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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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im Voraus bekannter ist, während obendrein die meisten sich noch über die
Gefahren des Börsenspiels Täuschungen hingeben. Nur eine Classe von regel¬
mäßigen Fondsbörsenbesuchern steht bei nur gewöhnlicher Vorsicht ziemlich frei
von Verlusten da; es sind dies die Makler, welche sich inmitten all jener
unternehmenden Geister bewegen, Geschäfte nicht blos vermittelnd, sondern auch
veranlassend. Die Makler sind das Salz der Börsen, und welche, mögen
andere an den Coursen gewinnen oder verlieren, ihre Courtage verdienen. Wo
die Zahl der Fondsmakler begrenzt und zugleich ein lebhaftes Fondsgeschäft
besteht, wie in Paris, da verdienen sie alljährlich ganz ungeheure Summen.
Hinter den Maklern verstecken sich übrigens häufig ganz andere Namen und
Interessen, welche die Luft der Oeffentlichkeit zu scheuen für gerathen finden.

Zwischen dem Fondshandel und jedem andern Geschäftszweige besteht ein
sehr radikaler Unterschied, der in den Bedingungen ihrer Existenz liegt. Der
eigentliche Handelsverkehr ist auf wirkliche Bedürfnisse gerichtet, nämlich die
Zuführung von Stoffen und Fabrikaten aller Arten zur Konsumtion, entweder
direct oder auf dem Umwege mehrfacher Verarbeitungen. Mag auch immerhin
die Spekulation neue Bedürfnisse des consumirenden Publicums so zu sagen
schaffen; in dem Begehr und der Genußfähigkeit der Einzelnen und der Völker
sind hier Grenzen gegeben, die nicht ungestraft überschritten werden können.
Selbst der eigentliche Geldhandel, das Bankiergeschäft, hilft diesem allgemeinen
Verkehr nur die Mittel an die Hand geben, durch Wechsel, durch Discontiren,
durch Geldumsätze und Credite; so lange er auf sicherem Boden gedeihen will,
darf er sich aus den Kreisen deS regelmäßigen Waarengeschästs nicht entfernen
oder nur mit der allergrößten Vorsicht in das Fondsgeschäft hinübergreifen.
Dieses aber beruht in der That nirgend aus wirklichen, sondern ausschließlich auf
künstlich erschaffenen Bedürfnissen. Sein Wirkungskreis ist nicht an
eine Konsumtion gebunden, die wiederum in der Verzehrungsfähigkeit ihre
Grenzen findet, sondern an das Nimmersatte Streben Geld zu verdienen.
Auch die Werkzeuge, mit denen eS arbeitet, sind nicht wie die Handelsgüter
nur innerhalb einer gewissen Grenze zu beschaffen, sie sind vielmehr einer ganz
unberechenbaren Ausdehnung sähig, und wo sie in Wirklichkeit fehlen, genügt
es vollständig, sie zu fingiren. Das Auf und Nieder der Waarenpreise be¬
ruht aus Produktion und Begehr; die reichlichste Produktion wird mit der
Zeit vom Begehr eingeholt und der stärkste Begehr verursacht nur noch größere
Production. DaS Auf und Nieder der Fondspreise dagegen geht von un¬
berechenbaren Zufälligkeiten aus, von der vorübergehenden Gunst der Verhält¬
nisse, von dem jeweiligen Geldvorrath der spekulativen Köpfe, von der Sicher¬
heit oder Unsicherheit der politischen Zustände, vor allem von dem, was die
Fondsbörse "Meinung" nennt, jenem unbestimmten Etwas, das sich noch
weniger an Regeln bindet, alö das Wetter. Der wesentlichste Unterschied


im Voraus bekannter ist, während obendrein die meisten sich noch über die
Gefahren des Börsenspiels Täuschungen hingeben. Nur eine Classe von regel¬
mäßigen Fondsbörsenbesuchern steht bei nur gewöhnlicher Vorsicht ziemlich frei
von Verlusten da; es sind dies die Makler, welche sich inmitten all jener
unternehmenden Geister bewegen, Geschäfte nicht blos vermittelnd, sondern auch
veranlassend. Die Makler sind das Salz der Börsen, und welche, mögen
andere an den Coursen gewinnen oder verlieren, ihre Courtage verdienen. Wo
die Zahl der Fondsmakler begrenzt und zugleich ein lebhaftes Fondsgeschäft
besteht, wie in Paris, da verdienen sie alljährlich ganz ungeheure Summen.
Hinter den Maklern verstecken sich übrigens häufig ganz andere Namen und
Interessen, welche die Luft der Oeffentlichkeit zu scheuen für gerathen finden.

Zwischen dem Fondshandel und jedem andern Geschäftszweige besteht ein
sehr radikaler Unterschied, der in den Bedingungen ihrer Existenz liegt. Der
eigentliche Handelsverkehr ist auf wirkliche Bedürfnisse gerichtet, nämlich die
Zuführung von Stoffen und Fabrikaten aller Arten zur Konsumtion, entweder
direct oder auf dem Umwege mehrfacher Verarbeitungen. Mag auch immerhin
die Spekulation neue Bedürfnisse des consumirenden Publicums so zu sagen
schaffen; in dem Begehr und der Genußfähigkeit der Einzelnen und der Völker
sind hier Grenzen gegeben, die nicht ungestraft überschritten werden können.
Selbst der eigentliche Geldhandel, das Bankiergeschäft, hilft diesem allgemeinen
Verkehr nur die Mittel an die Hand geben, durch Wechsel, durch Discontiren,
durch Geldumsätze und Credite; so lange er auf sicherem Boden gedeihen will,
darf er sich aus den Kreisen deS regelmäßigen Waarengeschästs nicht entfernen
oder nur mit der allergrößten Vorsicht in das Fondsgeschäft hinübergreifen.
Dieses aber beruht in der That nirgend aus wirklichen, sondern ausschließlich auf
künstlich erschaffenen Bedürfnissen. Sein Wirkungskreis ist nicht an
eine Konsumtion gebunden, die wiederum in der Verzehrungsfähigkeit ihre
Grenzen findet, sondern an das Nimmersatte Streben Geld zu verdienen.
Auch die Werkzeuge, mit denen eS arbeitet, sind nicht wie die Handelsgüter
nur innerhalb einer gewissen Grenze zu beschaffen, sie sind vielmehr einer ganz
unberechenbaren Ausdehnung sähig, und wo sie in Wirklichkeit fehlen, genügt
es vollständig, sie zu fingiren. Das Auf und Nieder der Waarenpreise be¬
ruht aus Produktion und Begehr; die reichlichste Produktion wird mit der
Zeit vom Begehr eingeholt und der stärkste Begehr verursacht nur noch größere
Production. DaS Auf und Nieder der Fondspreise dagegen geht von un¬
berechenbaren Zufälligkeiten aus, von der vorübergehenden Gunst der Verhält¬
nisse, von dem jeweiligen Geldvorrath der spekulativen Köpfe, von der Sicher¬
heit oder Unsicherheit der politischen Zustände, vor allem von dem, was die
Fondsbörse „Meinung" nennt, jenem unbestimmten Etwas, das sich noch
weniger an Regeln bindet, alö das Wetter. Der wesentlichste Unterschied


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/98>, abgerufen am 23.07.2024.