilion sich blos auf Kunstgelchrte und Kunstkenner be¬
schränken werde. Für diese ist allerdings jede Abtheilung der Ausstellung, von
Raphaels Handzeichnungen bis zu den Proben alter Stickereien und nürn¬
berger Eiern herab von hohem Intresse, sie werden auch durch die Betrachtung
mittelalterlicher Schreiner- und Thvnwaarcn mannigfache Anregungen erhalten
und Gelegenheit finden, zahlreiche neue kunsthistorische Thatsachen einzuzeichnen.
Aber auch in weitern Kreisen dürste die Ausstellung für die Bildung be¬
fruchtend wirken. Nicht in dem Grade allerdings, als man anfänglich erwartet
hatte. Sie wird die "Manchesterschule" nicht zu Kunstenthusiastcn umwandeln,
und in ihren Augen das Spinnen und Weben und Färben nicht zu
gemeinen Erwerbszweigen herabsetzen. Es ist aber unmöglich, daß selbst das
minder geübte Laienauge sich gänzlich verschließt vor der Einwirkung, welche
die wiederHolle Anschauung von vielen tausend Bildern hervorruft. Ein
gründlicher Respect vor den alten Meistern ist die erste erfreuliche Folge der
Ausstellung, welche hervorgehoben werden muß. DaS Beste, was die englische
Kunst seit drei Menschenaltern geleistet hat, war hier den Schöpfungen des
sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts gegenübergestellt. Für die modernen
Werke sprach das unmittelbare stoffliche Interesse, die von, den Stürmen der
Zeit noch nicht heimgesuchte frische Farbe, der bestechende Glanz der äußeren
Ausführung. Die Werke der Vergangenheit auf der andern Seite sind gar
häufig weit entfernt von ihrem unversehrten Zustand, oft muß man sie erst
in einen andern Farbenton im Geiste zurückübersetzen, um ihre ursprüngliche
Schönheit zu errathen. Manches Motiv, in der alten Kunst vielfach ver¬
herrlicht, ist uns durch die moderne Bildung unverständlich geworden, andere
Stoffe widersprechen unseren verfeinerten Anschauungen. Trotzdem aber,
daß man oft gezwungen war, z. B- bei den alten Landschaften den grünen
Himmel in blau, die schwarzen Bäume in Grün zu übertragen, daß man bel
Figurenbildern Schatten wegdenken, Lichter in Gedanken hinzufügen mußte,
fühlte doch jeder Unbefangene: das wahre Reich der Schönheit war bei den
alten Meistern, uns aber ist dasselbe zwar nicht völlig verschlossen, doch
schwerer zugänglich und nur nach unsäglichem Rathen und Tappen erreichbar.
Freilich kommt die Zahl der Unbefangenen jener der Besucher der Ausstellung
überhaupt nicht gleich, und von der Million, welche den Eingang der
^re-Ireasure8-Mdidilic>ki im Laufe der letzten sechs Monate durchschritten,
dürften nur wenige Tausende den rechten Sinn und die volle Muße zur Kunst¬
erkenntniß mitgebracht haben. Aber auch den Uebrigen imponirten die alten
Schulen, auch die halbblinden Massen, welche die Ausstellung in wenigen
Stunden hastig durchfegten, hielten oft unwillkürlich inne und legte so Zeug¬
niß ab von der unwiderstehlichen Anziehungskraft der vergangenen Kunst-


zu beleben. Trotzdem wollen wir nicht behaupten, daß der Einfluß der
^re-l'rkasures - Lxlubilion sich blos auf Kunstgelchrte und Kunstkenner be¬
schränken werde. Für diese ist allerdings jede Abtheilung der Ausstellung, von
Raphaels Handzeichnungen bis zu den Proben alter Stickereien und nürn¬
berger Eiern herab von hohem Intresse, sie werden auch durch die Betrachtung
mittelalterlicher Schreiner- und Thvnwaarcn mannigfache Anregungen erhalten
und Gelegenheit finden, zahlreiche neue kunsthistorische Thatsachen einzuzeichnen.
Aber auch in weitern Kreisen dürste die Ausstellung für die Bildung be¬
fruchtend wirken. Nicht in dem Grade allerdings, als man anfänglich erwartet
hatte. Sie wird die „Manchesterschule" nicht zu Kunstenthusiastcn umwandeln,
und in ihren Augen das Spinnen und Weben und Färben nicht zu
gemeinen Erwerbszweigen herabsetzen. Es ist aber unmöglich, daß selbst das
minder geübte Laienauge sich gänzlich verschließt vor der Einwirkung, welche
die wiederHolle Anschauung von vielen tausend Bildern hervorruft. Ein
gründlicher Respect vor den alten Meistern ist die erste erfreuliche Folge der
Ausstellung, welche hervorgehoben werden muß. DaS Beste, was die englische
Kunst seit drei Menschenaltern geleistet hat, war hier den Schöpfungen des
sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts gegenübergestellt. Für die modernen
Werke sprach das unmittelbare stoffliche Interesse, die von, den Stürmen der
Zeit noch nicht heimgesuchte frische Farbe, der bestechende Glanz der äußeren
Ausführung. Die Werke der Vergangenheit auf der andern Seite sind gar
häufig weit entfernt von ihrem unversehrten Zustand, oft muß man sie erst
in einen andern Farbenton im Geiste zurückübersetzen, um ihre ursprüngliche
Schönheit zu errathen. Manches Motiv, in der alten Kunst vielfach ver¬
herrlicht, ist uns durch die moderne Bildung unverständlich geworden, andere
Stoffe widersprechen unseren verfeinerten Anschauungen. Trotzdem aber,
daß man oft gezwungen war, z. B- bei den alten Landschaften den grünen
Himmel in blau, die schwarzen Bäume in Grün zu übertragen, daß man bel
Figurenbildern Schatten wegdenken, Lichter in Gedanken hinzufügen mußte,
fühlte doch jeder Unbefangene: das wahre Reich der Schönheit war bei den
alten Meistern, uns aber ist dasselbe zwar nicht völlig verschlossen, doch
schwerer zugänglich und nur nach unsäglichem Rathen und Tappen erreichbar.
Freilich kommt die Zahl der Unbefangenen jener der Besucher der Ausstellung
überhaupt nicht gleich, und von der Million, welche den Eingang der
^re-Ireasure8-Mdidilic>ki im Laufe der letzten sechs Monate durchschritten,
dürften nur wenige Tausende den rechten Sinn und die volle Muße zur Kunst¬
erkenntniß mitgebracht haben. Aber auch den Uebrigen imponirten die alten
Schulen, auch die halbblinden Massen, welche die Ausstellung in wenigen
Stunden hastig durchfegten, hielten oft unwillkürlich inne und legte so Zeug¬
niß ab von der unwiderstehlichen Anziehungskraft der vergangenen Kunst-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/290>, abgerufen am 23.07.2024.