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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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mitgetheilte bildliche Darstellung eines solchen Gerüstes auf einem grie¬
chischen Nasengemälde in Uebereinstimmung gebracht werden können. Hier
erblickt man nämlich einen horizontalen Balken in seinem Mittelpunkte aus
einer dreikantigen Unterlage schwebend, so daß das Ganze den von den Kin¬
dern aus Bauholz oder Bretern construirten Schaukeln gleicht. An den bei¬
den Enden des Balkens befinden sich zwei Satyrn, kniend und sich bei den
Händen fassend, um beim Schaukeln nicht herunterzufallen. Diese ursprüng¬
liche, einfache Form des Petaurum -- welches eigentlich die Stange ist, auf
der die Hühner in der Nacht sitzen -- wird jedenfalls später viel complicirter
geworden sein und man wird wahrscheinlich verschiedene Schwungmaschinen
mit diesem Namen belegt haben. Namentlich gilt dies von dem freistehenden,
sich drehenden Rabe, welches von Vielen für das eigentliche Petaurum ge¬
halten worden ist. Aus dieses legten sich zwei Gaukler so, daß der eine sich
oben zu erhalten strebte, während der andere durch Umdrehen den Gegner
herabzuschleudern versuchte, zuweilen flogen sie dann mit elastischem Sprunge
weil weg und überschlugen sich in der Luft, "den Delphinen in ihren Bewe¬
gungen gleichend," oder sie wanden sich blitzschnell durch das Rad, ohne den
Kreis zu berühren (Martial Xi. 2-1.). Auch brennende oder glühende Reife
wurden zum Durchspringen genommen. Nicht nur Manilius gedenkt ihrer,
sondern auch in Petronius bei TrimalchioS Gastmahl, der übrigens sich nicht
scheut, seinen Gästen zu erklären, daß er Petauristeu uno Wachtelkämpfe
über alle Schauspiele setze (c. ö3.), springt ein Knabe durch brennende Reise
und hält mit den Zähnen eine Amphora, nachdem er eine Leiter erklettert
und oben nach der Melodie eines Liedchens getanzt hatte. Endlich sei es ge¬
stattet, die Stelle aus ManethoS astrologischen Gedichte, welche die Luft¬
springer angeht, nach der böttigerschen Uebersetzung noch herzuschreiben:


"Kräftiger Werke Vollbringer erzeugt sie (die Sonne), mit mühsamer Spiellust,
Pobclbefreundcte Gaukler, Theaterlustige, schwebend
Himmelan, auf den Gerüsten fortfliegende Pctauristcn,
Zwischen der Erd' und dem Aether bemessene Werke beeilend. --
Ziehende Vogel im Lande, die allerverworfenste Stadtbrut."

Zunächst verwandt mit diesen beflügelter Künstlern ist der Wanderer auf
der luftigen Bahn des Seiles, von welchem ein altes Räthsel (Lactanz, Gast¬
mahl, c. 93.) sagt:

"Wenig breit ist der Pfad und reichet nicht hin für die Füße." Dieses
uralte, halsbrecherische Wagestück ist fast die gemeinste unter allen diesen
Künsten, weil es beim Zuschauer nicht einmal den Reiz des Wunderbaren
und Ueberraschenden, sondern nur die ängstliche Spannung des Gefährlichen
erzeugt, "dem der Künstler," wie Manilius sagt, "sein Talent verkauft." Aber
grade dieser Kitzel gefiel dem durch Gladiatorengefechte und Thierschlächtereien


mitgetheilte bildliche Darstellung eines solchen Gerüstes auf einem grie¬
chischen Nasengemälde in Uebereinstimmung gebracht werden können. Hier
erblickt man nämlich einen horizontalen Balken in seinem Mittelpunkte aus
einer dreikantigen Unterlage schwebend, so daß das Ganze den von den Kin¬
dern aus Bauholz oder Bretern construirten Schaukeln gleicht. An den bei¬
den Enden des Balkens befinden sich zwei Satyrn, kniend und sich bei den
Händen fassend, um beim Schaukeln nicht herunterzufallen. Diese ursprüng¬
liche, einfache Form des Petaurum — welches eigentlich die Stange ist, auf
der die Hühner in der Nacht sitzen — wird jedenfalls später viel complicirter
geworden sein und man wird wahrscheinlich verschiedene Schwungmaschinen
mit diesem Namen belegt haben. Namentlich gilt dies von dem freistehenden,
sich drehenden Rabe, welches von Vielen für das eigentliche Petaurum ge¬
halten worden ist. Aus dieses legten sich zwei Gaukler so, daß der eine sich
oben zu erhalten strebte, während der andere durch Umdrehen den Gegner
herabzuschleudern versuchte, zuweilen flogen sie dann mit elastischem Sprunge
weil weg und überschlugen sich in der Luft, „den Delphinen in ihren Bewe¬
gungen gleichend," oder sie wanden sich blitzschnell durch das Rad, ohne den
Kreis zu berühren (Martial Xi. 2-1.). Auch brennende oder glühende Reife
wurden zum Durchspringen genommen. Nicht nur Manilius gedenkt ihrer,
sondern auch in Petronius bei TrimalchioS Gastmahl, der übrigens sich nicht
scheut, seinen Gästen zu erklären, daß er Petauristeu uno Wachtelkämpfe
über alle Schauspiele setze (c. ö3.), springt ein Knabe durch brennende Reise
und hält mit den Zähnen eine Amphora, nachdem er eine Leiter erklettert
und oben nach der Melodie eines Liedchens getanzt hatte. Endlich sei es ge¬
stattet, die Stelle aus ManethoS astrologischen Gedichte, welche die Luft¬
springer angeht, nach der böttigerschen Uebersetzung noch herzuschreiben:


