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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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vollendet sein und die alte Colonia auch wieder einmal in ihren Mauern ein
Musikfest feiern. Möge ihr Wiedererscheinen auf dem Schauplatz ein so glän¬
zendes sein, als es von den Kunstfreunden ein ersehntes ist.




Altgrichische Romane.

Schon in dem Namen Roman ist angedeutet, daß der Ruhm, diese be¬
liebteste aller heutigen Dichtungsformen erfunden zu haben, neueren, den
romanischen Völkern gehört. Aber sie sind, wenn auch unabhängige, wenn
auch die besseren, doch nicht die ersten Erfinder gewesen. Wenn der Roman
versucht, in dem Rahmen menschlicher, theilweise oder ganz erfundener Schick¬
sale ein vollständig ausgeführtes und auf ästhetischen Genuß berechnetes Lebens¬
bild darzustellen, so muß man den Griechen zugestehen, daß auch ihre Literatur
Romane und zwar im vollen Sinne jener Definition aufzuweisen hat. Ob¬
gleich aber die Erfindung dieselbe ist, so ist sie doch von den Griechen auf
einem ganz andern Wege gemacht, als bei uns.

Der moderne Roman ist bekanntlich entstanden, indem die alten romani¬
schen Volksepen in Prosa umgesetzt wurden. Davon, daß sie in romanischer
(Volks-) Sprache geschrieben waren und romanische Stoffe behandelten, er¬
hielten sie den Namen, unter dem sie dann auch den germanischen Völkern
bekannt wurden. Im Lause weniger Jahrhunderte gelang es dieser Dichtungs-
art, sich mit dem mannigfaltigsten Inhalte zu füllen, und sich zu einer Art öffent¬
licher Tribüne auszubilden, von der aus die Zustände deS Lebens und selbst
die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung und des künstlerischen Schaffens
zwar nicht geleitet, aber allen verständlich besprochen werden. Mit Recht er-
teilen deshalb die Historiker in den Romanen eine wichtige Quelle zur Forschung
über Culturzustände eines Volkes.

Durchforscht man aber die griechische Nomanliteratur in der Hoffnung,
culturgeschichtliche Aufschlüsse zu finden, so bleibt diese Erwartung auffallender¬
weise fast ganz unbefriedigt. Da ist nichts von den Gedanken und Interessen,
welche damals das Volk bewegten; vielmehr treten wir in eine Sphäre, die
den Zeitideen und dem wirklichen Leben fern liegt. So wenig sich das da¬
malige Leben in ihnen wiederspiegelt, so wenig läßt sich nachweisen, daß sie
irgendeinen Einfluß auf Sitte und Denkart der Griechen ausgeübt hätten.
Woher diese räthselhaste Verschiedenheit? Sollten nur die wenigen erhaltenen
Romane an diesem eigenthümlichen Fehler leiden? Aber die Auszüge und
Urtheile, die wir dem gelehrten byzantinischen Patriarchen Photius über einige


vollendet sein und die alte Colonia auch wieder einmal in ihren Mauern ein
Musikfest feiern. Möge ihr Wiedererscheinen auf dem Schauplatz ein so glän¬
zendes sein, als es von den Kunstfreunden ein ersehntes ist.




Altgrichische Romane.

Schon in dem Namen Roman ist angedeutet, daß der Ruhm, diese be¬
liebteste aller heutigen Dichtungsformen erfunden zu haben, neueren, den
romanischen Völkern gehört. Aber sie sind, wenn auch unabhängige, wenn
auch die besseren, doch nicht die ersten Erfinder gewesen. Wenn der Roman
versucht, in dem Rahmen menschlicher, theilweise oder ganz erfundener Schick¬
sale ein vollständig ausgeführtes und auf ästhetischen Genuß berechnetes Lebens¬
bild darzustellen, so muß man den Griechen zugestehen, daß auch ihre Literatur
Romane und zwar im vollen Sinne jener Definition aufzuweisen hat. Ob¬
gleich aber die Erfindung dieselbe ist, so ist sie doch von den Griechen auf
einem ganz andern Wege gemacht, als bei uns.

