Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

fernern Zinsen entweder für den Staat selbst entgegenzunehmen oder die
Papiere zu vernichten. Allein abgesehen von der Jmmoralität eines Ver¬
fahrens, daß man seinen eignen schlechten Credit benutzt, um sich seiner Schulden
zu entledigen, wird die Staatsverwaltung dadurch auf Irrwege geführt. Auch
hier gibt es kostspielige Verwaltungen, auch hier große, die Begehrlichkeit an¬
regende Capitalien, und was das Schlimmste ist, der Staat legt sich die Pflicht
auf, seine eignen Papiere zu entwerthen und übernimmt so zu sagen die Lei¬
tung des Börsenspiels. So ist man denn endlich auf das einfachste Verfahren
zurückgelangt, nämlich seine Schulden aus den Einnahmeüberschüsscn, sobald
solche da sind, zu bezahlen und ist damit mindestens ebenso weit, wenn nicht
weiter gekommen, als auf dem bisherigen Umwege. Es gilt dies namentlich
von England, während in Frankreich noch die Schuldentilgungskasse besteht,
ohne Nutzen für den Staat freilich, aber zur großen Erbauung des an der
Börsenagiotage betheiligten Publicums, dessen Spcculationseifer sie immer
neue Nahrung zuführt.

In den neuesten Zeiten sind es indeß nicht vorzugsweise mehr die Papiere
der Regierungen, die dem Fondsgeschäft die Hauptnahrung geben; denn mehr
wie je in einer frühern Zeit machen Actien und Obligationen von Privat¬
gesellschaften den Staatspapieren eine außerordentliche Concurrenz. Erst
kamen die Eisenbahnen, dann die Banken, welche zahllose Actien creirten und
dem Verkehre überlieferten. Sie verdrängten die Staatspapiere um so eher, da sie
bei scheinbarer Sicherheit weit größere Erträge versprachen, als diese, und weil
sie überhaupt dem Börsenspiel ein weit ergiebigeres Fell? boten. Je nach den
Aussichten, welche an eine solche Unternehmung sich knüpften oder zu knüpfen
schienen, fiel oder stieg der Cours dieser Papiere. Da ward denn daS ganze
ungeheure Heer von Vermuthungen, Gerüchten, Fabeln, Verdächtigungen,
Eingesandtes und sonstigen ehrlichen Manoeuvern dieser Art aufgeboten, um
das Gut des Nächsten womöglich in die eigne Tasche zu locken, und je eifriger
dies betrieben wurde, um so "lebhafter" war dann auch das Börsenspiel. Um
zu begreifen, wie wenig grade die Börsen der Sitz einer höhern Intelligenz
in Geldangelegenheiten sind, braucht man nur darauf hinzuweisen, wie grade
die unsolidesten waghalsigsten Unternehmungen sich zeitweilig ihrer größten
Gunst erfreuen konnten. Und zwar ist dies nicht bloßer Zufall, sondern eine
innere Nothwendigkeit, wie wir nunmehr, zum Börsenspiel selbst übergehend,
zeigen werden.

Das an den Fondsbörsen regelmäßig verkehrende oder mit ihnen in Ver¬
bindung stehende Publicum besteht aus ganz verschiedenen Elementen, mit zum
Theil widerstreitenden Interessen. Da sind zuerst diejenigen, welche aus der
Agiotage ihren gewöhnlichen Erwerb machen, die großen und die kleinen
Speculanten. Nur die erstem können mit einiger Sicherheit deS Erfolgs operiren,


fernern Zinsen entweder für den Staat selbst entgegenzunehmen oder die
Papiere zu vernichten. Allein abgesehen von der Jmmoralität eines Ver¬
fahrens, daß man seinen eignen schlechten Credit benutzt, um sich seiner Schulden
zu entledigen, wird die Staatsverwaltung dadurch auf Irrwege geführt. Auch
hier gibt es kostspielige Verwaltungen, auch hier große, die Begehrlichkeit an¬
regende Capitalien, und was das Schlimmste ist, der Staat legt sich die Pflicht
auf, seine eignen Papiere zu entwerthen und übernimmt so zu sagen die Lei¬
tung des Börsenspiels. So ist man denn endlich auf das einfachste Verfahren
zurückgelangt, nämlich seine Schulden aus den Einnahmeüberschüsscn, sobald
solche da sind, zu bezahlen und ist damit mindestens ebenso weit, wenn nicht
weiter gekommen, als auf dem bisherigen Umwege. Es gilt dies namentlich
von England, während in Frankreich noch die Schuldentilgungskasse besteht,
ohne Nutzen für den Staat freilich, aber zur großen Erbauung des an der
Börsenagiotage betheiligten Publicums, dessen Spcculationseifer sie immer
neue Nahrung zuführt.

