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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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haften, ausdrucksvollen Gesten von der wtsrng, felieitä; aber daS Publicum
lief ab und zu, die kleinen Buben prügelten sich untereinander und genossen
so recht fröhlich die äußere Glückseligkeit einer italienischen Jugend. Eins
fand ich hier und da unvergleichlich schön und erbaulich, den Gesang, um
welchen ich die Leute beneidete. Es war der Abend des 6. August, eines
Donnerstags, als ich auf dem Hauptringe zu Prag um die dortige Marien¬
säule eine kleine, meist aus ab- und zugehenden Mädchen (etwa ihrer fünfzehn)
bestehende Gemeinde mit einem Vorsänger versammelt fand, welcher die einzelnen
Strophen vorsagte. Wie zart, wie lieblich, wie melodiös, wie innig, wie
harmonisch klang das! Es waren allerdings böhmische Kehlen, die hier
sangen. Am folgenden Tage hörte ich in der Niklaskirche ebenda einen gleich
lieblichen Gesang. Aber auch in Wiener Kirchen ertönte wenigstens Chor¬
gesang, welcher dem prager VolkSchoral an natürlicher Schönheit nichts nach¬
gab. Nur Eins fand ich an dem letzteren meist auszusetzen, nämlich die
Gleichförmigkeit. Ton und Tonwechsel waren wundervoll; aber dieselbe
Modulation, dieselbe Cadenz u. s. w. wiederholte sich fast in jeder Strophe;
es fehlte nicht die Gliederung des Verses, wol aber die Gliederung der
Verse.

Es ergibt sich auf einer weiten und langen Reise vielfach die Gelegen¬
heit zum Austausche des Eindrucks, welchen der katholische Gottesdienst auf
evangelische Zuschauer und Zuhörer macht. Ich habe keinen gebildeten evan¬
gelischen Reisenden gefunden, an welchem der Totaleindruck zu einem gefähr¬
lichen Proselytenmacher geworden wäre.

Einen evangelischen Geistlichen, wenn er ohne Ornat und stumm ist,
kann man nicht immer von anderen Menschenkindern unterscheiden; einen
östreichischen katholischen Weltgeistlichen erkennt man sofort an der Kleidung-
Doch ist dies gegenwärtig nicht eben eine östreichische Eigenthümlichkeit; w"-'
man die evangelischen Prediger seit den letzten Jahren zu uniformiren
gestrebt und wenigstens den "geistlichen Waffenrock" ihnen anzuziehen gesucht
hat, so ist hierin während der letzten Jahre auch die katholische Kirche strengt
geworden. Im Jahre 18os zeigten sich die französischen und belgischen Geistliche"
in der Oeffentlichkeit durchaus streng uniforinirt, und namentlich fiel mir in Paris
die ungeheure Zahl der lang- und schwarzröckigen Männer auf, welche "l
diesem entsetzlich unbequemen Anzuge durch Schlamm und Staub hindurch^
gehen mußten. Indeß so lang waren den östreichischen Priestern die Röcke
nicht zugeschnitten, obgleich man sah, daß die Bischöfe -- und diese sind die
Kirche -- jetzt streng auf ein auch im Aeußern geistliches Auftreten halten-
Lange, gewichste Stiefeln oder Schuhe mit Gamaschen, schwarze Beinkleider,
ein schwarzer, ziemlich langer Rock, ein schwarzes Halstuch mit einem weißen-
je nach dem Grade geränderten Umschlage, ein schwarzer runder Hut, ein


haften, ausdrucksvollen Gesten von der wtsrng, felieitä; aber daS Publicum
lief ab und zu, die kleinen Buben prügelten sich untereinander und genossen
so recht fröhlich die äußere Glückseligkeit einer italienischen Jugend. Eins
fand ich hier und da unvergleichlich schön und erbaulich, den Gesang, um
welchen ich die Leute beneidete. Es war der Abend des 6. August, eines
Donnerstags, als ich auf dem Hauptringe zu Prag um die dortige Marien¬
säule eine kleine, meist aus ab- und zugehenden Mädchen (etwa ihrer fünfzehn)
bestehende Gemeinde mit einem Vorsänger versammelt fand, welcher die einzelnen
Strophen vorsagte. Wie zart, wie lieblich, wie melodiös, wie innig, wie
harmonisch klang das! Es waren allerdings böhmische Kehlen, die hier
sangen. Am folgenden Tage hörte ich in der Niklaskirche ebenda einen gleich
lieblichen Gesang. Aber auch in Wiener Kirchen ertönte wenigstens Chor¬
gesang, welcher dem prager VolkSchoral an natürlicher Schönheit nichts nach¬
gab. Nur Eins fand ich an dem letzteren meist auszusetzen, nämlich die
Gleichförmigkeit. Ton und Tonwechsel waren wundervoll; aber dieselbe
Modulation, dieselbe Cadenz u. s. w. wiederholte sich fast in jeder Strophe;
es fehlte nicht die Gliederung des Verses, wol aber die Gliederung der
Verse.

