Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.verwilderten Geschmacke der späteren Römer, und eS nimmt deshalb nicht 43*
verwilderten Geschmacke der späteren Römer, und eS nimmt deshalb nicht 43*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0107" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104842"/> <p xml:id="ID_313" prev="#ID_312" next="#ID_314"> verwilderten Geschmacke der späteren Römer, und eS nimmt deshalb nicht<lb/> Wunder, wenn sie dergleichen Gauklern übertriebene Bewunderung zollten.<lb/> Eine genaue Beschreibung dieser mit den heutigen identischen Künste gibt<lb/> folgendes Fragment Petrons: „Auf untergestellten Balken werden Stricke aus<lb/> Werg gespannt, welche der Jüngling sicheren Fußes besteigt. Sodann beginnt<lb/> der luftige Wanderer seine Schritte und durchläuft den selbst für Vögel schwie¬<lb/> rigen Pfad. Die Arme ausbreitend lenkt er seine Schritte durch vie Leere,<lb/> damit nicht der Fuß vom schlanken Tau abgleite." Sieht man außerdem<lb/> aus diesen Worten, daß der Verfasser einen Seiltänzer vor Augen hat, der<lb/> ohne Balancirstangc oder Gewichte, durch bloßes Ausbreiten der Arme das<lb/> Gleichgewicht düll, so wäre es doch Thorheit, an der Erfindung jenes In¬<lb/> struments sür jene Zeit zu zweifeln. Vielleicht verschmähten nur die weit toll¬<lb/> kühneren Seilkünstler der Alten, wie auch manche spätere, dieses Hilfsmittel.<lb/> Die Balancirstange wird zwar nirgend erwähnt (die Worte Gregors von Nan-<lb/> cianz: „Für diejenigen, welche auf einer hohen Stange spazieren, ist es ge¬<lb/> fährlich, sich auch nur wenig auf die eine Seite zu neigen; Sicherheit gewährt<lb/> ihnen allein das Gleichgewicht," werden mit Unrecht ans sie bezogen), findet<lb/> sich aber doch auf einer Münze, die wir sogleich näher betrachten werden. Die<lb/> Vorstellungen fanden meist im Theater statt und wenn man heutzutage das<lb/> Seil von den Thürmen auf die Straßen herab gezogen sieht, so spannte man<lb/> damals den Catadromus (so nannte man das schiefe Seil) von den höchsten<lb/> Schwibbögen der Theater bis zur Orchestra herunter. Und was man früher<lb/> als das höchste Wagestück der Menschen anstaunte, das leistete in der Kaiser-<lb/> zeit das kolossalste und intelligenteste Thier, der Elephant! Zuerst gab dieses<lb/> sonderbare Schauspiel der nachmalige Kaiser Galba, als Prätor bei den<lb/> Spielen zu Ehren der Flora (Sueton. Kleed. VI.). Weit schwieriger als das<lb/> Hinansteigen, war aber sür den Riesen der Thierwelt das Herabschrciten auf<lb/> der abschüssigen, schmalen Bahn. Dennoch erzwang auch dies nach Suetous<lb/> und Dios Zeugniß der unsinnige Nero bei den Spielen, die er seiner ermor¬<lb/> deten Mutter zu Ehren feierte, und wie er überhaupt die vornehmsten Män¬<lb/> ner und Frauen zu den entwürdigendsten Handlungen drängte, nöthigte er<lb/> auch hier einen römischen Ritter aus berühmtem Geschlechte, den Elephanten<lb/> a» der Stelle des gewöhnlichen kleinen Aethiopen (Seneca Briefe, 8S,) zu<lb/> reiten. Wie wohl thut dagegen die Menschenfreundlichkeit deö edlen Antoni-<lb/> nus Philosophns, welcher nach ven unglücklichen Sturze eines Knaben den<lb/> Seiltänzern Polster unterzubreiten befahl, weshalb noch 120 Jahre später, zur<lb/> Zeit seines Biographen Capitolinus, bei denselben Gelegenheiten Netze aus-<lb/> gespannt zu werden pflegten (Capitolin. -12.)! Der Saitcntänzer (Nemobatcs),<lb/> welchen Caninus in den prachtvollen Spielen zu Ehren seines Vaters auf¬<lb/> treten ließ (Vvpisc. 19.) wird wol nicht, wie Böttiger meint, aus einem Darm-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 43*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0107]
verwilderten Geschmacke der späteren Römer, und eS nimmt deshalb nicht
Wunder, wenn sie dergleichen Gauklern übertriebene Bewunderung zollten.
