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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Der Fondshandel und die Fondsbörsen.

Man hat in frühern Zeiten nicht selten den Börsen die Ehre erwiesen,
sie als den Thermometer der öffentlichen Zustände betrachten zu
wollen. Man verstand dabei unter Börsen ausschließlich jene Classe von Leuten,
welche ihren Erwerb nicht aus dem regelmäßigen Wege des Handels, sondern
durch Speculation mit sogenannten Staatspapieren d. h. den Schuldscheinen
der Regierungen, suchten. Solche Geschäftsleute, meinte man, wären in dem so
scharfsichtigen eignen Interesse stets bedacht, ein aufmerksames Auge auf alles
zu richten, was dem einzelnen Staate nützen oder ihn gefährden könnte, und wür¬
den so den vermeintlichen Inbegriff aller öffentlichen Wohlfahrt, den Staats¬
credit, stets in auf- und absteigenden Zahlen wiedergeben. Jedes am politi¬
schen Horizont aufsteigende Gewitter würden sie schon von weitem wahrnehmen,
jeder neuen politischen Combination sofort ihren Segen oder Fluch ertheilen. Und
wohlgefällig beriefen sich gern die Regierungen auf den hohen Börsenstand ihrer
Papiere als Beweis der allgemeinen Zufriedenheit und des allgemeinen Wohl-
ergehens. Neuerdings ist man indeß infolge der schreienden Unfähigkeit derselben
Börsen, den Gang der Politik richtig zu beurtheilen, und noch mehr infolge
ihrer vorherrschenden Neigung, nur das unmittelbar Nächste zu sehen und vor
jeden weitern Consequenzen ihre blöden Augen abzuwenden, von diesem Vor¬
urtheil zu ihren Gunsten sehr zurückgekommen; namentlich haben die Börsen
in den verschiedenen Entwicklungsphasen der großen orientalischen Frage einen
so auffallenden Unverstand bewiesen, haben zwischen den Extremen des Kriegs
und des Friedens so sehr und so rasch geschwankt, sind in so hohem Grade das
Spiel der löschten und ungeschicktesten Gerüchte gewesen, daß die einstige günstige
Meinung sich fast gradezu in ihr Gegentheil verkehrt hat. Wir meinen, man
ist dadurch auch der Wahrheit um sehr viel näher gekommen; beruht doch auch
der ganze oben dargelegte Gedankengang, durch welchen man sich die besondere
Börsenweisheit zurechtlegen wollte, aus ganz Ungerechtfertigten Voraus¬
setzungen.

Man wird hier verschiedene Gegenstände, die man leichthin zusammen¬
geworfen, auseinanderhalten müssen. Den Regierungscredit und den öffent-


Grenzboten. III. 4867. 11
Der Fondshandel und die Fondsbörsen.

Man hat in frühern Zeiten nicht selten den Börsen die Ehre erwiesen,
sie als den Thermometer der öffentlichen Zustände betrachten zu
wollen. Man verstand dabei unter Börsen ausschließlich jene Classe von Leuten,
welche ihren Erwerb nicht aus dem regelmäßigen Wege des Handels, sondern
durch Speculation mit sogenannten Staatspapieren d. h. den Schuldscheinen
der Regierungen, suchten. Solche Geschäftsleute, meinte man, wären in dem so
scharfsichtigen eignen Interesse stets bedacht, ein aufmerksames Auge auf alles
zu richten, was dem einzelnen Staate nützen oder ihn gefährden könnte, und wür¬
den so den vermeintlichen Inbegriff aller öffentlichen Wohlfahrt, den Staats¬
credit, stets in auf- und absteigenden Zahlen wiedergeben. Jedes am politi¬
schen Horizont aufsteigende Gewitter würden sie schon von weitem wahrnehmen,
jeder neuen politischen Combination sofort ihren Segen oder Fluch ertheilen. Und
wohlgefällig beriefen sich gern die Regierungen auf den hohen Börsenstand ihrer
Papiere als Beweis der allgemeinen Zufriedenheit und des allgemeinen Wohl-
ergehens. Neuerdings ist man indeß infolge der schreienden Unfähigkeit derselben
Börsen, den Gang der Politik richtig zu beurtheilen, und noch mehr infolge
ihrer vorherrschenden Neigung, nur das unmittelbar Nächste zu sehen und vor
jeden weitern Consequenzen ihre blöden Augen abzuwenden, von diesem Vor¬
urtheil zu ihren Gunsten sehr zurückgekommen; namentlich haben die Börsen
in den verschiedenen Entwicklungsphasen der großen orientalischen Frage einen
so auffallenden Unverstand bewiesen, haben zwischen den Extremen des Kriegs
und des Friedens so sehr und so rasch geschwankt, sind in so hohem Grade das
Spiel der löschten und ungeschicktesten Gerüchte gewesen, daß die einstige günstige
Meinung sich fast gradezu in ihr Gegentheil verkehrt hat. Wir meinen, man
ist dadurch auch der Wahrheit um sehr viel näher gekommen; beruht doch auch
der ganze oben dargelegte Gedankengang, durch welchen man sich die besondere
Börsenweisheit zurechtlegen wollte, aus ganz Ungerechtfertigten Voraus¬
setzungen.

