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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Günstlinge wie Artini Bei mißbrauchten
sein Wohlwollen und verleiteten ihn zu allerlei falschen Maßregeln. Aller
europäischen Cultur feindlich, mied er so viel ihm möglich, den Umgang mit
Franken. Namentlich waren ihm die Franzosen verhaßt. Seine Schwäche so
wie das habsüchtige Verfahren, das er selbst gegen seine nächsten Verwandten
beobachtete, gab zur Bildung einer Partei in Konstantinopel Veranlassung,
welche, von Reschid Pascha geleitet und auch von Frankreich begünstigt, es
dahin brachte, daß der Vicekönig mehr und mehr von der durch Mehemed
Ali und Ibrahim eroberten Stellung einbüßte und endlich als ein Vasall wie
andere Nasallen behandelt wurde. 18S.1 kam ihm von der Pforte der Befehl
zu, daS Tansimat in Aegypten einzuführen, und zwar ohne Aufschub.

Erst hiermit begann die neue Zeit; denn erst hiermit erhielt das Volk
Rechte, die Despotie Zügel und Schranke. Der Vicekönig verlor dadurch
den Charakter eines vollkommen unbeschränkten Gebieters. Er war fortan
verpflichtet, nur nach gerichtlicher Entscheidung daS Leben und Eigenthum
seiner Unterthanen anzutasten, das Steuerwesen nach vernünftigen Grund¬
sätzen zu regeln, die Aushebung der Soldaten, die bis dahin in der Weise
einer Sklavenjagd betrieben worden, in der Art einer regelmäßigen Conscrip-
tion stattfinden zu lassen, die Dienstzeit derselben auf einige Jahre zu be¬
schränken u. a. in. Vergeblich suchte Abbas in Konstantinopel um Modifi¬
kationen nach. Es gelang ihm erst im nächsten Jahre, sich für einige Zeit
das Recht, ohne Anfrage bei der Pforte die Todesstrafe zu verhängen, so wie
die Erlaubniß zur Verfügung über seine Unterthanen in Frohn- und Militär¬
diensten zu verschaffen, indem er auf eine Erhöhung des Tributs einging,
welchen er an den Sultan zu zahlen hatte.

Noch günstiger stellte er sich, indem er die kritische Lage benutzie, in der
sich die Pforte 18S3 befand, und indem er zugleich sich an England einen
Fürsprecher erwarb. Der Sultan, dem er den Tribut von jährlich dreißig
Millionen Piastern ein Jahr eher als er fällig war, vorstreckte, zeichnete ihn
durch einen Orden und einen prachtvollen Ehrensäbel aus, ernannte ihn zum
erste" seiner Statthalter, überließ ihm daS ^U8 tZlaclii auf Lebenszeit und gab
ihm volle Autorität über seine Familie, mit der Abbas sich jetzt aussöhnte.

Dem Lande halfen diese Errungenschaften deS Vicekönigs nichts. Es litt
in der alle" Weise durch die Machinationen, mit denen sich Abbas die durch
Zahlung des Tributs geleerten Kassen wieder zu füllen suchte. Von andern
Verbesserungen als denen, wozu er genöthigt worden, war nicht die Rede,
und selbst die letztern stockten und wurden in ihrer wohlthätigen Wirkung, wo
eS irgend thunlich war, gehemmt. Indeß wurde wenigstens ein großes För-
derungsmittel des Verkehrs rasch seiner Vollendung entgegenführt. Die Eisen¬
bahn, welche Alerandrien mit Kairo und Suez verbinden sollte, wurde 1833


ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Günstlinge wie Artini Bei mißbrauchten
sein Wohlwollen und verleiteten ihn zu allerlei falschen Maßregeln. Aller
europäischen Cultur feindlich, mied er so viel ihm möglich, den Umgang mit
Franken. Namentlich waren ihm die Franzosen verhaßt. Seine Schwäche so
wie das habsüchtige Verfahren, das er selbst gegen seine nächsten Verwandten
beobachtete, gab zur Bildung einer Partei in Konstantinopel Veranlassung,
welche, von Reschid Pascha geleitet und auch von Frankreich begünstigt, es
dahin brachte, daß der Vicekönig mehr und mehr von der durch Mehemed
Ali und Ibrahim eroberten Stellung einbüßte und endlich als ein Vasall wie
andere Nasallen behandelt wurde. 18S.1 kam ihm von der Pforte der Befehl
zu, daS Tansimat in Aegypten einzuführen, und zwar ohne Aufschub.

Erst hiermit begann die neue Zeit; denn erst hiermit erhielt das Volk
Rechte, die Despotie Zügel und Schranke. Der Vicekönig verlor dadurch
den Charakter eines vollkommen unbeschränkten Gebieters. Er war fortan
verpflichtet, nur nach gerichtlicher Entscheidung daS Leben und Eigenthum
seiner Unterthanen anzutasten, das Steuerwesen nach vernünftigen Grund¬
sätzen zu regeln, die Aushebung der Soldaten, die bis dahin in der Weise
einer Sklavenjagd betrieben worden, in der Art einer regelmäßigen Conscrip-
tion stattfinden zu lassen, die Dienstzeit derselben auf einige Jahre zu be¬
schränken u. a. in. Vergeblich suchte Abbas in Konstantinopel um Modifi¬
kationen nach. Es gelang ihm erst im nächsten Jahre, sich für einige Zeit
das Recht, ohne Anfrage bei der Pforte die Todesstrafe zu verhängen, so wie
die Erlaubniß zur Verfügung über seine Unterthanen in Frohn- und Militär¬
diensten zu verschaffen, indem er auf eine Erhöhung des Tributs einging,
welchen er an den Sultan zu zahlen hatte.

Noch günstiger stellte er sich, indem er die kritische Lage benutzie, in der
sich die Pforte 18S3 befand, und indem er zugleich sich an England einen
Fürsprecher erwarb. Der Sultan, dem er den Tribut von jährlich dreißig
Millionen Piastern ein Jahr eher als er fällig war, vorstreckte, zeichnete ihn
durch einen Orden und einen prachtvollen Ehrensäbel aus, ernannte ihn zum
erste» seiner Statthalter, überließ ihm daS ^U8 tZlaclii auf Lebenszeit und gab
ihm volle Autorität über seine Familie, mit der Abbas sich jetzt aussöhnte.

Dem Lande halfen diese Errungenschaften deS Vicekönigs nichts. Es litt
in der alle» Weise durch die Machinationen, mit denen sich Abbas die durch
Zahlung des Tributs geleerten Kassen wieder zu füllen suchte. Von andern
Verbesserungen als denen, wozu er genöthigt worden, war nicht die Rede,
und selbst die letztern stockten und wurden in ihrer wohlthätigen Wirkung, wo
eS irgend thunlich war, gehemmt. Indeß wurde wenigstens ein großes För-
derungsmittel des Verkehrs rasch seiner Vollendung entgegenführt. Die Eisen¬
bahn, welche Alerandrien mit Kairo und Suez verbinden sollte, wurde 1833


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/519>, abgerufen am 25.08.2024.