Der moderne Roman ist bekanntlich entstanden, indem die alten romani¬
schen Volksepen in Prosa umgesetzt wurden. Davon, daß sie in romanischer
(Volks-) Sprache geschrieben waren und romanische Stoffe behandelten, er¬
hielten sie den Namen, unter dem sie dann auch den germanischen Völkern
bekannt wurden. Im Lause weniger Jahrhunderte gelang es dieser Dichtungs-
art, sich mit dem mannigfaltigsten Inhalte zu füllen, und sich zu einer Art öffent¬
licher Tribüne auszubilden, von der aus die Zustände deS Lebens und selbst
die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung und des künstlerischen Schaffens
zwar nicht geleitet, aber allen verständlich besprochen werden. Mit Recht er-
teilen deshalb die Historiker in den Romanen eine wichtige Quelle zur Forschung
über Culturzustände eines Volkes.

Durchforscht man aber die griechische Nomanliteratur in der Hoffnung,
culturgeschichtliche Aufschlüsse zu finden, so bleibt diese Erwartung auffallender¬
weise fast ganz unbefriedigt. Da ist nichts von den Gedanken und Interessen,
welche damals das Volk bewegten; vielmehr treten wir in eine Sphäre, die
den Zeitideen und dem wirklichen Leben fern liegt. So wenig sich das da¬
malige Leben in ihnen wiederspiegelt, so wenig läßt sich nachweisen, daß sie
irgendeinen Einfluß auf Sitte und Denkart der Griechen ausgeübt hätten.
Woher diese räthselhaste Verschiedenheit? Sollten nur die wenigen erhaltenen
Romane an diesem eigenthümlichen Fehler leiden? Aber die Auszüge und
Urtheile, die wir dem gelehrten byzantinischen Patriarchen Photius über einige


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[0068] vollendet sein und die alte Colonia auch wieder einmal in ihren Mauern ein Musikfest feiern. Möge ihr Wiedererscheinen auf dem Schauplatz ein so glän¬ zendes sein, als es von den Kunstfreunden ein ersehntes ist. Altgrichische Romane. Schon in dem Namen Roman ist angedeutet, daß der Ruhm, diese be¬ liebteste aller heutigen Dichtungsformen erfunden zu haben, neueren, den romanischen Völkern gehört. Aber sie sind, wenn auch unabhängige, wenn auch die besseren, doch nicht die ersten Erfinder gewesen. Wenn der Roman versucht, in dem Rahmen menschlicher, theilweise oder ganz erfundener Schick¬ sale ein vollständig ausgeführtes und auf ästhetischen Genuß berechnetes Lebens¬ bild darzustellen, so muß man den Griechen zugestehen, daß auch ihre Literatur Romane und zwar im vollen Sinne jener Definition aufzuweisen hat. Ob¬ gleich aber die Erfindung dieselbe ist, so ist sie doch von den Griechen auf einem ganz andern Wege gemacht, als bei uns. Der moderne Roman ist bekanntlich entstanden, indem die alten romani¬ schen Volksepen in Prosa umgesetzt wurden. Davon, daß sie in romanischer (Volks-) Sprache geschrieben waren und romanische Stoffe behandelten, er¬ hielten sie den Namen, unter dem sie dann auch den germanischen Völkern bekannt wurden. Im Lause weniger Jahrhunderte gelang es dieser Dichtungs- art, sich mit dem mannigfaltigsten Inhalte zu füllen, und sich zu einer Art öffent¬ licher Tribüne auszubilden, von der aus die Zustände deS Lebens und selbst die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung und des künstlerischen Schaffens zwar nicht geleitet, aber allen verständlich besprochen werden. Mit Recht er- teilen deshalb die Historiker in den Romanen eine wichtige Quelle zur Forschung über Culturzustände eines Volkes. Durchforscht man aber die griechische Nomanliteratur in der Hoffnung, culturgeschichtliche Aufschlüsse zu finden, so bleibt diese Erwartung auffallender¬ weise fast ganz unbefriedigt. Da ist nichts von den Gedanken und Interessen, welche damals das Volk bewegten; vielmehr treten wir in eine Sphäre, die den Zeitideen und dem wirklichen Leben fern liegt. So wenig sich das da¬ malige Leben in ihnen wiederspiegelt, so wenig läßt sich nachweisen, daß sie irgendeinen Einfluß auf Sitte und Denkart der Griechen ausgeübt hätten. Woher diese räthselhaste Verschiedenheit? Sollten nur die wenigen erhaltenen Romane an diesem eigenthümlichen Fehler leiden? Aber die Auszüge und Urtheile, die wir dem gelehrten byzantinischen Patriarchen Photius über einige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/68>, abgerufen am 12.12.2024.