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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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mitten auf die Kampfplätze, auf welchen die damaligen europäischen großen
Fragen entschieden wurden. Ihre Lust an Geld- und Ländergewinn wurde
von den Nachbarn, namentlich von Frankreich genährt. Die erwachsende
Monarchie erkannte, daß sie sich von der immer unzuverlässigeren Hilfe der
Lehnsritterschaft unabhängig machen und auf die billigste Weise ihre Pläne
verfolgen könne, wenn sie sich ein Fußvolk schaffe, welches nun bewiesen habe,
daß es vor der Reiterei sich nicht zu fürchten brauche. Theils wurden Schwei¬
zer in Sold genommen, theils schuf man sich nach ihrem Muster, wo das
Material dazu vorhanden war, ein eignes nationales Fußvolk. Frankreich
vermochte dies am wenigsten und blieb lange Zeit am meisten auf den Gebrauch
fremder Söldner beschränkt."

Die Schweizer und die Deutschen gaben in den spätern Jahrzehnten durch
ihre Bewaffnung und Eintheilung die Regel für die gesammte europäische
Infanterie. "Von den blanken Waffen gewinnt die Pike entschieden die
Oberherrschaft über die Hellebarde und sonstige kurze Waffen. Die Pike
wird beständig verlängert, bis sie schon im ersten Viertel deS 1K. Jahr¬
hunderts ihr Grenzmaß erreicht hat, auf welchem sie nun stehen bleibt. Der
Degen wird steigend länger und wird neben allen Wehren, sowol den
blanken, als den Fernwaffen geführt. Die Fernwaffen, anfänglich noch
Armbrust und Feuerrohr, werden bei den Culturvölkern des Continents
gleichfalls schon im ersten Virlet deS 16. Jahrhunderts ausschließlich Feuer¬
gewehre. Dieselben nehmen im Verhältniß zu den blanken Waffen während
der Religionskriege im steigenden Maße zu, bis am Ende des Jahrhunderts
sich eine Reaction dagegen zeigt, welche der Pike wieder ihre Rechte geben
will und dies nicht ohne Erfolg. Innerhalb der Classe der Feuergewehre
erheben sich verschiedene Gattungen von leichterem oder größerem Kaliber.
Die Tendenz geht dahin, das leichtere Kaliber ganz abzuschaffen und das
größere zur Alleinherrschaft zu bringen. In den Schutzwaffen endlich
zeigt sich ein Schwanken; um sich gegen die Wirkungen deS Feuergewehrs
sicherer zu stellen, strebt man dahin, die Pikeniere möglichst vollständig mit
möglichst vollkommenen Schutzwaffen zu versehen; die Musketiere dagegen,
oder allgemein die Schützen, entledigen sich derselben immer mehr.

Noch in dem Heere, welches Nenat von Lothringen zur Schlacht von
Nancy führte und welches aus Schweizern und deutschen Völkern bestand,
ist das Verhältniß der Hellebarden zu den Spießen ein sehr großes.
Dürfen wir nach dem Verhältnisse in dem Gewalthaufen schließen, welches
uns überliefert ist, so wäre die Anzahl der Hellebarden des Heeres der Anzahl
der Spieße ungefähr gleichzusetzen. Dies änderte sich nun. Bei den
Schweizern gelangte, je größere Heere sie ins Feld stellten und je mehr sie
mit andern Nationen zusammen stießen, desto mehr die Führung zur Gek-


mitten auf die Kampfplätze, auf welchen die damaligen europäischen großen
Fragen entschieden wurden. Ihre Lust an Geld- und Ländergewinn wurde
von den Nachbarn, namentlich von Frankreich genährt. Die erwachsende
Monarchie erkannte, daß sie sich von der immer unzuverlässigeren Hilfe der
Lehnsritterschaft unabhängig machen und auf die billigste Weise ihre Pläne
verfolgen könne, wenn sie sich ein Fußvolk schaffe, welches nun bewiesen habe,
daß es vor der Reiterei sich nicht zu fürchten brauche. Theils wurden Schwei¬
zer in Sold genommen, theils schuf man sich nach ihrem Muster, wo das
Material dazu vorhanden war, ein eignes nationales Fußvolk. Frankreich
vermochte dies am wenigsten und blieb lange Zeit am meisten auf den Gebrauch
fremder Söldner beschränkt."

Die Schweizer und die Deutschen gaben in den spätern Jahrzehnten durch
ihre Bewaffnung und Eintheilung die Regel für die gesammte europäische
Infanterie. „Von den blanken Waffen gewinnt die Pike entschieden die
Oberherrschaft über die Hellebarde und sonstige kurze Waffen. Die Pike
wird beständig verlängert, bis sie schon im ersten Viertel deS 1K. Jahr¬
hunderts ihr Grenzmaß erreicht hat, auf welchem sie nun stehen bleibt. Der
Degen wird steigend länger und wird neben allen Wehren, sowol den
blanken, als den Fernwaffen geführt. Die Fernwaffen, anfänglich noch
Armbrust und Feuerrohr, werden bei den Culturvölkern des Continents
gleichfalls schon im ersten Virlet deS 16. Jahrhunderts ausschließlich Feuer¬
gewehre. Dieselben nehmen im Verhältniß zu den blanken Waffen während
der Religionskriege im steigenden Maße zu, bis am Ende des Jahrhunderts
sich eine Reaction dagegen zeigt, welche der Pike wieder ihre Rechte geben
will und dies nicht ohne Erfolg. Innerhalb der Classe der Feuergewehre
erheben sich verschiedene Gattungen von leichterem oder größerem Kaliber.
Die Tendenz geht dahin, das leichtere Kaliber ganz abzuschaffen und das
größere zur Alleinherrschaft zu bringen. In den Schutzwaffen endlich
zeigt sich ein Schwanken; um sich gegen die Wirkungen deS Feuergewehrs
sicherer zu stellen, strebt man dahin, die Pikeniere möglichst vollständig mit
möglichst vollkommenen Schutzwaffen zu versehen; die Musketiere dagegen,
oder allgemein die Schützen, entledigen sich derselben immer mehr.

Noch in dem Heere, welches Nenat von Lothringen zur Schlacht von
Nancy führte und welches aus Schweizern und deutschen Völkern bestand,
ist das Verhältniß der Hellebarden zu den Spießen ein sehr großes.
Dürfen wir nach dem Verhältnisse in dem Gewalthaufen schließen, welches
uns überliefert ist, so wäre die Anzahl der Hellebarden des Heeres der Anzahl
der Spieße ungefähr gleichzusetzen. Dies änderte sich nun. Bei den
Schweizern gelangte, je größere Heere sie ins Feld stellten und je mehr sie
mit andern Nationen zusammen stießen, desto mehr die Führung zur Gek-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/194>, abgerufen am 23.07.2024.