Eine genaue Beschreibung dieser mit den heutigen identischen Künste gibt
folgendes Fragment Petrons: „Auf untergestellten Balken werden Stricke aus
Werg gespannt, welche der Jüngling sicheren Fußes besteigt. Sodann beginnt
der luftige Wanderer seine Schritte und durchläuft den selbst für Vögel schwie¬
rigen Pfad. Die Arme ausbreitend lenkt er seine Schritte durch vie Leere,
damit nicht der Fuß vom schlanken Tau abgleite." Sieht man außerdem
aus diesen Worten, daß der Verfasser einen Seiltänzer vor Augen hat, der
ohne Balancirstangc oder Gewichte, durch bloßes Ausbreiten der Arme das
Gleichgewicht düll, so wäre es doch Thorheit, an der Erfindung jenes In¬
struments sür jene Zeit zu zweifeln. Vielleicht verschmähten nur die weit toll¬
kühneren Seilkünstler der Alten, wie auch manche spätere, dieses Hilfsmittel.
Die Balancirstange wird zwar nirgend erwähnt (die Worte Gregors von Nan-
cianz: „Für diejenigen, welche auf einer hohen Stange spazieren, ist es ge¬
fährlich, sich auch nur wenig auf die eine Seite zu neigen; Sicherheit gewährt
ihnen allein das Gleichgewicht," werden mit Unrecht ans sie bezogen), findet
sich aber doch auf einer Münze, die wir sogleich näher betrachten werden. Die
Vorstellungen fanden meist im Theater statt und wenn man heutzutage das
Seil von den Thürmen auf die Straßen herab gezogen sieht, so spannte man
damals den Catadromus (so nannte man das schiefe Seil) von den höchsten
Schwibbögen der Theater bis zur Orchestra herunter. Und was man früher
als das höchste Wagestück der Menschen anstaunte, das leistete in der Kaiser-
zeit das kolossalste und intelligenteste Thier, der Elephant! Zuerst gab dieses
sonderbare Schauspiel der nachmalige Kaiser Galba, als Prätor bei den
Spielen zu Ehren der Flora (Sueton. Kleed. VI.). Weit schwieriger als das
Hinansteigen, war aber sür den Riesen der Thierwelt das Herabschrciten auf
der abschüssigen, schmalen Bahn. Dennoch erzwang auch dies nach Suetous
und Dios Zeugniß der unsinnige Nero bei den Spielen, die er seiner ermor¬
deten Mutter zu Ehren feierte, und wie er überhaupt die vornehmsten Män¬
ner und Frauen zu den entwürdigendsten Handlungen drängte, nöthigte er
auch hier einen römischen Ritter aus berühmtem Geschlechte, den Elephanten
a» der Stelle des gewöhnlichen kleinen Aethiopen (Seneca Briefe, 8S,) zu
reiten. Wie wohl thut dagegen die Menschenfreundlichkeit deö edlen Antoni-
nus Philosophns, welcher nach ven unglücklichen Sturze eines Knaben den
Seiltänzern Polster unterzubreiten befahl, weshalb noch 120 Jahre später, zur
Zeit seines Biographen Capitolinus, bei denselben Gelegenheiten Netze aus-
gespannt zu werden pflegten (Capitolin. -12.)! Der Saitcntänzer (Nemobatcs),
welchen Caninus in den prachtvollen Spielen zu Ehren seines Vaters auf¬
treten ließ (Vvpisc. 19.) wird wol nicht, wie Böttiger meint, aus einem Darm-
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