In den neuesten Zeiten sind es indeß nicht vorzugsweise mehr die Papiere
der Regierungen, die dem Fondsgeschäft die Hauptnahrung geben; denn mehr
wie je in einer frühern Zeit machen Actien und Obligationen von Privat¬
gesellschaften den Staatspapieren eine außerordentliche Concurrenz. Erst
kamen die Eisenbahnen, dann die Banken, welche zahllose Actien creirten und
dem Verkehre überlieferten. Sie verdrängten die Staatspapiere um so eher, da sie
bei scheinbarer Sicherheit weit größere Erträge versprachen, als diese, und weil
sie überhaupt dem Börsenspiel ein weit ergiebigeres Fell? boten. Je nach den
Aussichten, welche an eine solche Unternehmung sich knüpften oder zu knüpfen
schienen, fiel oder stieg der Cours dieser Papiere. Da ward denn daS ganze
ungeheure Heer von Vermuthungen, Gerüchten, Fabeln, Verdächtigungen,
Eingesandtes und sonstigen ehrlichen Manoeuvern dieser Art aufgeboten, um
das Gut des Nächsten womöglich in die eigne Tasche zu locken, und je eifriger
dies betrieben wurde, um so „lebhafter" war dann auch das Börsenspiel. Um
zu begreifen, wie wenig grade die Börsen der Sitz einer höhern Intelligenz
in Geldangelegenheiten sind, braucht man nur darauf hinzuweisen, wie grade
die unsolidesten waghalsigsten Unternehmungen sich zeitweilig ihrer größten
Gunst erfreuen konnten. Und zwar ist dies nicht bloßer Zufall, sondern eine
innere Nothwendigkeit, wie wir nunmehr, zum Börsenspiel selbst übergehend,
zeigen werden.

