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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Colonie. In der Mitte deS Ganzen erhebt eine Kirche ihre wunderlich bunt¬
bemalten Kuppeln, und das Läuten der Glocken tönt in einzelnen, hellen
Schlägen herüber.

Das ist nun ein Kloster. Aber der Reisende ist noch nicht fertig mit
seinen Überraschungen. Noch in einiger Entfernung von den Häusern steht
er mehre Damen lustwandeln. Sie tragen eine sonderbare Tracht: über ihre
Kleider von verschiedenfarbiger halbdunkler Seide oder Wolle ist eine Art von
langer Mantille von grobem braunen Tuch mit sehr weiten Aermeln geworfen,
die dem Aufzuge etwas Nonnenartiges geben würde, wenn nicht Spitzen-
manschetten und gestickte Krügelchen gefällig über das düstere Gewand ge¬
schlagen wären. Buntseidne Tücherchen schützen den Hals vor der Abendkühle.
Auf dem Kops tragen sie niedrige, schwarze Filzkappen, die ihnen sehr gut
stehen, besonders den jungen und hübschen Frauen, wenn sich d"S 5, 1'enksrtt
geschnittene Haar nach Innen gekräuselt darunter hervordrängt. Die Damen
rauchen fast durchgehends jene zierlichen Papiercigarren, die man in der Mol¬
dau so gut zu drehen weiß, und blasen unter Scherzen und Lachen die leichten
Tabakswölkchen dem heitern Abendhimmel zu.

Diese Damen sind Nonnen, belehrt man den Reisenden.

Dies Mal ist er schon weniger übermscht. Wo ein Klostergebäude mit
seinen mittelalterlichen Thürmen fehlt, da kann auch kein Sprachzimmer eri-
Mren. Und die Stelle der Schwester Pförtnerin muß folgerecht der liebe Gott
selbst einnehmen. Aber ganz fertig ist der Fremde doch noch nicht mit seiner
Verwunderung. Hat er das Glück, von einem Einheimischen begleitet zu
sein, der Bekannte oder gar Verwandte im Kloster besitzt, so wird der Wagen
bald umringt. Die Nonnen hüpfen und klatschen in die Hände bei dem
Wiedersehn mit dem guten Freunde, und es entsteht ein Lauffeuer von Fragen
und Antworten, bei dem einem Sehen und Hören vergeht. Dann wird der
neue Ankömmling den frommen Frauen vorgestellt, und der Zug setzt sich zu
Fuß in Bewegung, um seinen Einzug im Kloster zu halten. In der Nähe
sehen die Häuschen mit ihren Colonnaden im verjüngten Maßstabe wo mög¬
lich noch freundlicher aus, als aus der Ferne; überall herrscht die peinlichste
Reinlichkeit; Balkons und Treppen sind blank gewichst: Blumen stehn an allen
Fenstern, es ist ein sehr lieblicher Anblick. Die wohlhabendste unter den Non-
die eine "Zelle" von etwa drei bis vier Zimmern besitzt, ladet die Ge¬
sellschaft zu sich ein, und man tritt ins Haus. Vo.^ Todtenköpfen und der¬
gleichen an die Hinfälligkeit der menschlichen Natur erinnernden Gegenständen
>se nirgend was zu sehn, eS kommt einem vor, als trete man in d?n Salon
einer Weltdame. Kanapes von verschiedenen der Mode angepaßten Formen
stehen an den Wänden; weich gepolsterte Lehnstühle beweisen, daß unbequemes
Sitzen nicht zur Ordensregel gehört, reiche Vorhänge an goldenen Stäben


Grenjboten. III. 18S7. ^

Colonie. In der Mitte deS Ganzen erhebt eine Kirche ihre wunderlich bunt¬
bemalten Kuppeln, und das Läuten der Glocken tönt in einzelnen, hellen
Schlägen herüber.

Das ist nun ein Kloster. Aber der Reisende ist noch nicht fertig mit
seinen Überraschungen. Noch in einiger Entfernung von den Häusern steht
er mehre Damen lustwandeln. Sie tragen eine sonderbare Tracht: über ihre
Kleider von verschiedenfarbiger halbdunkler Seide oder Wolle ist eine Art von
langer Mantille von grobem braunen Tuch mit sehr weiten Aermeln geworfen,
die dem Aufzuge etwas Nonnenartiges geben würde, wenn nicht Spitzen-
manschetten und gestickte Krügelchen gefällig über das düstere Gewand ge¬
schlagen wären. Buntseidne Tücherchen schützen den Hals vor der Abendkühle.
Auf dem Kops tragen sie niedrige, schwarze Filzkappen, die ihnen sehr gut
stehen, besonders den jungen und hübschen Frauen, wenn sich d»S 5, 1'enksrtt
geschnittene Haar nach Innen gekräuselt darunter hervordrängt. Die Damen
rauchen fast durchgehends jene zierlichen Papiercigarren, die man in der Mol¬
dau so gut zu drehen weiß, und blasen unter Scherzen und Lachen die leichten
Tabakswölkchen dem heitern Abendhimmel zu.

Diese Damen sind Nonnen, belehrt man den Reisenden.

