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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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aus dem Ohre, dem dritten aus dem Kopfe, und im nächsten Augenblicke
waren sie alle wieder verschwunden." -- Ferner gehört hierher das Hinabstoßeu
von Schwertern in den Mund, das schon Plu lares erwähnt, indem er einen
Athener im Spotte über die spartanischen Degen sagen läßt, sie seien so kurz,
daß sie von den Gauklern leicht verschlungen werden könnten. Der Apparat,
welchen die Alten vielleicht auch zu diesem Kunststücke, gewiß aber auf der
Bühne benutzten, kam unserm Theaterdolch sehr nahe. In dem Romane deS
Achilles Tatius findet jemand in einem aus dem Meere gezogenen Kasten
einen Dolch, dessen Griff vier Handbreiten, der Stahl aber nur zwei Zoll lang
war. So lange man dieses Instrument mit der Spitze nach oben gekehrt hielt,
ragte der Stahl heraus, wenn man es aber zum Stoße zückte, verschwand die
Klinge in einer Nitze des Griffes. Widerwärtiger noch als diese Eisenfresserei
war das Frühstück der Gaukler, welche nach Chrysostomus (elv und^I. in-rrl^r.
p. 33 ) spitze Nägel und Schuhe zerkauten und verschluckten! Da liest man
denn doch noch lieber von dem berühmten Vielfraße des Kaisers Aurelian
(Vopiso. e. 30.), welcher an einem Tage einen ganzen Eber, 100 Brote, einen
Schöps und ein Ferkel verzehrte und dazu mehr als eine Tonne Wein aus
einem Trichter trank! Unter andern erwähnt auch Athenaeus des Lokrers
Diopithes, welcher sich in Theben sehen ließ; dieser umgürtete sich mit Schläu¬
chen voll Milch und Wein, preßte dieselben leer und pumpte die Flüssigkeiten
aus seinem Munde wieder heraus. Ein angehender Barnum scheint ferner
der bei Griechen und Römern bekannte Matreas aus Aleranbria gewesen zu
sein. Dieser Schwindler gab vor, ein Thier zu besitzen, welches sich selbst auf¬
fresse, weshalb man "och zu Athenäus Zeit einander oft im Scherze fragte,
was für eine Bestie das Thier des Matreas sei? Außerdem hielt er öffentliche
Vorlesungen über lustige Themata, z. B. warum die Sonne untertauche, ohne
zu schwimmen; warum die Schwämme zusammentränken, ohne miteinander zu
zechen; warum der Thaler verwechselt werde, ohne zu erzürnen? Endlich
stießen sich Gaukler in Antiochia Nägel in gewisse Theile deö Kopfes, undZder
Ausdruck "ein vernagelter Kopf" findet sich schon bei Chrysostomus, freilich erst
in eigentlicher Bedeutung.

Sodann fehlten auch die Kunststücke unsrer Feuerspeier und Unverbrenn-
lichen nicht auf dem Repertoir der alten Escamoteure. Die Gauklerinnen auf
der Hochzeit des Caranuö hauchten auch Feuer aus dem Munde. Der syrische
Sklave Eunus, welcher in der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. den ersten
sicilischen Sklavenausstand erregte und leitete, bediente sich (nach sslor. III. 19 u.
Dloclor 3i.) dieses Kunststückes, um seine göttliche Sendung zu beglaubigen
und bewerkstelligte es durch eine mit Schwefel gefüllte, durchbohrte Nußschale.
Durch dasselbe erbärmliche Wunder documentirte sich zu Hadrians Zeit der
jüdische Aufrührer Barcocheba als Messias und ließ sich der Kaiser Konstantins


aus dem Ohre, dem dritten aus dem Kopfe, und im nächsten Augenblicke
waren sie alle wieder verschwunden." — Ferner gehört hierher das Hinabstoßeu
von Schwertern in den Mund, das schon Plu lares erwähnt, indem er einen
Athener im Spotte über die spartanischen Degen sagen läßt, sie seien so kurz,
daß sie von den Gauklern leicht verschlungen werden könnten. Der Apparat,
welchen die Alten vielleicht auch zu diesem Kunststücke, gewiß aber auf der
Bühne benutzten, kam unserm Theaterdolch sehr nahe. In dem Romane deS
Achilles Tatius findet jemand in einem aus dem Meere gezogenen Kasten
einen Dolch, dessen Griff vier Handbreiten, der Stahl aber nur zwei Zoll lang
war. So lange man dieses Instrument mit der Spitze nach oben gekehrt hielt,
ragte der Stahl heraus, wenn man es aber zum Stoße zückte, verschwand die
Klinge in einer Nitze des Griffes. Widerwärtiger noch als diese Eisenfresserei
war das Frühstück der Gaukler, welche nach Chrysostomus (elv und^I. in-rrl^r.
p. 33 ) spitze Nägel und Schuhe zerkauten und verschluckten! Da liest man
denn doch noch lieber von dem berühmten Vielfraße des Kaisers Aurelian
(Vopiso. e. 30.), welcher an einem Tage einen ganzen Eber, 100 Brote, einen
Schöps und ein Ferkel verzehrte und dazu mehr als eine Tonne Wein aus
einem Trichter trank! Unter andern erwähnt auch Athenaeus des Lokrers
Diopithes, welcher sich in Theben sehen ließ; dieser umgürtete sich mit Schläu¬
chen voll Milch und Wein, preßte dieselben leer und pumpte die Flüssigkeiten
aus seinem Munde wieder heraus. Ein angehender Barnum scheint ferner
der bei Griechen und Römern bekannte Matreas aus Aleranbria gewesen zu
sein. Dieser Schwindler gab vor, ein Thier zu besitzen, welches sich selbst auf¬
fresse, weshalb man »och zu Athenäus Zeit einander oft im Scherze fragte,
was für eine Bestie das Thier des Matreas sei? Außerdem hielt er öffentliche
Vorlesungen über lustige Themata, z. B. warum die Sonne untertauche, ohne
zu schwimmen; warum die Schwämme zusammentränken, ohne miteinander zu
zechen; warum der Thaler verwechselt werde, ohne zu erzürnen? Endlich
stießen sich Gaukler in Antiochia Nägel in gewisse Theile deö Kopfes, undZder
Ausdruck „ein vernagelter Kopf" findet sich schon bei Chrysostomus, freilich erst
in eigentlicher Bedeutung.

Sodann fehlten auch die Kunststücke unsrer Feuerspeier und Unverbrenn-
lichen nicht auf dem Repertoir der alten Escamoteure. Die Gauklerinnen auf
der Hochzeit des Caranuö hauchten auch Feuer aus dem Munde. Der syrische
Sklave Eunus, welcher in der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. den ersten
sicilischen Sklavenausstand erregte und leitete, bediente sich (nach sslor. III. 19 u.
Dloclor 3i.) dieses Kunststückes, um seine göttliche Sendung zu beglaubigen
und bewerkstelligte es durch eine mit Schwefel gefüllte, durchbohrte Nußschale.
Durch dasselbe erbärmliche Wunder documentirte sich zu Hadrians Zeit der
jüdische Aufrührer Barcocheba als Messias und ließ sich der Kaiser Konstantins


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/112>, abgerufen am 18.06.2024.