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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Leser wird sich noch der tendlerschen Seiltänzer erinnern, die vor 20 Jahren
die Welt in Staunen setzten. Diese Marionetten waren nur ein paar Fuß
hoch. Ehe sie auf das Seil kamen, waren sie schlaff wie alle Puppen, so wie
sie aber der Künstler aufs Seil setzte, schienen sie plötzlich Leben zu bekommen;
sie schwangen sich kräftig hin und her, hielten sich bald mit zwei Händen, bald
mit einer Hand, schleuderten sich um das Seil herum, nahmen es zwischen die
Beine, streckten die Arme in die Höhe, stellten sich mit dem Kopfe daraus und
machten überhaupt eine Menge schwer zu erklärender Kunststücke. Auch diese
auf dem Seile balancirenden Männchen waren dem Alterthum nicht fremd.
Wenigstens fand der in CyzikuS erzogene Seleucus IV. (nach einer Notiz
Diodors) Vergnügen daran, (vier Ellen hohe) Puppen auf dem Seile vor sich
tanzen zu lassen. Ueberhaupt waren bewegliche Gliederpuppen nach Herodot
(II, 48.) schon den alten Aegyptern bekannt, und wenn Appulejus sagt (as
aurato II.): "Diejenigen, welche in hölzernen Puppen Bewegungen hervor¬
bringen, ziehen an den verschiedenen Fäden; dann dreht sich der Nacken, nickt
der Kopf, zucken die Augen, sind die Hände zu jeglichem Dienste bereit, scheint
die ganze Gestalt zu leben," so ergibt sich daraus, daß die Lebendigkeit der
Neurospasta -- so hießen die Puppen -- einen bedeutenden Grad der Voll¬
kommenheit erreicht hatte.

Elastische Kraft, geschmeidige und behende Fügsamkeit aller Muskeln erfor¬
derten ferner die Künste der Ventilatores und Pilarii, welche, wie Quintilian
sagt (X, 7.) "Alles, was sie in die Höhe warfen, wieder in ihre Hände zurück¬
kehren, und wo sie wollen, niederfallen ließen." Eine gute Vorübung zu
diesen Kunststücken waren bei Griechen und Römern die verschiedenen Arten
des Ballspiels. Schon bei Homer wird das orchastische Ballspiel der Nausikaa
erwähnt, und in den Gymnasien ertheilte später ein besonderer Lehrer Unterricht
in dieser Kunst. Wird also schon ein geschickter Spieler in dieser leichtesten
Art der Gymnastik Vorzügliches geleistet haben, so mag die Schilderung des
Manilius nicht übertreiben, wo es vom Ballgaukler heißt (V, 168.):


"Fliegenden Ball mit beweglichem Fuß vermag er zu schnellen,
Hcmddicnst leistet der Fuß, er treibt mit dem Fuß das Ballonspiel.
Ball auf Ball entfliegt des beweglichen Oberarms Muskeln.
Scharen von Bällen ergießen sich über die Glieder des Leibes!
So viel Glieder, so viel entwachsen auch Hände den Gliedern,
Damit erfaßt er die Kugeln, im Rückschwung schneller sie slügelnd,
Alle gelehrig dem Meister."

Anstatt der Bälle, welche wahrscheinlich aus polirtem Metalle bestanden,
nahmen andre Jongleure Ringe, Degen und andre Dinge. So warf die
Gauklerin bei Teuophon 12 Ringe während deS Tanzes in die Höhe und fing sie
der Reihe nach wieder aus. Dem gewandten Agathinus, welcher dasselbe Spiel


Leser wird sich noch der tendlerschen Seiltänzer erinnern, die vor 20 Jahren
die Welt in Staunen setzten. Diese Marionetten waren nur ein paar Fuß
hoch. Ehe sie auf das Seil kamen, waren sie schlaff wie alle Puppen, so wie
sie aber der Künstler aufs Seil setzte, schienen sie plötzlich Leben zu bekommen;
sie schwangen sich kräftig hin und her, hielten sich bald mit zwei Händen, bald
mit einer Hand, schleuderten sich um das Seil herum, nahmen es zwischen die
Beine, streckten die Arme in die Höhe, stellten sich mit dem Kopfe daraus und
machten überhaupt eine Menge schwer zu erklärender Kunststücke. Auch diese
auf dem Seile balancirenden Männchen waren dem Alterthum nicht fremd.
Wenigstens fand der in CyzikuS erzogene Seleucus IV. (nach einer Notiz
Diodors) Vergnügen daran, (vier Ellen hohe) Puppen auf dem Seile vor sich
tanzen zu lassen. Ueberhaupt waren bewegliche Gliederpuppen nach Herodot
(II, 48.) schon den alten Aegyptern bekannt, und wenn Appulejus sagt (as
aurato II.): „Diejenigen, welche in hölzernen Puppen Bewegungen hervor¬
bringen, ziehen an den verschiedenen Fäden; dann dreht sich der Nacken, nickt
der Kopf, zucken die Augen, sind die Hände zu jeglichem Dienste bereit, scheint
die ganze Gestalt zu leben," so ergibt sich daraus, daß die Lebendigkeit der
Neurospasta — so hießen die Puppen — einen bedeutenden Grad der Voll¬
kommenheit erreicht hatte.

Elastische Kraft, geschmeidige und behende Fügsamkeit aller Muskeln erfor¬
derten ferner die Künste der Ventilatores und Pilarii, welche, wie Quintilian
sagt (X, 7.) „Alles, was sie in die Höhe warfen, wieder in ihre Hände zurück¬
kehren, und wo sie wollen, niederfallen ließen." Eine gute Vorübung zu
diesen Kunststücken waren bei Griechen und Römern die verschiedenen Arten
des Ballspiels. Schon bei Homer wird das orchastische Ballspiel der Nausikaa
erwähnt, und in den Gymnasien ertheilte später ein besonderer Lehrer Unterricht
in dieser Kunst. Wird also schon ein geschickter Spieler in dieser leichtesten
Art der Gymnastik Vorzügliches geleistet haben, so mag die Schilderung des
Manilius nicht übertreiben, wo es vom Ballgaukler heißt (V, 168.):


„Fliegenden Ball mit beweglichem Fuß vermag er zu schnellen,
Hcmddicnst leistet der Fuß, er treibt mit dem Fuß das Ballonspiel.
Ball auf Ball entfliegt des beweglichen Oberarms Muskeln.
Scharen von Bällen ergießen sich über die Glieder des Leibes!
So viel Glieder, so viel entwachsen auch Hände den Gliedern,
Damit erfaßt er die Kugeln, im Rückschwung schneller sie slügelnd,
Alle gelehrig dem Meister."

Anstatt der Bälle, welche wahrscheinlich aus polirtem Metalle bestanden,
nahmen andre Jongleure Ringe, Degen und andre Dinge. So warf die
Gauklerin bei Teuophon 12 Ringe während deS Tanzes in die Höhe und fing sie
der Reihe nach wieder aus. Dem gewandten Agathinus, welcher dasselbe Spiel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/110>, abgerufen am 18.06.2024.