Dies Mal ist er schon weniger übermscht. Wo ein Klostergebäude mit
seinen mittelalterlichen Thürmen fehlt, da kann auch kein Sprachzimmer eri-
Mren. Und die Stelle der Schwester Pförtnerin muß folgerecht der liebe Gott
selbst einnehmen. Aber ganz fertig ist der Fremde doch noch nicht mit seiner
Verwunderung. Hat er das Glück, von einem Einheimischen begleitet zu
sein, der Bekannte oder gar Verwandte im Kloster besitzt, so wird der Wagen
bald umringt. Die Nonnen hüpfen und klatschen in die Hände bei dem
Wiedersehn mit dem guten Freunde, und es entsteht ein Lauffeuer von Fragen
und Antworten, bei dem einem Sehen und Hören vergeht. Dann wird der
neue Ankömmling den frommen Frauen vorgestellt, und der Zug setzt sich zu
Fuß in Bewegung, um seinen Einzug im Kloster zu halten. In der Nähe
sehen die Häuschen mit ihren Colonnaden im verjüngten Maßstabe wo mög¬
lich noch freundlicher aus, als aus der Ferne; überall herrscht die peinlichste
Reinlichkeit; Balkons und Treppen sind blank gewichst: Blumen stehn an allen
Fenstern, es ist ein sehr lieblicher Anblick. Die wohlhabendste unter den Non-
die eine „Zelle" von etwa drei bis vier Zimmern besitzt, ladet die Ge¬
sellschaft zu sich ein, und man tritt ins Haus. Vo.^ Todtenköpfen und der¬
gleichen an die Hinfälligkeit der menschlichen Natur erinnernden Gegenständen
>se nirgend was zu sehn, eS kommt einem vor, als trete man in d?n Salon
einer Weltdame. Kanapes von verschiedenen der Mode angepaßten Formen
stehen an den Wänden; weich gepolsterte Lehnstühle beweisen, daß unbequemes
Sitzen nicht zur Ordensregel gehört, reiche Vorhänge an goldenen Stäben


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[0081] Colonie. In der Mitte deS Ganzen erhebt eine Kirche ihre wunderlich bunt¬ bemalten Kuppeln, und das Läuten der Glocken tönt in einzelnen, hellen Schlägen herüber. Das ist nun ein Kloster. Aber der Reisende ist noch nicht fertig mit seinen Überraschungen. Noch in einiger Entfernung von den Häusern steht er mehre Damen lustwandeln. Sie tragen eine sonderbare Tracht: über ihre Kleider von verschiedenfarbiger halbdunkler Seide oder Wolle ist eine Art von langer Mantille von grobem braunen Tuch mit sehr weiten Aermeln geworfen, die dem Aufzuge etwas Nonnenartiges geben würde, wenn nicht Spitzen- manschetten und gestickte Krügelchen gefällig über das düstere Gewand ge¬ schlagen wären. Buntseidne Tücherchen schützen den Hals vor der Abendkühle. Auf dem Kops tragen sie niedrige, schwarze Filzkappen, die ihnen sehr gut stehen, besonders den jungen und hübschen Frauen, wenn sich d»S 5, 1'enksrtt geschnittene Haar nach Innen gekräuselt darunter hervordrängt. Die Damen rauchen fast durchgehends jene zierlichen Papiercigarren, die man in der Mol¬ dau so gut zu drehen weiß, und blasen unter Scherzen und Lachen die leichten Tabakswölkchen dem heitern Abendhimmel zu. Diese Damen sind Nonnen, belehrt man den Reisenden. Dies Mal ist er schon weniger übermscht. Wo ein Klostergebäude mit seinen mittelalterlichen Thürmen fehlt, da kann auch kein Sprachzimmer eri- Mren. Und die Stelle der Schwester Pförtnerin muß folgerecht der liebe Gott selbst einnehmen. Aber ganz fertig ist der Fremde doch noch nicht mit seiner Verwunderung. Hat er das Glück, von einem Einheimischen begleitet zu sein, der Bekannte oder gar Verwandte im Kloster besitzt, so wird der Wagen bald umringt. Die Nonnen hüpfen und klatschen in die Hände bei dem Wiedersehn mit dem guten Freunde, und es entsteht ein Lauffeuer von Fragen und Antworten, bei dem einem Sehen und Hören vergeht. Dann wird der neue Ankömmling den frommen Frauen vorgestellt, und der Zug setzt sich zu Fuß in Bewegung, um seinen Einzug im Kloster zu halten. In der Nähe sehen die Häuschen mit ihren Colonnaden im verjüngten Maßstabe wo mög¬ lich noch freundlicher aus, als aus der Ferne; überall herrscht die peinlichste Reinlichkeit; Balkons und Treppen sind blank gewichst: Blumen stehn an allen Fenstern, es ist ein sehr lieblicher Anblick. Die wohlhabendste unter den Non- die eine „Zelle" von etwa drei bis vier Zimmern besitzt, ladet die Ge¬ sellschaft zu sich ein, und man tritt ins Haus. Vo.^ Todtenköpfen und der¬ gleichen an die Hinfälligkeit der menschlichen Natur erinnernden Gegenständen >se nirgend was zu sehn, eS kommt einem vor, als trete man in d?n Salon einer Weltdame. Kanapes von verschiedenen der Mode angepaßten Formen stehen an den Wänden; weich gepolsterte Lehnstühle beweisen, daß unbequemes Sitzen nicht zur Ordensregel gehört, reiche Vorhänge an goldenen Stäben Grenjboten. III. 18S7. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/81>, abgerufen am 01.07.2024.