„Kräftiger Werke Vollbringer erzeugt sie (die Sonne), mit mühsamer Spiellust,
Pobclbefreundcte Gaukler, Theaterlustige, schwebend
Himmelan, auf den Gerüsten fortfliegende Pctauristcn,
Zwischen der Erd' und dem Aether bemessene Werke beeilend. —
Ziehende Vogel im Lande, die allerverworfenste Stadtbrut."

Zunächst verwandt mit diesen beflügelter Künstlern ist der Wanderer auf
der luftigen Bahn des Seiles, von welchem ein altes Räthsel (Lactanz, Gast¬
mahl, c. 93.) sagt:

„Wenig breit ist der Pfad und reichet nicht hin für die Füße." Dieses
uralte, halsbrecherische Wagestück ist fast die gemeinste unter allen diesen
Künsten, weil es beim Zuschauer nicht einmal den Reiz des Wunderbaren
und Ueberraschenden, sondern nur die ängstliche Spannung des Gefährlichen
erzeugt, „dem der Künstler," wie Manilius sagt, „sein Talent verkauft." Aber
grade dieser Kitzel gefiel dem durch Gladiatorengefechte und Thierschlächtereien


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[0106] mitgetheilte bildliche Darstellung eines solchen Gerüstes auf einem grie¬ chischen Nasengemälde in Uebereinstimmung gebracht werden können. Hier erblickt man nämlich einen horizontalen Balken in seinem Mittelpunkte aus einer dreikantigen Unterlage schwebend, so daß das Ganze den von den Kin¬ dern aus Bauholz oder Bretern construirten Schaukeln gleicht. An den bei¬ den Enden des Balkens befinden sich zwei Satyrn, kniend und sich bei den Händen fassend, um beim Schaukeln nicht herunterzufallen. Diese ursprüng¬ liche, einfache Form des Petaurum — welches eigentlich die Stange ist, auf der die Hühner in der Nacht sitzen — wird jedenfalls später viel complicirter geworden sein und man wird wahrscheinlich verschiedene Schwungmaschinen mit diesem Namen belegt haben. Namentlich gilt dies von dem freistehenden, sich drehenden Rabe, welches von Vielen für das eigentliche Petaurum ge¬ halten worden ist. Aus dieses legten sich zwei Gaukler so, daß der eine sich oben zu erhalten strebte, während der andere durch Umdrehen den Gegner herabzuschleudern versuchte, zuweilen flogen sie dann mit elastischem Sprunge weil weg und überschlugen sich in der Luft, „den Delphinen in ihren Bewe¬ gungen gleichend," oder sie wanden sich blitzschnell durch das Rad, ohne den Kreis zu berühren (Martial Xi. 2-1.). Auch brennende oder glühende Reife wurden zum Durchspringen genommen. Nicht nur Manilius gedenkt ihrer, sondern auch in Petronius bei TrimalchioS Gastmahl, der übrigens sich nicht scheut, seinen Gästen zu erklären, daß er Petauristeu uno Wachtelkämpfe über alle Schauspiele setze (c. ö3.), springt ein Knabe durch brennende Reise und hält mit den Zähnen eine Amphora, nachdem er eine Leiter erklettert und oben nach der Melodie eines Liedchens getanzt hatte. Endlich sei es ge¬ stattet, die Stelle aus ManethoS astrologischen Gedichte, welche die Luft¬ springer angeht, nach der böttigerschen Uebersetzung noch herzuschreiben: „Kräftiger Werke Vollbringer erzeugt sie (die Sonne), mit mühsamer Spiellust, Pobclbefreundcte Gaukler, Theaterlustige, schwebend Himmelan, auf den Gerüsten fortfliegende Pctauristcn, Zwischen der Erd' und dem Aether bemessene Werke beeilend. — Ziehende Vogel im Lande, die allerverworfenste Stadtbrut." Zunächst verwandt mit diesen beflügelter Künstlern ist der Wanderer auf der luftigen Bahn des Seiles, von welchem ein altes Räthsel (Lactanz, Gast¬ mahl, c. 93.) sagt: „Wenig breit ist der Pfad und reichet nicht hin für die Füße." Dieses uralte, halsbrecherische Wagestück ist fast die gemeinste unter allen diesen Künsten, weil es beim Zuschauer nicht einmal den Reiz des Wunderbaren und Ueberraschenden, sondern nur die ängstliche Spannung des Gefährlichen erzeugt, „dem der Künstler," wie Manilius sagt, „sein Talent verkauft." Aber grade dieser Kitzel gefiel dem durch Gladiatorengefechte und Thierschlächtereien

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/106>, abgerufen am 18.06.2024.