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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Die bedeutendsten Zeitungen Nordamerikas sind der Neuyork Herald,
der Courier and Enquirer, das Journal os Commerce, und die Eveningpost in
Neuyork; der Courier und der Atlas in Boston; die United North Ame¬
rican Gazette und der Ledger in Philadelphia. Aber keine dieser Zeitungen
hat als politisches Organ oder als commercielleS Unternehmen die Bedeutung
und den Umfang der großen englischen oder französischen Blätter, und keine
übt einen so directen und mächtigen Einfluß auf die öffentliche Meinung. Es
liegt dies eben in der politischen Gestaltung des Landes. Die Bereinigten
Staaten umfassen zwar eine gleichgeartete Nation, aber sie sind ein Complcr
kleiner Staaten, von denen jeder seine Metropole und in derselben das Cen¬
trum seiner Lebensthätigkeit hat. Es gibt in Nordamerika keine Hauptstadt,
in welcher die Lebenskräfte deS Landes sich concentriren und von der ein
vorwiegender Impuls ausgehen könnte. Die Zeitungen von Washington ver¬
danken dem Umstände, daß hier Präsident und Kongreß ihren Sitz haben,
zwar gewisse Vortheile, aber sie vermögen doch nicht mit den Hauptblättern
der großen Städte des Lirorales zu rivalisiren. Auch hat die nordamerikanische
Regierung niemals das Bedürfniß empfunden, eine Staatszeitung zu schaffen.
Es besteht höchstens in Washington ein halb officielles Blatt. Diese Stellung
nahm seit 1800, wo die Bundesregierung in Washington eingesetzt wurde, der
"National Intelligenter" el", welcher gegründet worden war, um die Politik aus¬
einanderzusetzen und zu vertheidigen, welche Washington seinen ersten Nach¬
folgern überlieferte. Das whighistische Blatt behauptete vierzig Jahre lang
seinen halbosficiellen Charakter. Erst im Jahre -1829, als die Whigs aus
der Gewalt verdrängt wurden, gründeten die siegreichen Demokraten, General
Jackson an der Spitze, neben dem National Intelligenter den "Telegraph" und
wendeten demselben die Mittheilungen der Regierung zu. Der Telegraph sei¬
nerseits wurde 183i als halb officielles Blatt durch den "Globe" verdrängt, dem
alsdann die "Union" und die "Republik" folgten. Gegenwärtig gründet sich
fast jede neue Präsidentschaft ein besonderes Organ. Sie besitzt zwar zu die¬
sem Behuf nicht die nöthigen Geldmittel, aber es gehört zu ihren Befugnissen,
die Druckerei zu bestimmen, welche die amtlichen Bekanntmachungen und die
zahllosen Druckschriften des Kongresses zu drucken hat. Dieses Geschäft ist für
den betreffenden Drucker eine Quelle des Reichthums und er ist gern bereit,
Um diesen Preis eine Zeitung zu drucken, bei deren Redaction die einflußreichsten
Mitglieder der Regierungspartei mitwirken.

Die Zeitungen von Washington, welche die Congrcßdebatten genau ver¬
folgen , von den Parteihäuptern Mittheilungen empfangen und über die Um¬
triebe und Machittationen Aufschluß geben, welche bei jeder neuen Präsidenten¬
wahl stattfinden, sind dem Politiker unentbehrlich und haben daher in jedem Staate
einen, wenn auch beschränkten Lesekreis. Die großen Zeitungen von Neu-


Ärenzboten. IV. -I8ö7. 2g

Die bedeutendsten Zeitungen Nordamerikas sind der Neuyork Herald,
der Courier and Enquirer, das Journal os Commerce, und die Eveningpost in
Neuyork; der Courier und der Atlas in Boston; die United North Ame¬
rican Gazette und der Ledger in Philadelphia. Aber keine dieser Zeitungen
hat als politisches Organ oder als commercielleS Unternehmen die Bedeutung
und den Umfang der großen englischen oder französischen Blätter, und keine
übt einen so directen und mächtigen Einfluß auf die öffentliche Meinung. Es
liegt dies eben in der politischen Gestaltung des Landes. Die Bereinigten
Staaten umfassen zwar eine gleichgeartete Nation, aber sie sind ein Complcr
kleiner Staaten, von denen jeder seine Metropole und in derselben das Cen¬
trum seiner Lebensthätigkeit hat. Es gibt in Nordamerika keine Hauptstadt,
in welcher die Lebenskräfte deS Landes sich concentriren und von der ein
vorwiegender Impuls ausgehen könnte. Die Zeitungen von Washington ver¬
danken dem Umstände, daß hier Präsident und Kongreß ihren Sitz haben,
zwar gewisse Vortheile, aber sie vermögen doch nicht mit den Hauptblättern
der großen Städte des Lirorales zu rivalisiren. Auch hat die nordamerikanische
Regierung niemals das Bedürfniß empfunden, eine Staatszeitung zu schaffen.
Es besteht höchstens in Washington ein halb officielles Blatt. Diese Stellung
nahm seit 1800, wo die Bundesregierung in Washington eingesetzt wurde, der
„National Intelligenter" el», welcher gegründet worden war, um die Politik aus¬
einanderzusetzen und zu vertheidigen, welche Washington seinen ersten Nach¬
folgern überlieferte. Das whighistische Blatt behauptete vierzig Jahre lang
seinen halbosficiellen Charakter. Erst im Jahre -1829, als die Whigs aus
der Gewalt verdrängt wurden, gründeten die siegreichen Demokraten, General
Jackson an der Spitze, neben dem National Intelligenter den „Telegraph" und
wendeten demselben die Mittheilungen der Regierung zu. Der Telegraph sei¬
nerseits wurde 183i als halb officielles Blatt durch den „Globe" verdrängt, dem
alsdann die „Union" und die „Republik" folgten. Gegenwärtig gründet sich
fast jede neue Präsidentschaft ein besonderes Organ. Sie besitzt zwar zu die¬
sem Behuf nicht die nöthigen Geldmittel, aber es gehört zu ihren Befugnissen,
die Druckerei zu bestimmen, welche die amtlichen Bekanntmachungen und die
zahllosen Druckschriften des Kongresses zu drucken hat. Dieses Geschäft ist für
den betreffenden Drucker eine Quelle des Reichthums und er ist gern bereit,
Um diesen Preis eine Zeitung zu drucken, bei deren Redaction die einflußreichsten
Mitglieder der Regierungspartei mitwirken.