Man wird hier verschiedene Gegenstände, die man leichthin zusammen¬
geworfen, auseinanderhalten müssen. Den Regierungscredit und den öffent-


Grenzboten. III. 4867. 11
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[0089] Der Fondshandel und die Fondsbörsen. Man hat in frühern Zeiten nicht selten den Börsen die Ehre erwiesen, sie als den Thermometer der öffentlichen Zustände betrachten zu wollen. Man verstand dabei unter Börsen ausschließlich jene Classe von Leuten, welche ihren Erwerb nicht aus dem regelmäßigen Wege des Handels, sondern durch Speculation mit sogenannten Staatspapieren d. h. den Schuldscheinen der Regierungen, suchten. Solche Geschäftsleute, meinte man, wären in dem so scharfsichtigen eignen Interesse stets bedacht, ein aufmerksames Auge auf alles zu richten, was dem einzelnen Staate nützen oder ihn gefährden könnte, und wür¬ den so den vermeintlichen Inbegriff aller öffentlichen Wohlfahrt, den Staats¬ credit, stets in auf- und absteigenden Zahlen wiedergeben. Jedes am politi¬ schen Horizont aufsteigende Gewitter würden sie schon von weitem wahrnehmen, jeder neuen politischen Combination sofort ihren Segen oder Fluch ertheilen. Und wohlgefällig beriefen sich gern die Regierungen auf den hohen Börsenstand ihrer Papiere als Beweis der allgemeinen Zufriedenheit und des allgemeinen Wohl- ergehens. Neuerdings ist man indeß infolge der schreienden Unfähigkeit derselben Börsen, den Gang der Politik richtig zu beurtheilen, und noch mehr infolge ihrer vorherrschenden Neigung, nur das unmittelbar Nächste zu sehen und vor jeden weitern Consequenzen ihre blöden Augen abzuwenden, von diesem Vor¬ urtheil zu ihren Gunsten sehr zurückgekommen; namentlich haben die Börsen in den verschiedenen Entwicklungsphasen der großen orientalischen Frage einen so auffallenden Unverstand bewiesen, haben zwischen den Extremen des Kriegs und des Friedens so sehr und so rasch geschwankt, sind in so hohem Grade das Spiel der löschten und ungeschicktesten Gerüchte gewesen, daß die einstige günstige Meinung sich fast gradezu in ihr Gegentheil verkehrt hat. Wir meinen, man ist dadurch auch der Wahrheit um sehr viel näher gekommen; beruht doch auch der ganze oben dargelegte Gedankengang, durch welchen man sich die besondere Börsenweisheit zurechtlegen wollte, aus ganz Ungerechtfertigten Voraus¬ setzungen. Man wird hier verschiedene Gegenstände, die man leichthin zusammen¬ geworfen, auseinanderhalten müssen. Den Regierungscredit und den öffent- Grenzboten. III. 4867. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/89>, abgerufen am 05.12.2024.