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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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erzählt, daß dabei die indischen Wunderthäter alle anderen übertroffen hätten,
so ist kein Grund vorhanden, an der Nichtigkeit dieser Angabe, zu zweifeln,
obgleich Athenäus als die ausgezeichnetsten Thaumaturgen bei diesem berühm¬
ten Feste drei Griechen nennt. Waren ja schon die Leistungen des armlosen
indischen Krüppels staunenswerth, welcher vom König Porus dem Kaiser Au-
gustus zum Geschenke gesandt worden war, und Bogen spannen, Pfeile ab¬
schießen und die Trompete blasen konnte!

Die Geltung dieser Menschenclasse in der allgemeinen Meinung richtete
sich natürlich nach, der Kunstfertigkeit der Einzelnen und nach den verschiedenen
Zeiten der geschichtlichen Entwicklung. Während die großen Hexenmeister ganze
Städte in Staunen setzten, die höchsten Feste mit verherrlichen halsen und
ihrem Namen ein ebenso gutes Stück Unsterblichkeit verschafften, wie in unse¬
rer Zeit Philadelphia, Bvsko und Dobler, war der ganze Stand in geringer
Achtung. Es hatten nicht blos die Benennungen für die einzelnen Branchen
der Jonglerie, wie Petaurista, Praestigiator, Funambulus, Agyrtes, Thau-
matopoios, Parabolus, eine verächtliche Nebenbedeutung, sondern man be¬
legte auch die ganze Zunft mit den nicht ehrenden Namen: Landstreicher, Be¬
trüger, Bettler, Lügenkünstler, Marktschreier. Der Schein deö Uebernatürlichen
und Unmöglichen übte zu allen Zeiten eine große Anziehungskraft auf die
Menge; aber die herumziehende, leichtfertige Lebensweise und das Betrügliche
und Diebische in ihren Productionen ließ immer auch nach Befriedigung der
Schaulust eine geheime Abneigung vor den Künstlern in den Zuschauern zu¬
rück. Wenn daher das Bäuerlein, welches (nach AlciphronS Briefen, III. 20.)
M Athen die Kunststücke eines Gauklers gesehen hatte, seinem Nachbar schreibt:
"Das ist der ärgste Dieb, der es mit den berüchtigtsten Gaunern aufnehmen
könnte! Möge nie eine solche Bestie auf mein Gut kommen! Der würde von
niemand gefangen werden und mir alles aus dem Hause und vom Felde
stehlen!" so könnte man getrost diese Worte einem Zeitgenossen in den Mund
legen. Die Geltung der Gaukler stieg aber bei Griechen und Römern mit
der Entartung der Sitten und mit der sich ins Unendliche vergrößernden Schau¬
lust und Vergnügungssucht. Von den Griechen sagt Athenaeus (l. 3i.) aus¬
drücklich: "Die handwerksmäßigen Künste setzten die Hellenen später bei weitem
über die Erfindungen und Kunstwerke des Genies und der Wissenschaft." Unter
dem "später" versteht er vorzüglich die Zeit des politischen Untergangs, der
macedonischen Herrschaft. Damals beschenkten die Athener den Karystier Ari-
stvnicuS, einen bei Alexander in Gunst stehenden Ballspieler, wegen dieser,
Kunstfertigkeit mit dem Bügerrechte und mit einem Standbilde; damals räum¬
ten sie dem Marionettcnspieler Pothinuö dieselbe Bühne ein, vor welcher die
Zeitgenossen des Euripides in göttlicher Begeisterung geschwärmt hatten, und
errichteten dem Gaukler EurMides im Theater eine Bildsäule neben Aeschylus.


erzählt, daß dabei die indischen Wunderthäter alle anderen übertroffen hätten,
so ist kein Grund vorhanden, an der Nichtigkeit dieser Angabe, zu zweifeln,
obgleich Athenäus als die ausgezeichnetsten Thaumaturgen bei diesem berühm¬
ten Feste drei Griechen nennt. Waren ja schon die Leistungen des armlosen
indischen Krüppels staunenswerth, welcher vom König Porus dem Kaiser Au-
gustus zum Geschenke gesandt worden war, und Bogen spannen, Pfeile ab¬
schießen und die Trompete blasen konnte!

Die Geltung dieser Menschenclasse in der allgemeinen Meinung richtete
sich natürlich nach, der Kunstfertigkeit der Einzelnen und nach den verschiedenen
Zeiten der geschichtlichen Entwicklung. Während die großen Hexenmeister ganze
Städte in Staunen setzten, die höchsten Feste mit verherrlichen halsen und
ihrem Namen ein ebenso gutes Stück Unsterblichkeit verschafften, wie in unse¬
rer Zeit Philadelphia, Bvsko und Dobler, war der ganze Stand in geringer
Achtung. Es hatten nicht blos die Benennungen für die einzelnen Branchen
der Jonglerie, wie Petaurista, Praestigiator, Funambulus, Agyrtes, Thau-
matopoios, Parabolus, eine verächtliche Nebenbedeutung, sondern man be¬
legte auch die ganze Zunft mit den nicht ehrenden Namen: Landstreicher, Be¬
trüger, Bettler, Lügenkünstler, Marktschreier. Der Schein deö Uebernatürlichen
und Unmöglichen übte zu allen Zeiten eine große Anziehungskraft auf die
Menge; aber die herumziehende, leichtfertige Lebensweise und das Betrügliche
und Diebische in ihren Productionen ließ immer auch nach Befriedigung der
Schaulust eine geheime Abneigung vor den Künstlern in den Zuschauern zu¬
rück. Wenn daher das Bäuerlein, welches (nach AlciphronS Briefen, III. 20.)
M Athen die Kunststücke eines Gauklers gesehen hatte, seinem Nachbar schreibt:
„Das ist der ärgste Dieb, der es mit den berüchtigtsten Gaunern aufnehmen
könnte! Möge nie eine solche Bestie auf mein Gut kommen! Der würde von
niemand gefangen werden und mir alles aus dem Hause und vom Felde
stehlen!" so könnte man getrost diese Worte einem Zeitgenossen in den Mund
legen. Die Geltung der Gaukler stieg aber bei Griechen und Römern mit
der Entartung der Sitten und mit der sich ins Unendliche vergrößernden Schau¬
lust und Vergnügungssucht. Von den Griechen sagt Athenaeus (l. 3i.) aus¬
drücklich: „Die handwerksmäßigen Künste setzten die Hellenen später bei weitem
über die Erfindungen und Kunstwerke des Genies und der Wissenschaft." Unter
dem „später" versteht er vorzüglich die Zeit des politischen Untergangs, der
macedonischen Herrschaft. Damals beschenkten die Athener den Karystier Ari-
stvnicuS, einen bei Alexander in Gunst stehenden Ballspieler, wegen dieser,
Kunstfertigkeit mit dem Bügerrechte und mit einem Standbilde; damals räum¬
ten sie dem Marionettcnspieler Pothinuö dieselbe Bühne ein, vor welcher die
Zeitgenossen des Euripides in göttlicher Begeisterung geschwärmt hatten, und
errichteten dem Gaukler EurMides im Theater eine Bildsäule neben Aeschylus.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/103>, abgerufen am 23.07.2024.