Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.Oper benommen, die bei einem Ständchen den primo terwre in Serien be¬ Auf den ersten Anschein könnte es trotz der schlechten Verse des H. Pohl Oper benommen, die bei einem Ständchen den primo terwre in Serien be¬ Auf den ersten Anschein könnte es trotz der schlechten Verse des H. Pohl <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0058" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104259"/> <p xml:id="ID_170" prev="#ID_169"> Oper benommen, die bei einem Ständchen den primo terwre in Serien be¬<lb/> gleitet, ein fahrender Sänger macht ihr vor aller Welt die offenbarsten Lie¬<lb/> beserklärungen. „Ihr habt mein Volk verführet, verlockt ihr nun mein Weib?"<lb/> ruft er mit Uhland aus. „Stirb, feiger Sklavensohn," hat Herr Pohl noch<lb/> hinzugesetzt, worauf der Chor in die Worte ausbricht: „Weh, hin sank sein<lb/> blutger Leib!" Dies ist die letzte Zuthat des Herrn Pohl, wir kehren wieder<lb/> zum Originaltext zurück, der von hier an, vertheilt zwischen der Erzählerin,<lb/> dem alten Harfner und dem Chor ungestört bis zum Ende beibehalten wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_171" next="#ID_172"> Auf den ersten Anschein könnte es trotz der schlechten Verse des H. Pohl<lb/> und seiner noch schlechteren Anwendung der uhlandschen scheinen, als sei das<lb/> Ganze zum Behufe musikalischer Bearbeitung sehr geeignet — doch ist dem<lb/> nur bis zu einem gewissen Grade so. Anregungen zu einzelnen Musikstücken<lb/> können nicht ausbleiben, wo so viele Lieder und Romanzen aneinandergehängt<lb/> sind, aber ein einheitliches Kunstwerk kann auf einem solchen oder ähnlichem<lb/> Tert schwerlich ausgebaut werden. Das poetische Dämmerlicht, was über der<lb/> Ballade ausgebreitet ist, die wie ein Traum aus alten Zeiten'sich über uns<lb/> senkt, wird verwischt durch das dramatische, fast theatralische Wesen des langen<lb/> eingeschobenen Intermezzo, und je mehr sich der Komponist bemüht, jedem der<lb/> beiden Theile sein Recht zukommen zu lassen, desto unvermittelter werden sie<lb/> nebeneinanderstellen. Dazu kommt, daß der dramatische Theil vom Bear¬<lb/> beiter, wenn auch nicht der Intention, doch der Form nach in großer Unklar¬<lb/> heit gelassen ist, was auch wieder dem Componisten das deutliche Zeichnen der<lb/> Figuren erschwerte, und daß anderntheils durch die unzarte Behandlung jeder<lb/> Antheil, den man den einzelnen Personen zuwenden möchte, geschmälert wird.<lb/> Wenn bei Uhland der Harfner das steinerne Herz eines mächtigen Königs<lb/> rühren will, und wenn dieser, ein Vollblutstyrann, nichts wissen mag von<lb/> Freiheit und Männerwürde, und es nicht ertragen kann, daß die Seinen sich<lb/> begeistern für diese ihm so fremden und feindseligen Mächte — wenn es ihn<lb/> vollends zur Wuth entflammt, daß auch sein Weib „in Lust und Wehmuth<lb/> zerfließt", und'er den Sänger seine Wuth entgelten läßt, so haben wir hier<lb/> einen Greis, der (absichtlich) den König reizt, einen Jüngling, der in die Kö¬<lb/> nigin verliebt zu sein scheint, eine Königin, die mit einem Troubadour koket-<lb/> tirt, einen Chor, der sich ungescheut vor dem Tyrannen für Freiheit und Vater¬<lb/> land aussingt, und doch weder den Muth hat seine Lieblingssängcr zu warnen,<lb/> noch viel weniger zu vertheidigen, und die blutige That des Königs erscheint<lb/> durchaus nicht mehr in hinreichend grellem Lichte, um „des Sängers Fluch"<lb/> zu rechtfertigen. Warum hat Herr Pohl nicht wenigstens das Stoffliche aus<lb/> der Ballade beibehalten? Warum läßt er die Königin dem Sänger nicht eine<lb/> Rose zuwerfen? Das ist anmuthig weiblich und höchstens nicht fürstlich, und<lb/> es entzückt uns, wenn es auch den tyrannischen Gemahl noch so sehr be-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0058]
Oper benommen, die bei einem Ständchen den primo terwre in Serien be¬
gleitet, ein fahrender Sänger macht ihr vor aller Welt die offenbarsten Lie¬
beserklärungen. „Ihr habt mein Volk verführet, verlockt ihr nun mein Weib?"
