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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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etwa, um den Deutschen und Franzosen eine Höflichkeit zu erweisen, Ueber¬
setzungen aus der dramatischen Literatur beider Nationen. Es ist Mangel an
tragischen Originalstücken in Italien.

Die Schau- und Lustspiele der Franzosen bilden ebenfalls einen großen
Theil der italienischen Repertoirs. Man spielt Scribe, Lemoine, Giraud,
Gozlan, wie man ehemals c>en in der Uebersetzung sehr beliebten Kotzebue spielte.
Neuerdings macht ein Advocat Ferrari aus Modena mit seinem Schauspiele
t'iirl" Kulcloni e 1<z 8ne 16 Lomsciis nuove viel Glück und zwar mit Recht,
da, bei allem Mangel an logischer Nöthigung, die einzeln aneinander gefädel¬
ten Scenen sich doch trefflich abspielen und den Zuschauer fortwährend lebhaft
unterhalten. Ferrari hat den Kampf Goldonis, deS Vaters der populären,
italienischen Comödie, gegen seinen Nebenbuhler Zigo vorgeführt. Nachdem er
ihn mit allen Quälereien eines Thcaterdirectvrs umgeben, läßt er ihn den hinzu¬
kommenden Intriguen seines mächtigen Concurrenten Zigo fast erliegen, um
diesen schließlich zu stürzen, Goldoni aber als Sieger und mit der Verheißung
^6 neuer Komödien aus dem heißen Kampfe hervorgehen zu lassen. Die Ver¬
pflichtung, diese 16 neuen Stücke in kurzer Zeit zu schreiben, erscheint dem Zu¬
schauer um so gigantischer, als derselbe bei der von Goldoni gleich vorgenom¬
menen Aufzählung der verheißenen Stücke lauter in Wirklichkeit zu Stande
gekommene und dem Italiener durchweg vertraute Komödien nennen hört, so
daß Goldoni als ein Manu von Wort sich aus der Klemme zieht. Natürlich
dienen ihm naheliegende Conflicte und Persönlichkeiten, wie sie das Stück selbst
vorführt, als Motive zu den neuen Entwürfen, was trotz aller Natürlichkeit
Um so mehr überrascht. Der 3. Act, eine Schauspiclerprobe mit allgemeiner
Revolte, wobei der Souffleur mitspielt, anfangs aus dem Kasten heraus, dann
"ber auf der Bühne selbst, ist über alle Beschreibung ergötzlich. Dieser ganze
^et kann nicht svufflirt werden, ging indessen sowol in Rom wie in Venedig
wahrhaft meisterhaft und wäre seinem Inhalt nach nicht nur ein trefflicher
Spiegel auch für Schauspieler andrer Nationen, sondern ebenso eine Schule,
w der sie ihr Gedächtniß prüfen könnten.

Seine Lustspiele sind noch heute die Lieblinge des italienischen Publicums.
Man muß eine Schauspielerin, wie z. B. die Sadowski in Neapel als Eu-
Kenia in den Jnnamorati gesehen haben, um zu begreifen, was sich aus Gol-
doni machen läßt. Was in der Uebertragung possenhaft ist und unsern denk
sehen Geschmack verletzt, kommt bei dem ungebändigten Temperament der italie¬
nischen Engenia zu seinem vollen Recht. Man sagt sich wol: so arg gehts
d/um doch auch unter Liebenden des italienischen Mittelstandes nicht zu; aber
hundert Fälle erinnern uns, daß die Italiener so, noch heute so miteinander
Verkehren, daß alles der Wirklichkeit abgelauscht ward, und baß kaum noch vom
Theaterspiel dabei die Rede ist. Und dieser Verehrer Fulgenzio, welch ein


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etwa, um den Deutschen und Franzosen eine Höflichkeit zu erweisen, Ueber¬
setzungen aus der dramatischen Literatur beider Nationen. Es ist Mangel an
tragischen Originalstücken in Italien.

Die Schau- und Lustspiele der Franzosen bilden ebenfalls einen großen
Theil der italienischen Repertoirs. Man spielt Scribe, Lemoine, Giraud,
Gozlan, wie man ehemals c>en in der Uebersetzung sehr beliebten Kotzebue spielte.
Neuerdings macht ein Advocat Ferrari aus Modena mit seinem Schauspiele
t'iirl» Kulcloni e 1<z 8ne 16 Lomsciis nuove viel Glück und zwar mit Recht,
da, bei allem Mangel an logischer Nöthigung, die einzeln aneinander gefädel¬
ten Scenen sich doch trefflich abspielen und den Zuschauer fortwährend lebhaft
unterhalten. Ferrari hat den Kampf Goldonis, deS Vaters der populären,
italienischen Comödie, gegen seinen Nebenbuhler Zigo vorgeführt. Nachdem er
ihn mit allen Quälereien eines Thcaterdirectvrs umgeben, läßt er ihn den hinzu¬
kommenden Intriguen seines mächtigen Concurrenten Zigo fast erliegen, um
diesen schließlich zu stürzen, Goldoni aber als Sieger und mit der Verheißung
^6 neuer Komödien aus dem heißen Kampfe hervorgehen zu lassen. Die Ver¬
pflichtung, diese 16 neuen Stücke in kurzer Zeit zu schreiben, erscheint dem Zu¬
schauer um so gigantischer, als derselbe bei der von Goldoni gleich vorgenom¬
menen Aufzählung der verheißenen Stücke lauter in Wirklichkeit zu Stande
gekommene und dem Italiener durchweg vertraute Komödien nennen hört, so
daß Goldoni als ein Manu von Wort sich aus der Klemme zieht. Natürlich
dienen ihm naheliegende Conflicte und Persönlichkeiten, wie sie das Stück selbst
vorführt, als Motive zu den neuen Entwürfen, was trotz aller Natürlichkeit
Um so mehr überrascht. Der 3. Act, eine Schauspiclerprobe mit allgemeiner
Revolte, wobei der Souffleur mitspielt, anfangs aus dem Kasten heraus, dann
"ber auf der Bühne selbst, ist über alle Beschreibung ergötzlich. Dieser ganze
^et kann nicht svufflirt werden, ging indessen sowol in Rom wie in Venedig
wahrhaft meisterhaft und wäre seinem Inhalt nach nicht nur ein trefflicher
Spiegel auch für Schauspieler andrer Nationen, sondern ebenso eine Schule,
w der sie ihr Gedächtniß prüfen könnten.

