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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Meister "augenscheinlich überflüssig zu wachen habe" verstehen wir nicht.
Wenn der Kapellmeister sich auf die rechte Weise recht nöthig zeigt, so wird
dies ebensowenig stören, als es stört, einen Violinspieler den Bogen führen zu
sehen. Aber freilich auf seine Persönlichkeit soll der Dirigent die Aufmerk¬
samkeit nicht zu leiten suchen, und grade darin versieht es Liszt wieder, wir
wollen gern glauben, ohne eS zu wollen. Von seinen Gewohnheiten als Pia¬
nist ist ihm ein übermäßig starkes Spiel der Physiognomie übrig geblieben,
mit welchem er, dem verschiedenartigen Ausdrucke der Musik gemäß, dasselbe
begleitet -- dazu kommt, daß er zuweilen das Dirigiren ganz gut sein, oder
seine Hand in rein plastischen Bewegungen über dem Pulte sich ergehen läßt, oder
in der Partitur blättert -- kurz sich einer Menge Dinge hingibt, die, da man
an seinem Wesen durchwegs großes Interesse nimmt, von der Musik ab- und
die Augen der Zuhörer "augenscheinlich" auf ihn lenken. Und das ist
vom Uebel.

Wenn man einen Künstler wie Liszt als Dirigenten hinstellt, wenn er
selbst das Dirigiren zu einer seiner Lebensaufgaben gemacht, so steht nicht
allein mehr, es steht ganz Anderes zu erwarten, als was er geleistet. Geniale
Auffassung, Sicherheit, Feinheit, Abrundung in der Ausführung der von ihm
zu leitenden Werke muß man von einem Manne verlangen dürfen, der als
Virtuos alle Eigenschaften besitzt, die er besitzen will. Vielleicht daß Liszt in
Weimar mit den ihm bekannten und vertrauten Kräften und wenn er beliebige
Zeit auf das Einstudiren eines Lieblingswerkes wenden kann, zu günstigeren
Resultaten gelangt, als Leiter der ihm in Aachen anvertrauten ganz vortrefflichen
Kräfte zeigte er, um bei seinem eignen Ausdrucke zu bleiben, seine Unzu¬
länglichkeit.

Liszt hat eine gefährliche Bahn betreten. Uebersättigt von Triumphen, wie
sie den größten Männern selten zu Theil geworden, will er den Ossa aus den
Peleon tragen, will ein Komponist wie Beethoven, ein Dirigent wie Mendels¬
sohn, ein gepriesener Schriftsteller, ein einflußreicher Kritiker sein. Die Götter
aber sind noch Mißgünstiger als die Menschen, und wen die einen unter ihnen
begünstigen, den verfolgen die andern. Selbst ein Achilles, der Liebling des
Olymp, erlag seinem Fatum. Ein Kampf wie der, welchen Liszt mit seinem
eignen Genius kämpft, den er gewaltsam seinem Willen unterordnen möchte,
mag etwas Edles, ja Großartiges haben, aber wir fürchten, eS wird ein ver¬
geblicher sein. Eine Zeitlang mag der begabte energische Mann sich oben hal¬
ten, nach so manchen Enttäuschungen an die Freunde, an die Zukunft appe-
lirend. Aber die ersteren scheinen nicht recht Stich halten zu wollen, und wir
können kaum glauben, daß die Berufung auf die Zukunft ohne die Zustimmung
der Gegenwart seinen Nach Ruhm dürstenden Lippen genügen wette. Freilich
bedarf es für Liszt nur eines Saales und eines Flügels, um von neuem an-


Meister „augenscheinlich überflüssig zu wachen habe" verstehen wir nicht.
Wenn der Kapellmeister sich auf die rechte Weise recht nöthig zeigt, so wird
dies ebensowenig stören, als es stört, einen Violinspieler den Bogen führen zu
sehen. Aber freilich auf seine Persönlichkeit soll der Dirigent die Aufmerk¬
samkeit nicht zu leiten suchen, und grade darin versieht es Liszt wieder, wir
wollen gern glauben, ohne eS zu wollen. Von seinen Gewohnheiten als Pia¬
nist ist ihm ein übermäßig starkes Spiel der Physiognomie übrig geblieben,
mit welchem er, dem verschiedenartigen Ausdrucke der Musik gemäß, dasselbe
begleitet — dazu kommt, daß er zuweilen das Dirigiren ganz gut sein, oder
seine Hand in rein plastischen Bewegungen über dem Pulte sich ergehen läßt, oder
in der Partitur blättert — kurz sich einer Menge Dinge hingibt, die, da man
an seinem Wesen durchwegs großes Interesse nimmt, von der Musik ab- und
die Augen der Zuhörer „augenscheinlich" auf ihn lenken. Und das ist
vom Uebel.

Wenn man einen Künstler wie Liszt als Dirigenten hinstellt, wenn er
selbst das Dirigiren zu einer seiner Lebensaufgaben gemacht, so steht nicht
allein mehr, es steht ganz Anderes zu erwarten, als was er geleistet. Geniale
Auffassung, Sicherheit, Feinheit, Abrundung in der Ausführung der von ihm
zu leitenden Werke muß man von einem Manne verlangen dürfen, der als
Virtuos alle Eigenschaften besitzt, die er besitzen will. Vielleicht daß Liszt in
Weimar mit den ihm bekannten und vertrauten Kräften und wenn er beliebige
Zeit auf das Einstudiren eines Lieblingswerkes wenden kann, zu günstigeren
Resultaten gelangt, als Leiter der ihm in Aachen anvertrauten ganz vortrefflichen
Kräfte zeigte er, um bei seinem eignen Ausdrucke zu bleiben, seine Unzu¬
länglichkeit.

Liszt hat eine gefährliche Bahn betreten. Uebersättigt von Triumphen, wie
sie den größten Männern selten zu Theil geworden, will er den Ossa aus den
Peleon tragen, will ein Komponist wie Beethoven, ein Dirigent wie Mendels¬
sohn, ein gepriesener Schriftsteller, ein einflußreicher Kritiker sein. Die Götter
aber sind noch Mißgünstiger als die Menschen, und wen die einen unter ihnen
begünstigen, den verfolgen die andern. Selbst ein Achilles, der Liebling des
Olymp, erlag seinem Fatum. Ein Kampf wie der, welchen Liszt mit seinem
eignen Genius kämpft, den er gewaltsam seinem Willen unterordnen möchte,
mag etwas Edles, ja Großartiges haben, aber wir fürchten, eS wird ein ver¬
geblicher sein. Eine Zeitlang mag der begabte energische Mann sich oben hal¬
ten, nach so manchen Enttäuschungen an die Freunde, an die Zukunft appe-
lirend. Aber die ersteren scheinen nicht recht Stich halten zu wollen, und wir
können kaum glauben, daß die Berufung auf die Zukunft ohne die Zustimmung
der Gegenwart seinen Nach Ruhm dürstenden Lippen genügen wette. Freilich
bedarf es für Liszt nur eines Saales und eines Flügels, um von neuem an-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/66>, abgerufen am 01.10.2024.