ruft er mit Uhland aus. „Stirb, feiger Sklavensohn," hat Herr Pohl noch
hinzugesetzt, worauf der Chor in die Worte ausbricht: „Weh, hin sank sein
blutger Leib!" Dies ist die letzte Zuthat des Herrn Pohl, wir kehren wieder
zum Originaltext zurück, der von hier an, vertheilt zwischen der Erzählerin,
dem alten Harfner und dem Chor ungestört bis zum Ende beibehalten wird.
Auf den ersten Anschein könnte es trotz der schlechten Verse des H. Pohl
und seiner noch schlechteren Anwendung der uhlandschen scheinen, als sei das
Ganze zum Behufe musikalischer Bearbeitung sehr geeignet — doch ist dem
nur bis zu einem gewissen Grade so. Anregungen zu einzelnen Musikstücken
können nicht ausbleiben, wo so viele Lieder und Romanzen aneinandergehängt
sind, aber ein einheitliches Kunstwerk kann auf einem solchen oder ähnlichem
Tert schwerlich ausgebaut werden. Das poetische Dämmerlicht, was über der
Ballade ausgebreitet ist, die wie ein Traum aus alten Zeiten'sich über uns
senkt, wird verwischt durch das dramatische, fast theatralische Wesen des langen
eingeschobenen Intermezzo, und je mehr sich der Komponist bemüht, jedem der
beiden Theile sein Recht zukommen zu lassen, desto unvermittelter werden sie
nebeneinanderstellen. Dazu kommt, daß der dramatische Theil vom Bear¬
beiter, wenn auch nicht der Intention, doch der Form nach in großer Unklar¬
heit gelassen ist, was auch wieder dem Componisten das deutliche Zeichnen der
Figuren erschwerte, und daß anderntheils durch die unzarte Behandlung jeder
Antheil, den man den einzelnen Personen zuwenden möchte, geschmälert wird.
Wenn bei Uhland der Harfner das steinerne Herz eines mächtigen Königs
rühren will, und wenn dieser, ein Vollblutstyrann, nichts wissen mag von
Freiheit und Männerwürde, und es nicht ertragen kann, daß die Seinen sich
begeistern für diese ihm so fremden und feindseligen Mächte — wenn es ihn
vollends zur Wuth entflammt, daß auch sein Weib „in Lust und Wehmuth
zerfließt", und'er den Sänger seine Wuth entgelten läßt, so haben wir hier
einen Greis, der (absichtlich) den König reizt, einen Jüngling, der in die Kö¬
nigin verliebt zu sein scheint, eine Königin, die mit einem Troubadour koket-
tirt, einen Chor, der sich ungescheut vor dem Tyrannen für Freiheit und Vater¬
land aussingt, und doch weder den Muth hat seine Lieblingssängcr zu warnen,
noch viel weniger zu vertheidigen, und die blutige That des Königs erscheint
durchaus nicht mehr in hinreichend grellem Lichte, um „des Sängers Fluch"
zu rechtfertigen. Warum hat Herr Pohl nicht wenigstens das Stoffliche aus
der Ballade beibehalten? Warum läßt er die Königin dem Sänger nicht eine
Rose zuwerfen? Das ist anmuthig weiblich und höchstens nicht fürstlich, und
es entzückt uns, wenn es auch den tyrannischen Gemahl noch so sehr be-
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