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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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zu erlangen, als sonst ihm möglich gewesen wäre. Man hat indeß in neuerer
Zeit im wohlverstandenen Interesse der öffentlichen Moral, welche den Regie¬
rungen nicht gestatten sollte, auf die Habsucht ihrer Unterthanen zu speculiren,
mehr und mehr Anstand genommen, Lotterieanlehen aufzunehmen.

Es sind übrigens noch andere Papiere, als allein die der direkten öffent¬
lichen Schuld, mit welchen an den Börsen Geschäfte gemacht werden, die der
sogenannten schwebenden Schuld. Eine Negierung kann augenblicklich, sei
eS für gewöhnliche, sei es für außerordentliche Ausgaben, einen Geldmangel
in ihren Kassen haben, und muß ihn grade so decken, wie es der Privatmann
in ähnlichen Fällen machen würde; sie muß die betreffenden Summen auf Zins
oder gegen Disconto aufnehmen. Sie stellt zu diesem Zwecke Obligationen oder
Wechsel (Kons An trssor, Schatzkammerscheine u. s. w.) aus, welche dann wei¬
ter negociirt werden. Je nach den Verhältnissen des Geldmarkts wird die
Regierung dabei mehr oder weniger Zins bezahlen, wenn sie nicht auch hier
einen Unterschied zwischen wirklicher und nomineller Einzahlung macht, der indeß
dabei so ziemlich unter den Begriff des Disconto fallen dürfte. Bei der leichten
Anhäufung dieser schwebenden Schuld durch größere Termine oder wiederholte
Prolongationen ist dies nicht selten ein sür die öffentlichen Finanzen eines Landes
sehr gefährlicher Weg gewesen, so besonders unter Louis Philipp in Frankreich,
wo wiederholt die schwebende Schuld einen solchen Umfang erreicht hatte, daß
sie consolidirt d. h. in eine feste verwandelt werden mußte, da es nicht
mehr möglich war, sie aus den laufenden Einnahmen zu bezahlen. In Eng¬
land muß der Schatzkanzler vom Unterhause von Zeit zu Zeit die Erlaubniß
einholen, einen bestimmten Betrag Schatzkammerscheine für den laufenden Dienst
ausgeben zu dürfen, doch wird das bei den Einrichtungen des englischen Finanz¬
wesens nur selten bei den regelmäßigen Ausgaben der Fall sein.*)

Bekannt ist eS, daß die Regierungen sich auch noch für andere Zwecke
an die großen Geldmächte wenden, so z. B. in den letzten Jahren mehrfach
die östreichische, um Silber inS Land zu bringen oder wie dies zu wiederholten
Malen in Frankreich geschah, zu Zinsreductionen der öffentlichen Schuld.
Diese letztere Operation besteht einfach darin, daß die Staatsgläubiger statt
des bisherigen einen geringern Zins erhalten, indem ihnen entweder nur der¬
selbe oder ein entsprechend höherer Schuldertrag ausgeliefert oder gut geschrie¬
ben wird, wenn sie nicht vorziehen, sich das Capital sofort auszahlen zu lassen.
Natürlich kann eine solche Reduction nur dann vorgenommen werden, wenn
die betreffenden Staatspapiere hoch stehen, also ihr Zinsfuß im Verhältniß
zum jetzigen Kaufpreise bereits gesunken, oder wenn ganz allgemein der Zins-



") Andere Anleihcmlttel. als Rcntcnkanf, Tontinen n. s. w. übergehen wir. da sie in
heutiger Zeit kaum noch in Anwendung kommen.

zu erlangen, als sonst ihm möglich gewesen wäre. Man hat indeß in neuerer
Zeit im wohlverstandenen Interesse der öffentlichen Moral, welche den Regie¬
rungen nicht gestatten sollte, auf die Habsucht ihrer Unterthanen zu speculiren,
mehr und mehr Anstand genommen, Lotterieanlehen aufzunehmen.

Es sind übrigens noch andere Papiere, als allein die der direkten öffent¬
lichen Schuld, mit welchen an den Börsen Geschäfte gemacht werden, die der
sogenannten schwebenden Schuld. Eine Negierung kann augenblicklich, sei
eS für gewöhnliche, sei es für außerordentliche Ausgaben, einen Geldmangel
in ihren Kassen haben, und muß ihn grade so decken, wie es der Privatmann
in ähnlichen Fällen machen würde; sie muß die betreffenden Summen auf Zins
oder gegen Disconto aufnehmen. Sie stellt zu diesem Zwecke Obligationen oder
Wechsel (Kons An trssor, Schatzkammerscheine u. s. w.) aus, welche dann wei¬
ter negociirt werden. Je nach den Verhältnissen des Geldmarkts wird die
Regierung dabei mehr oder weniger Zins bezahlen, wenn sie nicht auch hier
einen Unterschied zwischen wirklicher und nomineller Einzahlung macht, der indeß
dabei so ziemlich unter den Begriff des Disconto fallen dürfte. Bei der leichten
Anhäufung dieser schwebenden Schuld durch größere Termine oder wiederholte
Prolongationen ist dies nicht selten ein sür die öffentlichen Finanzen eines Landes
sehr gefährlicher Weg gewesen, so besonders unter Louis Philipp in Frankreich,
wo wiederholt die schwebende Schuld einen solchen Umfang erreicht hatte, daß
sie consolidirt d. h. in eine feste verwandelt werden mußte, da es nicht
mehr möglich war, sie aus den laufenden Einnahmen zu bezahlen. In Eng¬
land muß der Schatzkanzler vom Unterhause von Zeit zu Zeit die Erlaubniß
einholen, einen bestimmten Betrag Schatzkammerscheine für den laufenden Dienst
ausgeben zu dürfen, doch wird das bei den Einrichtungen des englischen Finanz¬
wesens nur selten bei den regelmäßigen Ausgaben der Fall sein.*)

Bekannt ist eS, daß die Regierungen sich auch noch für andere Zwecke
an die großen Geldmächte wenden, so z. B. in den letzten Jahren mehrfach
die östreichische, um Silber inS Land zu bringen oder wie dies zu wiederholten
Malen in Frankreich geschah, zu Zinsreductionen der öffentlichen Schuld.
Diese letztere Operation besteht einfach darin, daß die Staatsgläubiger statt
des bisherigen einen geringern Zins erhalten, indem ihnen entweder nur der¬
selbe oder ein entsprechend höherer Schuldertrag ausgeliefert oder gut geschrie¬
ben wird, wenn sie nicht vorziehen, sich das Capital sofort auszahlen zu lassen.
Natürlich kann eine solche Reduction nur dann vorgenommen werden, wenn
die betreffenden Staatspapiere hoch stehen, also ihr Zinsfuß im Verhältniß
zum jetzigen Kaufpreise bereits gesunken, oder wenn ganz allgemein der Zins-



") Andere Anleihcmlttel. als Rcntcnkanf, Tontinen n. s. w. übergehen wir. da sie in
heutiger Zeit kaum noch in Anwendung kommen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/93>, abgerufen am 12.12.2024.