Es ergibt sich auf einer weiten und langen Reise vielfach die Gelegen¬
heit zum Austausche des Eindrucks, welchen der katholische Gottesdienst auf
evangelische Zuschauer und Zuhörer macht. Ich habe keinen gebildeten evan¬
gelischen Reisenden gefunden, an welchem der Totaleindruck zu einem gefähr¬
lichen Proselytenmacher geworden wäre.

Einen evangelischen Geistlichen, wenn er ohne Ornat und stumm ist,
kann man nicht immer von anderen Menschenkindern unterscheiden; einen
östreichischen katholischen Weltgeistlichen erkennt man sofort an der Kleidung-
Doch ist dies gegenwärtig nicht eben eine östreichische Eigenthümlichkeit; w»-'
man die evangelischen Prediger seit den letzten Jahren zu uniformiren
gestrebt und wenigstens den „geistlichen Waffenrock" ihnen anzuziehen gesucht
hat, so ist hierin während der letzten Jahre auch die katholische Kirche strengt
geworden. Im Jahre 18os zeigten sich die französischen und belgischen Geistliche"
in der Oeffentlichkeit durchaus streng uniforinirt, und namentlich fiel mir in Paris
die ungeheure Zahl der lang- und schwarzröckigen Männer auf, welche »l
diesem entsetzlich unbequemen Anzuge durch Schlamm und Staub hindurch^
gehen mußten. Indeß so lang waren den östreichischen Priestern die Röcke
nicht zugeschnitten, obgleich man sah, daß die Bischöfe — und diese sind die
Kirche — jetzt streng auf ein auch im Aeußern geistliches Auftreten halten-
Lange, gewichste Stiefeln oder Schuhe mit Gamaschen, schwarze Beinkleider,
ein schwarzer, ziemlich langer Rock, ein schwarzes Halstuch mit einem weißen-
je nach dem Grade geränderten Umschlage, ein schwarzer runder Hut, ein


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[0264] haften, ausdrucksvollen Gesten von der wtsrng, felieitä; aber daS Publicum lief ab und zu, die kleinen Buben prügelten sich untereinander und genossen so recht fröhlich die äußere Glückseligkeit einer italienischen Jugend. Eins fand ich hier und da unvergleichlich schön und erbaulich, den Gesang, um welchen ich die Leute beneidete. Es war der Abend des 6. August, eines Donnerstags, als ich auf dem Hauptringe zu Prag um die dortige Marien¬ säule eine kleine, meist aus ab- und zugehenden Mädchen (etwa ihrer fünfzehn) bestehende Gemeinde mit einem Vorsänger versammelt fand, welcher die einzelnen Strophen vorsagte. Wie zart, wie lieblich, wie melodiös, wie innig, wie harmonisch klang das! Es waren allerdings böhmische Kehlen, die hier sangen. Am folgenden Tage hörte ich in der Niklaskirche ebenda einen gleich lieblichen Gesang. Aber auch in Wiener Kirchen ertönte wenigstens Chor¬ gesang, welcher dem prager VolkSchoral an natürlicher Schönheit nichts nach¬ gab. Nur Eins fand ich an dem letzteren meist auszusetzen, nämlich die Gleichförmigkeit. Ton und Tonwechsel waren wundervoll; aber dieselbe Modulation, dieselbe Cadenz u. s. w. wiederholte sich fast in jeder Strophe; es fehlte nicht die Gliederung des Verses, wol aber die Gliederung der Verse. Es ergibt sich auf einer weiten und langen Reise vielfach die Gelegen¬ heit zum Austausche des Eindrucks, welchen der katholische Gottesdienst auf evangelische Zuschauer und Zuhörer macht. Ich habe keinen gebildeten evan¬ gelischen Reisenden gefunden, an welchem der Totaleindruck zu einem gefähr¬ lichen Proselytenmacher geworden wäre. Einen evangelischen Geistlichen, wenn er ohne Ornat und stumm ist, kann man nicht immer von anderen Menschenkindern unterscheiden; einen östreichischen katholischen Weltgeistlichen erkennt man sofort an der Kleidung- Doch ist dies gegenwärtig nicht eben eine östreichische Eigenthümlichkeit; w»-' man die evangelischen Prediger seit den letzten Jahren zu uniformiren gestrebt und wenigstens den „geistlichen Waffenrock" ihnen anzuziehen gesucht hat, so ist hierin während der letzten Jahre auch die katholische Kirche strengt geworden. Im Jahre 18os zeigten sich die französischen und belgischen Geistliche" in der Oeffentlichkeit durchaus streng uniforinirt, und namentlich fiel mir in Paris die ungeheure Zahl der lang- und schwarzröckigen Männer auf, welche »l diesem entsetzlich unbequemen Anzuge durch Schlamm und Staub hindurch^ gehen mußten. Indeß so lang waren den östreichischen Priestern die Röcke nicht zugeschnitten, obgleich man sah, daß die Bischöfe — und diese sind die Kirche — jetzt streng auf ein auch im Aeußern geistliches Auftreten halten- Lange, gewichste Stiefeln oder Schuhe mit Gamaschen, schwarze Beinkleider, ein schwarzer, ziemlich langer Rock, ein schwarzes Halstuch mit einem weißen- je nach dem Grade geränderten Umschlage, ein schwarzer runder Hut, ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/264>, abgerufen am 23.07.2024.