Das an den Fondsbörsen regelmäßig verkehrende oder mit ihnen in Ver¬
bindung stehende Publicum besteht aus ganz verschiedenen Elementen, mit zum
Theil widerstreitenden Interessen. Da sind zuerst diejenigen, welche aus der
Agiotage ihren gewöhnlichen Erwerb machen, die großen und die kleinen
Speculanten. Nur die erstem können mit einiger Sicherheit deS Erfolgs operiren,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0096" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104297"/>
          <p xml:id="ID_267" prev="#ID_266"> fernern Zinsen entweder für den Staat selbst entgegenzunehmen oder die<lb/>
Papiere zu vernichten. Allein abgesehen von der Jmmoralität eines Ver¬<lb/>
fahrens, daß man seinen eignen schlechten Credit benutzt, um sich seiner Schulden<lb/>
zu entledigen, wird die Staatsverwaltung dadurch auf Irrwege geführt. Auch<lb/>
hier gibt es kostspielige Verwaltungen, auch hier große, die Begehrlichkeit an¬<lb/>
regende Capitalien, und was das Schlimmste ist, der Staat legt sich die Pflicht<lb/>
auf, seine eignen Papiere zu entwerthen und übernimmt so zu sagen die Lei¬<lb/>
tung des Börsenspiels. So ist man denn endlich auf das einfachste Verfahren<lb/>
zurückgelangt, nämlich seine Schulden aus den Einnahmeüberschüsscn, sobald<lb/>
solche da sind, zu bezahlen und ist damit mindestens ebenso weit, wenn nicht<lb/>
weiter gekommen, als auf dem bisherigen Umwege. Es gilt dies namentlich<lb/>
von England, während in Frankreich noch die Schuldentilgungskasse besteht,<lb/>
ohne Nutzen für den Staat freilich, aber zur großen Erbauung des an der<lb/>
Börsenagiotage betheiligten Publicums, dessen Spcculationseifer sie immer<lb/>
neue Nahrung zuführt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_268"> In den neuesten Zeiten sind es indeß nicht vorzugsweise mehr die Papiere<lb/>
der Regierungen, die dem Fondsgeschäft die Hauptnahrung geben; denn mehr<lb/>
wie je in einer frühern Zeit machen Actien und Obligationen von Privat¬<lb/>
gesellschaften den Staatspapieren eine außerordentliche Concurrenz. Erst<lb/>
kamen die Eisenbahnen, dann die Banken, welche zahllose Actien creirten und<lb/>
dem Verkehre überlieferten. Sie verdrängten die Staatspapiere um so eher, da sie<lb/>
bei scheinbarer Sicherheit weit größere Erträge versprachen, als diese, und weil<lb/>
sie überhaupt dem Börsenspiel ein weit ergiebigeres Fell? boten. Je nach den<lb/>
Aussichten, welche an eine solche Unternehmung sich knüpften oder zu knüpfen<lb/>
schienen, fiel oder stieg der Cours dieser Papiere. Da ward denn daS ganze<lb/>
ungeheure Heer von Vermuthungen, Gerüchten, Fabeln, Verdächtigungen,<lb/>
Eingesandtes und sonstigen ehrlichen Manoeuvern dieser Art aufgeboten, um<lb/>
das Gut des Nächsten womöglich in die eigne Tasche zu locken, und je eifriger<lb/>
dies betrieben wurde, um so &#x201E;lebhafter" war dann auch das Börsenspiel. Um<lb/>
zu begreifen, wie wenig grade die Börsen der Sitz einer höhern Intelligenz<lb/>
in Geldangelegenheiten sind, braucht man nur darauf hinzuweisen, wie grade<lb/>
die unsolidesten waghalsigsten Unternehmungen sich zeitweilig ihrer größten<lb/>
Gunst erfreuen konnten. Und zwar ist dies nicht bloßer Zufall, sondern eine<lb/>
innere Nothwendigkeit, wie wir nunmehr, zum Börsenspiel selbst übergehend,<lb/>
zeigen werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_269" next="#ID_270"> Das an den Fondsbörsen regelmäßig verkehrende oder mit ihnen in Ver¬<lb/>
bindung stehende Publicum besteht aus ganz verschiedenen Elementen, mit zum<lb/>
Theil widerstreitenden Interessen. Da sind zuerst diejenigen, welche aus der<lb/>
Agiotage ihren gewöhnlichen Erwerb machen, die großen und die kleinen<lb/>
Speculanten. Nur die erstem können mit einiger Sicherheit deS Erfolgs operiren,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0096] fernern Zinsen entweder für den Staat selbst entgegenzunehmen oder die Papiere zu vernichten. Allein abgesehen von der Jmmoralität eines Ver¬ fahrens, daß man seinen eignen schlechten Credit benutzt, um sich seiner Schulden zu entledigen, wird die Staatsverwaltung dadurch auf Irrwege geführt. Auch hier gibt es kostspielige Verwaltungen, auch hier große, die Begehrlichkeit an¬ regende Capitalien, und was das Schlimmste ist, der Staat legt sich die Pflicht auf, seine eignen Papiere zu entwerthen und übernimmt so zu sagen die Lei¬ tung des Börsenspiels. So ist man denn endlich auf das einfachste Verfahren zurückgelangt, nämlich seine Schulden aus den Einnahmeüberschüsscn, sobald solche da sind, zu bezahlen und ist damit mindestens ebenso weit, wenn nicht weiter gekommen, als auf dem bisherigen Umwege. Es gilt dies namentlich von England, während in Frankreich noch die Schuldentilgungskasse besteht, ohne Nutzen für den Staat freilich, aber zur großen Erbauung des an der Börsenagiotage betheiligten Publicums, dessen Spcculationseifer sie immer neue Nahrung zuführt. In den neuesten Zeiten sind es indeß nicht vorzugsweise mehr die Papiere der Regierungen, die dem Fondsgeschäft die Hauptnahrung geben; denn mehr wie je in einer frühern Zeit machen Actien und Obligationen von Privat¬ gesellschaften den Staatspapieren eine außerordentliche Concurrenz. Erst kamen die Eisenbahnen, dann die Banken, welche zahllose Actien creirten und dem Verkehre überlieferten. Sie verdrängten die Staatspapiere um so eher, da sie bei scheinbarer Sicherheit weit größere Erträge versprachen, als diese, und weil sie überhaupt dem Börsenspiel ein weit ergiebigeres Fell? boten. Je nach den Aussichten, welche an eine solche Unternehmung sich knüpften oder zu knüpfen schienen, fiel oder stieg der Cours dieser Papiere. Da ward denn daS ganze ungeheure Heer von Vermuthungen, Gerüchten, Fabeln, Verdächtigungen, Eingesandtes und sonstigen ehrlichen Manoeuvern dieser Art aufgeboten, um das Gut des Nächsten womöglich in die eigne Tasche zu locken, und je eifriger dies betrieben wurde, um so „lebhafter" war dann auch das Börsenspiel. Um zu begreifen, wie wenig grade die Börsen der Sitz einer höhern Intelligenz in Geldangelegenheiten sind, braucht man nur darauf hinzuweisen, wie grade die unsolidesten waghalsigsten Unternehmungen sich zeitweilig ihrer größten Gunst erfreuen konnten. Und zwar ist dies nicht bloßer Zufall, sondern eine innere Nothwendigkeit, wie wir nunmehr, zum Börsenspiel selbst übergehend, zeigen werden. Das an den Fondsbörsen regelmäßig verkehrende oder mit ihnen in Ver¬ bindung stehende Publicum besteht aus ganz verschiedenen Elementen, mit zum Theil widerstreitenden Interessen. Da sind zuerst diejenigen, welche aus der Agiotage ihren gewöhnlichen Erwerb machen, die großen und die kleinen Speculanten. Nur die erstem können mit einiger Sicherheit deS Erfolgs operiren,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/96
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/96>, abgerufen am 12.12.2024.