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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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bei aller nicht zu verkennender Anstrengung von oben ist es natürlich nicht
möglich gewesen, Subjecte in hinreichender Anzahl heranzubilden, um alle Dorf¬
gemeinden zu versorgen.

Der Geistliche auf dem Lande weiß also im Allgemeinen bis jetzt noch
blutwenig von der Gottesgelahrtheit. Er lebt nicht besser als der wohlhabende
Bauer; seine pecuniäre Stellung erlauvt ihm nicht, sich auf einem andern Fuß
einzurichten. Der Gutsherr ist verpflichtet, ihm an Ackerfeld, Heuwiese und
Viehweide 25--30 preußische Morgen anzuweisen; diese bearbeitet er mit seiner
Familie so gut er kann, und läßt sich hier und da von den Bauern dabei
helfen. Bei der Stufe, auf welcher der Ackerbau in der Moldau, trotz der in
den letzten Jahren hier und da eingeführten Verbesserungen noch steht, trägt ihm
sein Feld nicht viel; was ihm Kindtaufen, Hochzeiten und Beerdigungen einbringen,
ist auch nicht sehr hoch anzuschlagen; er benutzt also nebenbei alle Erwerbs¬
quellen, die dem Landmann offen stehn, führt in geistlicher Tracht sein Stück
Vieh an einem Strick auf den Wochenmarkt, verdingt seinen Ochsenkarren
zu Getreidctransporten nach Galatz oder an die östreichische Grenze, und
geht dann auch wol selbst neben seinem Gespann her. Daß er bei solchen
Gelegenheiten eS nicht verschmäht; mit den Bauern im Wirthshaus einen
Schnaps zu trinken, versteht sich von selbst, und das thut auch seiner Würde
durchaus keinen Abbruch: die Mittrinkenden sind eS nicht anders gewohnt,
nennen ihren Geistlichen Parenti, Vater, und küssen ihm die Hand, indem sie
um seinen Segen bitten.

Ein schroffer Abstand unterscheidet diese Dorfpopen von der höheren
Geistlichkeit. Hier findet man nur unter den Graubärten noch ausnahms¬
weise unwissende Leute die, jüngere Generation hat schon in den Semina¬
rien des Landes ihre Studien gemacht und manchen ausgezeichneten Kopf
aufzuweisen. Der Beobachter fühlt bei diesen doch durchgehends der ein¬
facheren Elasse der Gesellschaft angehörenden Leuten, was der Rumäne einmal
zu werden verspricht, wenn seine Civilisation aus der Halbheit wird heraus¬
getreten sein: seine angeborene Gutherzigkeit, die Lebenslust, die in ihm
sprudelt, das Kindliche, was jedem primitiven Menschen anklebt, alles das
nimmt bei dem gebildeten Geistlichen einen höchst anziehenden Charakter an.

Nur eins möchten wir der Geistlichkeit zum Vorwurf machen, wobei nur
die Frage zu beantworten bleibt, ob es nicht in der ganzen Welt ebenso ist,
und ob nicht in der Moldau die Ausnahmen von der Regel ebenso zahlreich sind,
als anderswo. Die Herren sprechen gern von Geld und sehen das allmälige
Emporkommen auf den Stufen der Hierarchie wie ein einträgliches Geschäft
an. Aber auch da kommt daS Beispiel immer von oben. Die Moldau zer¬
fällt in drei Bisthümer, die den in Jassy residirenden Metropoliten als Haupt
der Kirche anerkennen. Bischof oder gar Metropolit zu werden, ist also das


bei aller nicht zu verkennender Anstrengung von oben ist es natürlich nicht
möglich gewesen, Subjecte in hinreichender Anzahl heranzubilden, um alle Dorf¬
gemeinden zu versorgen.

Der Geistliche auf dem Lande weiß also im Allgemeinen bis jetzt noch
blutwenig von der Gottesgelahrtheit. Er lebt nicht besser als der wohlhabende
Bauer; seine pecuniäre Stellung erlauvt ihm nicht, sich auf einem andern Fuß
einzurichten. Der Gutsherr ist verpflichtet, ihm an Ackerfeld, Heuwiese und
Viehweide 25—30 preußische Morgen anzuweisen; diese bearbeitet er mit seiner
Familie so gut er kann, und läßt sich hier und da von den Bauern dabei
helfen. Bei der Stufe, auf welcher der Ackerbau in der Moldau, trotz der in
den letzten Jahren hier und da eingeführten Verbesserungen noch steht, trägt ihm
sein Feld nicht viel; was ihm Kindtaufen, Hochzeiten und Beerdigungen einbringen,
ist auch nicht sehr hoch anzuschlagen; er benutzt also nebenbei alle Erwerbs¬
quellen, die dem Landmann offen stehn, führt in geistlicher Tracht sein Stück
Vieh an einem Strick auf den Wochenmarkt, verdingt seinen Ochsenkarren
zu Getreidctransporten nach Galatz oder an die östreichische Grenze, und
geht dann auch wol selbst neben seinem Gespann her. Daß er bei solchen
Gelegenheiten eS nicht verschmäht; mit den Bauern im Wirthshaus einen
Schnaps zu trinken, versteht sich von selbst, und das thut auch seiner Würde
durchaus keinen Abbruch: die Mittrinkenden sind eS nicht anders gewohnt,
nennen ihren Geistlichen Parenti, Vater, und küssen ihm die Hand, indem sie
um seinen Segen bitten.

Ein schroffer Abstand unterscheidet diese Dorfpopen von der höheren
Geistlichkeit. Hier findet man nur unter den Graubärten noch ausnahms¬
weise unwissende Leute die, jüngere Generation hat schon in den Semina¬
rien des Landes ihre Studien gemacht und manchen ausgezeichneten Kopf
aufzuweisen. Der Beobachter fühlt bei diesen doch durchgehends der ein¬
facheren Elasse der Gesellschaft angehörenden Leuten, was der Rumäne einmal
zu werden verspricht, wenn seine Civilisation aus der Halbheit wird heraus¬
getreten sein: seine angeborene Gutherzigkeit, die Lebenslust, die in ihm
sprudelt, das Kindliche, was jedem primitiven Menschen anklebt, alles das
nimmt bei dem gebildeten Geistlichen einen höchst anziehenden Charakter an.

Nur eins möchten wir der Geistlichkeit zum Vorwurf machen, wobei nur
die Frage zu beantworten bleibt, ob es nicht in der ganzen Welt ebenso ist,
und ob nicht in der Moldau die Ausnahmen von der Regel ebenso zahlreich sind,
als anderswo. Die Herren sprechen gern von Geld und sehen das allmälige
Emporkommen auf den Stufen der Hierarchie wie ein einträgliches Geschäft
an. Aber auch da kommt daS Beispiel immer von oben. Die Moldau zer¬
fällt in drei Bisthümer, die den in Jassy residirenden Metropoliten als Haupt
der Kirche anerkennen. Bischof oder gar Metropolit zu werden, ist also das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/85>, abgerufen am 03.07.2024.