Die Zeitungen von Washington, welche die Congrcßdebatten genau ver¬
folgen , von den Parteihäuptern Mittheilungen empfangen und über die Um¬
triebe und Machittationen Aufschluß geben, welche bei jeder neuen Präsidenten¬
wahl stattfinden, sind dem Politiker unentbehrlich und haben daher in jedem Staate
einen, wenn auch beschränkten Lesekreis. Die großen Zeitungen von Neu-


Ärenzboten. IV. -I8ö7. 2g
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[0161] Die bedeutendsten Zeitungen Nordamerikas sind der Neuyork Herald, der Courier and Enquirer, das Journal os Commerce, und die Eveningpost in Neuyork; der Courier und der Atlas in Boston; die United North Ame¬ rican Gazette und der Ledger in Philadelphia. Aber keine dieser Zeitungen hat als politisches Organ oder als commercielleS Unternehmen die Bedeutung und den Umfang der großen englischen oder französischen Blätter, und keine übt einen so directen und mächtigen Einfluß auf die öffentliche Meinung. Es liegt dies eben in der politischen Gestaltung des Landes. Die Bereinigten Staaten umfassen zwar eine gleichgeartete Nation, aber sie sind ein Complcr kleiner Staaten, von denen jeder seine Metropole und in derselben das Cen¬ trum seiner Lebensthätigkeit hat. Es gibt in Nordamerika keine Hauptstadt, in welcher die Lebenskräfte deS Landes sich concentriren und von der ein vorwiegender Impuls ausgehen könnte. Die Zeitungen von Washington ver¬ danken dem Umstände, daß hier Präsident und Kongreß ihren Sitz haben, zwar gewisse Vortheile, aber sie vermögen doch nicht mit den Hauptblättern der großen Städte des Lirorales zu rivalisiren. Auch hat die nordamerikanische Regierung niemals das Bedürfniß empfunden, eine Staatszeitung zu schaffen. Es besteht höchstens in Washington ein halb officielles Blatt. Diese Stellung nahm seit 1800, wo die Bundesregierung in Washington eingesetzt wurde, der „National Intelligenter" el», welcher gegründet worden war, um die Politik aus¬ einanderzusetzen und zu vertheidigen, welche Washington seinen ersten Nach¬ folgern überlieferte. Das whighistische Blatt behauptete vierzig Jahre lang seinen halbosficiellen Charakter. Erst im Jahre -1829, als die Whigs aus der Gewalt verdrängt wurden, gründeten die siegreichen Demokraten, General Jackson an der Spitze, neben dem National Intelligenter den „Telegraph" und wendeten demselben die Mittheilungen der Regierung zu. Der Telegraph sei¬ nerseits wurde 183i als halb officielles Blatt durch den „Globe" verdrängt, dem alsdann die „Union" und die „Republik" folgten. Gegenwärtig gründet sich fast jede neue Präsidentschaft ein besonderes Organ. Sie besitzt zwar zu die¬ sem Behuf nicht die nöthigen Geldmittel, aber es gehört zu ihren Befugnissen, die Druckerei zu bestimmen, welche die amtlichen Bekanntmachungen und die zahllosen Druckschriften des Kongresses zu drucken hat. Dieses Geschäft ist für den betreffenden Drucker eine Quelle des Reichthums und er ist gern bereit, Um diesen Preis eine Zeitung zu drucken, bei deren Redaction die einflußreichsten Mitglieder der Regierungspartei mitwirken. Die Zeitungen von Washington, welche die Congrcßdebatten genau ver¬ folgen , von den Parteihäuptern Mittheilungen empfangen und über die Um¬ triebe und Machittationen Aufschluß geben, welche bei jeder neuen Präsidenten¬ wahl stattfinden, sind dem Politiker unentbehrlich und haben daher in jedem Staate einen, wenn auch beschränkten Lesekreis. Die großen Zeitungen von Neu- Ärenzboten. IV. -I8ö7. 2g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/161>, abgerufen am 23.07.2024.