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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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aufgäbe gesetzt hat, die neue Poesie seines Volkes in Deutschland bekannt zu
machen, obgleich er nach seinem eignen Geständnis) weder die nöthige sprachliche
Bildung, noch das poetische Talent dazu besitzt. So liebenswürdig die Be¬
scheidenheit dieser Erklärung aussieht und so große Aufmunterung daS ehren¬
werthe Streben verdiente, so sind wir doch nicht in der Lage, jenem Geständnis;
zu widersprechen. Es finden sich zwar in dieser Sammlung einzelne Lieder,
in denen sich ein großer Fortschritt deS Uebersetzers zeigt, aber die Mehrzahl
läßt doch unendlich viel zu wünschen übrig, auch wenn man die mäßigsten
Ansprüche mitbringt. Wenn Herr Kertbeny einen Theil der Zeit, die er auf
die Propaganda verwendet, dem ernsthaften Studium der deutschen Grammatik
und unserer Klassiker zuwenden wollte, so würde es seiner guten Sache förder¬
licher sein. Herr Boden siebt erklärt in der Vorrede, er habe sich jeden
wesentlich nachhelfenden Eingriff versagt, weil er der ungarischen Sprache
nicht mächtig sei, aber im Interesse der deutschen Sprache hätte er sich viele
wesentlich nachhelfende Eingriffe erlauben sollen, und da er Petöfi warm
verehrt, so hätte er als deutscher Dichter und als gewandter und geistreicher
Uebersetzer gewissermaßen die Verpflichtung dazu gehabt, denn es kann
uns gar nicht gleichgiltig sein, daß unsere ohnehin schon sehr verwilderte
poetische Sprache durch undeutsche Uebersetzungen noch mehr in Verwirrung
geräth. Herr Kertbeny scheint zu seiner Lectüre weniger unsere classischen
Dichter als die modernen Nachahmer deS Orients gewählt zu haben, deren
glänzende individuelle Leistungen am allerwenigsten der allgemeinen Sprache
als Vorbild dienen können.

Nach diesem Protest, den wir nicht umgehn durften, kommen wir auf den
Inhalt dieser Uebersetzungen, und hier ist es für uns sehr angenehm, uns
den Bemerkungen BodenstcdtS völlig anschließen zu können. Herr Kertbeny
verdient unsern Dank, daß er uns mit einem Dichter bekannt gemacht hat,
der nicht blos in seiner vaterländischen, sondern in der europäischen Literatur
eine bleibende Stelle einnehmen wird. Es ist eine Kraft und Wärme der
Empfindung, eine Fülle der Bilder und was für uns die Hauptsache ist, eine
kernhafte Gesundheit in diesen Liedern, daß wir miruuter versucht werden,
den Magyaren zu beneiden. Der Herausgeber hat ihn in einem weitläufigen
historischen Commentar, den er in seinem eigenen Interesse lieber hätte weg¬
lassen sollen, mit verschiedenen Dichtern des Auslandes verglichen z. B. mit
Bvranger, mit Heine, selbst mit Byron. Freilich wird man an diese Dichter
mitunter erinnert, man merkt, daß Petöfi sie eifrig gelesen hat, aber diese
Nachklänge betreffen immer das Unwesentliche, und Petöfi wird uns grade
um dessentwillen lieb, waS er uns Fremdes, Eigenthümliches gibt. Er ist der
echte Sohn seines Volks und in seinem zugleich liebenswürdigen und kräftigen
Gemüth haben sich die Vorstellungen und Gefühle seiner Heimath krystallisirt,


aufgäbe gesetzt hat, die neue Poesie seines Volkes in Deutschland bekannt zu
machen, obgleich er nach seinem eignen Geständnis) weder die nöthige sprachliche
Bildung, noch das poetische Talent dazu besitzt. So liebenswürdig die Be¬
scheidenheit dieser Erklärung aussieht und so große Aufmunterung daS ehren¬
werthe Streben verdiente, so sind wir doch nicht in der Lage, jenem Geständnis;
zu widersprechen. Es finden sich zwar in dieser Sammlung einzelne Lieder,
in denen sich ein großer Fortschritt deS Uebersetzers zeigt, aber die Mehrzahl
läßt doch unendlich viel zu wünschen übrig, auch wenn man die mäßigsten
Ansprüche mitbringt. Wenn Herr Kertbeny einen Theil der Zeit, die er auf
die Propaganda verwendet, dem ernsthaften Studium der deutschen Grammatik
und unserer Klassiker zuwenden wollte, so würde es seiner guten Sache förder¬
licher sein. Herr Boden siebt erklärt in der Vorrede, er habe sich jeden
wesentlich nachhelfenden Eingriff versagt, weil er der ungarischen Sprache
nicht mächtig sei, aber im Interesse der deutschen Sprache hätte er sich viele
wesentlich nachhelfende Eingriffe erlauben sollen, und da er Petöfi warm
verehrt, so hätte er als deutscher Dichter und als gewandter und geistreicher
Uebersetzer gewissermaßen die Verpflichtung dazu gehabt, denn es kann
uns gar nicht gleichgiltig sein, daß unsere ohnehin schon sehr verwilderte
poetische Sprache durch undeutsche Uebersetzungen noch mehr in Verwirrung
geräth. Herr Kertbeny scheint zu seiner Lectüre weniger unsere classischen
Dichter als die modernen Nachahmer deS Orients gewählt zu haben, deren
glänzende individuelle Leistungen am allerwenigsten der allgemeinen Sprache
als Vorbild dienen können.

Nach diesem Protest, den wir nicht umgehn durften, kommen wir auf den
Inhalt dieser Uebersetzungen, und hier ist es für uns sehr angenehm, uns
den Bemerkungen BodenstcdtS völlig anschließen zu können. Herr Kertbeny
verdient unsern Dank, daß er uns mit einem Dichter bekannt gemacht hat,
der nicht blos in seiner vaterländischen, sondern in der europäischen Literatur
eine bleibende Stelle einnehmen wird. Es ist eine Kraft und Wärme der
Empfindung, eine Fülle der Bilder und was für uns die Hauptsache ist, eine
kernhafte Gesundheit in diesen Liedern, daß wir miruuter versucht werden,
den Magyaren zu beneiden. Der Herausgeber hat ihn in einem weitläufigen
historischen Commentar, den er in seinem eigenen Interesse lieber hätte weg¬
lassen sollen, mit verschiedenen Dichtern des Auslandes verglichen z. B. mit
Bvranger, mit Heine, selbst mit Byron. Freilich wird man an diese Dichter
mitunter erinnert, man merkt, daß Petöfi sie eifrig gelesen hat, aber diese
Nachklänge betreffen immer das Unwesentliche, und Petöfi wird uns grade
um dessentwillen lieb, waS er uns Fremdes, Eigenthümliches gibt. Er ist der
echte Sohn seines Volks und in seinem zugleich liebenswürdigen und kräftigen
Gemüth haben sich die Vorstellungen und Gefühle seiner Heimath krystallisirt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/186>, abgerufen am 23.07.2024.