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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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den und Westen, über die indischen Küsten, die Inseln des stillen Oceans und
das californische Goldland ausdehnen und zu gleicher Zeit im Innern einen
Aufstand beginnen, welcher nahe daran ist, die ganze bisherige Ordnung der
Verhältnisse umzuwerfen. Eine solche Wendung der Dinge kann keine zufällige
sein. Sie ist auch keine so plötzliche, wie sie erscheint. Die friedliche Eroberung
durch eine massenhafte Auswanderung hat längst schon begonnen, wir wendeten
ihr bisher nur nicht die Aufmerksamkeit zu, die ihre große Bedeutung erheischt.
Der Aufstand aber, der sich in wenigen Jahren über die wichtigsten Provinzen des
Reiches verbreitete und bereits die eine Hauptstadt erobert hat, stößt nach dem
Grundsatz, daß aus Nichts nichts werden kann, nicht blos die Theorie von der
ewigen Erstarrung, sondern den Glauben an eine Erstarrung des chinesischen
Volks überhaupt um. Eine Uhr regulirt sich nicht selbst. Von außen ist der
Anstoß zu jener Revolution nicht gekommen. Es muß deshalb unter der Rinde
der Stabilität noch ein anderes, dem seitherigen Wesen Entgegengesetztes sich
verborgen haben, es muß Unzufriedenheit mit dem Bestehenden, Streben nach Fort¬
schritt, wenigstens nach Veränderung, i" reichem Maße vorhanden gewesen sein,
vielleicht nicht in dem Grade wie bei den eigentlich geschichilichen Völkern,
jedenfalls aber in stärkerem, als man bis aus die letzte'Zeit voraussetzen dursre.

Diese Schlüsse von den aus jener Ansicht nicht zu erklärenden ZeiiungS-
berichten über die chinesische Revolution rückwärts auf den Zustand des Volkes
haben jetzt durch das von uns bereits angezeigte Buch Meadows' die er¬
wünschte Bestätigung erhalten, und wenn derselbe auch zu weit zu gehen und
die Chinesen hin und wieder zu hoch zu stellen scheint, so bleibt doch, alle
Bedenken abgezogen, nach der Lectüre seiner Schrift sehr lebhaft der Eindruck
zurück, daß wir dem Reich der himmlischen Mitte unrecht gethan haben, wenn
wir ihm nur noch die ol8 inerlias zugestanden. Seine Darstellung der Ge¬
schichte deS Aufstandes, seiner wahrscheinlichen Ursachen, seiner Führer und
seiner Aussichten auf Erfolg wird schon in dieser Hinsicht willkommen sein;
sie gewinnt aber ein erhöhtes Interesse, indem sie widerspruchslos zeigt, was
bis jetzt angefochten werden konnte, daß nämlich bei der Bewegung wirklich
christliche Elemente und zwar in einer sehr eigenthümlichen, bisher noch nicht
beobachteten Weise mitwirken.

Das chinesische Reich besteht aus dem eigentlichen China, der Mandschurei
und Mongolei, Turkestan, auch die kleine Bucharei genannt, und Tibet. Die
vier letzterwähnten Länder haben hier kein Interesse für uns, da ihre Bewoh¬
ner für das chinesische Volk Barbaren sind, mit denen es nicht viel mehr als
nur die Dynastie gemein hat. Das eigentliche China umsaßt achtzehn Pro¬
vinzen, welche durchschnittlich so groß wie Preußen ohne die Rheinlande sind.
Die Bewohner dieses gewaltigen Ländergebiets sind in vierzehn von jenen Provin¬
zen Chinesen, in den übrigen vier, den mehr gebirgigen Provinzen des Süd-


den und Westen, über die indischen Küsten, die Inseln des stillen Oceans und
das californische Goldland ausdehnen und zu gleicher Zeit im Innern einen
Aufstand beginnen, welcher nahe daran ist, die ganze bisherige Ordnung der
Verhältnisse umzuwerfen. Eine solche Wendung der Dinge kann keine zufällige
sein. Sie ist auch keine so plötzliche, wie sie erscheint. Die friedliche Eroberung
durch eine massenhafte Auswanderung hat längst schon begonnen, wir wendeten
ihr bisher nur nicht die Aufmerksamkeit zu, die ihre große Bedeutung erheischt.
Der Aufstand aber, der sich in wenigen Jahren über die wichtigsten Provinzen des
Reiches verbreitete und bereits die eine Hauptstadt erobert hat, stößt nach dem
Grundsatz, daß aus Nichts nichts werden kann, nicht blos die Theorie von der
ewigen Erstarrung, sondern den Glauben an eine Erstarrung des chinesischen
Volks überhaupt um. Eine Uhr regulirt sich nicht selbst. Von außen ist der
Anstoß zu jener Revolution nicht gekommen. Es muß deshalb unter der Rinde
der Stabilität noch ein anderes, dem seitherigen Wesen Entgegengesetztes sich
verborgen haben, es muß Unzufriedenheit mit dem Bestehenden, Streben nach Fort¬
schritt, wenigstens nach Veränderung, i» reichem Maße vorhanden gewesen sein,
vielleicht nicht in dem Grade wie bei den eigentlich geschichilichen Völkern,
jedenfalls aber in stärkerem, als man bis aus die letzte'Zeit voraussetzen dursre.

Diese Schlüsse von den aus jener Ansicht nicht zu erklärenden ZeiiungS-
berichten über die chinesische Revolution rückwärts auf den Zustand des Volkes
haben jetzt durch das von uns bereits angezeigte Buch Meadows' die er¬
wünschte Bestätigung erhalten, und wenn derselbe auch zu weit zu gehen und
die Chinesen hin und wieder zu hoch zu stellen scheint, so bleibt doch, alle
Bedenken abgezogen, nach der Lectüre seiner Schrift sehr lebhaft der Eindruck
zurück, daß wir dem Reich der himmlischen Mitte unrecht gethan haben, wenn
wir ihm nur noch die ol8 inerlias zugestanden. Seine Darstellung der Ge¬
schichte deS Aufstandes, seiner wahrscheinlichen Ursachen, seiner Führer und
seiner Aussichten auf Erfolg wird schon in dieser Hinsicht willkommen sein;
sie gewinnt aber ein erhöhtes Interesse, indem sie widerspruchslos zeigt, was
bis jetzt angefochten werden konnte, daß nämlich bei der Bewegung wirklich
christliche Elemente und zwar in einer sehr eigenthümlichen, bisher noch nicht
beobachteten Weise mitwirken.

Das chinesische Reich besteht aus dem eigentlichen China, der Mandschurei
und Mongolei, Turkestan, auch die kleine Bucharei genannt, und Tibet. Die
vier letzterwähnten Länder haben hier kein Interesse für uns, da ihre Bewoh¬
ner für das chinesische Volk Barbaren sind, mit denen es nicht viel mehr als
nur die Dynastie gemein hat. Das eigentliche China umsaßt achtzehn Pro¬
vinzen, welche durchschnittlich so groß wie Preußen ohne die Rheinlande sind.
Die Bewohner dieses gewaltigen Ländergebiets sind in vierzehn von jenen Provin¬
zen Chinesen, in den übrigen vier, den mehr gebirgigen Provinzen des Süd-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/170>, abgerufen am 23.07.2024.