Seine Lustspiele sind noch heute die Lieblinge des italienischen Publicums.
Man muß eine Schauspielerin, wie z. B. die Sadowski in Neapel als Eu-
Kenia in den Jnnamorati gesehen haben, um zu begreifen, was sich aus Gol-
doni machen läßt. Was in der Uebertragung possenhaft ist und unsern denk
sehen Geschmack verletzt, kommt bei dem ungebändigten Temperament der italie¬
nischen Engenia zu seinem vollen Recht. Man sagt sich wol: so arg gehts
d/um doch auch unter Liebenden des italienischen Mittelstandes nicht zu; aber
hundert Fälle erinnern uns, daß die Italiener so, noch heute so miteinander
Verkehren, daß alles der Wirklichkeit abgelauscht ward, und baß kaum noch vom
Theaterspiel dabei die Rede ist. Und dieser Verehrer Fulgenzio, welch ein


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[0251] etwa, um den Deutschen und Franzosen eine Höflichkeit zu erweisen, Ueber¬ setzungen aus der dramatischen Literatur beider Nationen. Es ist Mangel an tragischen Originalstücken in Italien. Die Schau- und Lustspiele der Franzosen bilden ebenfalls einen großen Theil der italienischen Repertoirs. Man spielt Scribe, Lemoine, Giraud, Gozlan, wie man ehemals c>en in der Uebersetzung sehr beliebten Kotzebue spielte. Neuerdings macht ein Advocat Ferrari aus Modena mit seinem Schauspiele t'iirl» Kulcloni e 1<z 8ne 16 Lomsciis nuove viel Glück und zwar mit Recht, da, bei allem Mangel an logischer Nöthigung, die einzeln aneinander gefädel¬ ten Scenen sich doch trefflich abspielen und den Zuschauer fortwährend lebhaft unterhalten. Ferrari hat den Kampf Goldonis, deS Vaters der populären, italienischen Comödie, gegen seinen Nebenbuhler Zigo vorgeführt. Nachdem er ihn mit allen Quälereien eines Thcaterdirectvrs umgeben, läßt er ihn den hinzu¬ kommenden Intriguen seines mächtigen Concurrenten Zigo fast erliegen, um diesen schließlich zu stürzen, Goldoni aber als Sieger und mit der Verheißung ^6 neuer Komödien aus dem heißen Kampfe hervorgehen zu lassen. Die Ver¬ pflichtung, diese 16 neuen Stücke in kurzer Zeit zu schreiben, erscheint dem Zu¬ schauer um so gigantischer, als derselbe bei der von Goldoni gleich vorgenom¬ menen Aufzählung der verheißenen Stücke lauter in Wirklichkeit zu Stande gekommene und dem Italiener durchweg vertraute Komödien nennen hört, so daß Goldoni als ein Manu von Wort sich aus der Klemme zieht. Natürlich dienen ihm naheliegende Conflicte und Persönlichkeiten, wie sie das Stück selbst vorführt, als Motive zu den neuen Entwürfen, was trotz aller Natürlichkeit Um so mehr überrascht. Der 3. Act, eine Schauspiclerprobe mit allgemeiner Revolte, wobei der Souffleur mitspielt, anfangs aus dem Kasten heraus, dann "ber auf der Bühne selbst, ist über alle Beschreibung ergötzlich. Dieser ganze ^et kann nicht svufflirt werden, ging indessen sowol in Rom wie in Venedig wahrhaft meisterhaft und wäre seinem Inhalt nach nicht nur ein trefflicher Spiegel auch für Schauspieler andrer Nationen, sondern ebenso eine Schule, w der sie ihr Gedächtniß prüfen könnten. Seine Lustspiele sind noch heute die Lieblinge des italienischen Publicums. Man muß eine Schauspielerin, wie z. B. die Sadowski in Neapel als Eu- Kenia in den Jnnamorati gesehen haben, um zu begreifen, was sich aus Gol- doni machen läßt. Was in der Uebertragung possenhaft ist und unsern denk sehen Geschmack verletzt, kommt bei dem ungebändigten Temperament der italie¬ nischen Engenia zu seinem vollen Recht. Man sagt sich wol: so arg gehts d/um doch auch unter Liebenden des italienischen Mittelstandes nicht zu; aber hundert Fälle erinnern uns, daß die Italiener so, noch heute so miteinander Verkehren, daß alles der Wirklichkeit abgelauscht ward, und baß kaum noch vom Theaterspiel dabei die Rede ist. Und dieser Verehrer Fulgenzio, welch ein 31*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/251>, abgerufen am 23.07.2024.