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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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und versuchte eine Organisation von Arbeiterverbänden, welche mittelst der
Selbsthilfe der Betheiligten eine Verbesserung von deren Lage anstrebte.

Die eigentliche Handwerkerbewegung ging, ihrer angedeuteten Tendenz
nach, hauptsächlich darauf aus, Einfluß auf die Regierungen und die gesetz¬
gebenden Versammlungen, namentlich in Frankfurt und Berlin, zu gewinnen,
und organisirte sich in localen und provinciellen Handwerkervereinen, welche
Peritiouen und Deputirte an jene Nationalversammlungen einsendeten, um die¬
selben bei Berathung der geforderten Gesetze zu influiren. Wirklich, gelang es
ihnen in dem überstürzenden Drange jener Zeit, manche ihrer Forderungen --
z. B. in der von uns bereits angeführten preußischen Gewerbeordnung vom
2. Januar 1849 -- durchzusetzen. Doch erhielt das alte, zerbröckelte, mit dem
unabweisbaren Zeitbedürsniß im zu schroffen Widerspruch stehende System durch
solches einzelne Flickwerk keinen neuen Halt, und die Lage der Dinge hat sich
für den Handwerker dadurch um nichts gebessert, so daß die nach dieser Richtung
gemachten Anstrengungen als verfehlt angesehen werden müssen.

Nicht besser ging es den Lohnarbeitern. Nach den Beschlüssen ihres im
Sommer 18i8 zu Berlin zusammengetretenen Congresses wurde zwar ein Or¬
ganisationsplan entworfen. Da sollten sämmtliche Arbeiter eines Orts nach
ihren verschiedenen Branchen zusammentreten und Localcomitvs bilden, welche
den Bezirkscomitös in passend gelegenen größern Städten, und diese wieder
einem Centralcomitö -- vorläufig in Leipzig -- untergeordnet waren. Die
Localcomitös galten als Arbeitsnachweis- und Löhnungsbüreaus für alle Ar¬
beiter eines Orts, nur durch ihre Vermittlung konnte man Arbeiter erhalte",
nur an sie wurden die Löhne bezahlt, von denen sie gewisse Procente zu einem
gemeinschaftlichen Fond zurückbehielten, an dessen Erträge die Arbeiter erst nach
10 Jahren Ansprüche hatten. Der Fond sollte theils als Creditbank für die
Arbeiter, theils zum Ankauf von Grundstücken benutzt werden. Doch wollte
die ganze Orgcmisatio nicht Platz greifen, weil man von oben nach unten
organisirt, dem Ganzen eine Spitze, aber keine Basis gegeben halte. Denn
mit Einsetzung der Comites war nichts gethan, so lange eS an den Localverei-
nen fehlte und die Arbeiter sich nicht allgemein bethcili,gten. Um aber bei den
letztern Anklang zu finden, hätte man sich, statt die Sache in dieser Allgemein¬
heit anzugreifen, mehr an die speciellen Arbeitszweige anlehnen und nicht
gleich von Haus aus so weit aussehende, dem Gesichtskreise der Theilnehmer
zu fern stehende Unternehmungen projecriren müssen. Wirklich hieß es der
Resignation von Leuten, die bei beschränkten Mitteln von der Hand in den
Mund zu leben gewöhnt sind, zu viel zugemuthet, fortlaufende, ihnen sehr
fühlbare Lohnabzüge auf die Dauer von 10 Jahren zu verlangen, ohne ihnen
bis dahin einen irgend fühlbaren Vortheil zu gewähren. Zu diesen Mißstän-
den gesellten sich noch Verbote der Regierungen, welchen eine so weit zielende,


und versuchte eine Organisation von Arbeiterverbänden, welche mittelst der
Selbsthilfe der Betheiligten eine Verbesserung von deren Lage anstrebte.

Die eigentliche Handwerkerbewegung ging, ihrer angedeuteten Tendenz
nach, hauptsächlich darauf aus, Einfluß auf die Regierungen und die gesetz¬
gebenden Versammlungen, namentlich in Frankfurt und Berlin, zu gewinnen,
und organisirte sich in localen und provinciellen Handwerkervereinen, welche
Peritiouen und Deputirte an jene Nationalversammlungen einsendeten, um die¬
selben bei Berathung der geforderten Gesetze zu influiren. Wirklich, gelang es
ihnen in dem überstürzenden Drange jener Zeit, manche ihrer Forderungen —
z. B. in der von uns bereits angeführten preußischen Gewerbeordnung vom
2. Januar 1849 — durchzusetzen. Doch erhielt das alte, zerbröckelte, mit dem
unabweisbaren Zeitbedürsniß im zu schroffen Widerspruch stehende System durch
solches einzelne Flickwerk keinen neuen Halt, und die Lage der Dinge hat sich
für den Handwerker dadurch um nichts gebessert, so daß die nach dieser Richtung
gemachten Anstrengungen als verfehlt angesehen werden müssen.

Nicht besser ging es den Lohnarbeitern. Nach den Beschlüssen ihres im
Sommer 18i8 zu Berlin zusammengetretenen Congresses wurde zwar ein Or¬
ganisationsplan entworfen. Da sollten sämmtliche Arbeiter eines Orts nach
ihren verschiedenen Branchen zusammentreten und Localcomitvs bilden, welche
den Bezirkscomitös in passend gelegenen größern Städten, und diese wieder
einem Centralcomitö — vorläufig in Leipzig — untergeordnet waren. Die
Localcomitös galten als Arbeitsnachweis- und Löhnungsbüreaus für alle Ar¬
beiter eines Orts, nur durch ihre Vermittlung konnte man Arbeiter erhalte»,
nur an sie wurden die Löhne bezahlt, von denen sie gewisse Procente zu einem
gemeinschaftlichen Fond zurückbehielten, an dessen Erträge die Arbeiter erst nach
10 Jahren Ansprüche hatten. Der Fond sollte theils als Creditbank für die
Arbeiter, theils zum Ankauf von Grundstücken benutzt werden. Doch wollte
die ganze Orgcmisatio nicht Platz greifen, weil man von oben nach unten
organisirt, dem Ganzen eine Spitze, aber keine Basis gegeben halte. Denn
mit Einsetzung der Comites war nichts gethan, so lange eS an den Localverei-
nen fehlte und die Arbeiter sich nicht allgemein bethcili,gten. Um aber bei den
letztern Anklang zu finden, hätte man sich, statt die Sache in dieser Allgemein¬
heit anzugreifen, mehr an die speciellen Arbeitszweige anlehnen und nicht
gleich von Haus aus so weit aussehende, dem Gesichtskreise der Theilnehmer
zu fern stehende Unternehmungen projecriren müssen. Wirklich hieß es der
Resignation von Leuten, die bei beschränkten Mitteln von der Hand in den
Mund zu leben gewöhnt sind, zu viel zugemuthet, fortlaufende, ihnen sehr
fühlbare Lohnabzüge auf die Dauer von 10 Jahren zu verlangen, ohne ihnen
bis dahin einen irgend fühlbaren Vortheil zu gewähren. Zu diesen Mißstän-
den gesellten sich noch Verbote der Regierungen, welchen eine so weit zielende,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/130>, abgerufen am 26.06.2024.