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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Schaf ausgebeutet würden? Von Palliativmitteln kann hier so wenig wie im
Norden des Reichs der Sultane auf die Dauer die Rede sein. Auch Aegypten
muß mit der Zeit einmal unter die Herrschaft deS Abendlandes zurückkehren,
der Suezkanal aber würde die Krisis beschleunigen und sie herbeiführen, ehe
die hier in Frage kommenden Interessen der Großmächte sich ausgeglichen haben.
Unter den gegenwärtigen Umständen, und unter allen Umständen, wo Frankreich
einen starken Herrscher hat, würde das Land eine Beute der Franzosen werde",
die in den letzten Jahrzehnten wacker vorgearbeitet haben. Mehemed Ali war
dem Plane, den Isthmus zu durchstechen, nie sehr geneigt, obschon er, fort¬
während gedrängt und bearbeitet von den Franzosen, endlich 1847 seine Zu¬
stimmung dazu ertheilte. Wahrscheinlich erfüllte ihn dieselbe Besorgniß, welche
den Pharao Necho von dem Unternehmen zurückschreckte, als ihm ein Orakel
den Spruch gab: er arbeite Den Barbaren zum Frommen. Frankreich hat Algier
erobert und sich dort festgesetzt. Französischer Einfluß ist in Tunis thätig, das
dortige Regiment zu untergraben. Fällt Tunis einmal in die Hände Napoleons,
so verlieren Gibraltar und Malta sehr viel von ihrer jetzigen Bedeutung; denn
Algier und das Nildelta sind sich dann um mehr als die Hälfte des Weges
näher gerückt. Von diesem Punkte aus, dem alten Karthago, würde Frankreich
im geeigneten Moment nicht blos das Meer der Syrien, sondern auch das
adriatische absperren können. Von hier aus würde eS größern Einfluß in
Sicilien und Unteritalien gewinnen und nach Maßgabe der Umstände selbst
dort Fuß fassen können. Von hier aus ließe sich ein Zug nach Aegypten auf
das wirksamste unterstützen. Frankreich hält eine starke Flotte im Mittelmeer,
eS hat eine stets schlagfertige Armee, und es war unter schwierigern Verhält¬
nissen als die jetzigen sind, schon einmal im Besitze des Landes 5er
Pharaonen.

Wir brauchen diese Andeutungen nicht weiter auszuführen, nicht zu zeigen,
daß den besten Theil des Nordrandes von Afrika haben, für eine Seemacht
wie Frankreich unter Umständen die absolute Herrschaft auf dem ganzen
Mittelmeer bedeuten kann, und daß Aegypten mit einem wirklich gelungenen
Kanal durch die Landenge von Suez besitzen den ersten Schritt zur Eroberung
oder doch zu sehr gefährlicher Bedrohung Ostindiens, des besten Theils von
Asten, gethan haben heißt. Es liegt auf der Hand, daß England trotz seines
jetzigen Bündnisses mit dem Kaiser Napoleon til. nnter keiner Bedingung in
eine Ausführung des lcssepsschen Unternehmens willigen kann, und da eS
kein Recht hat, directen Einspruch dagegen zu erheben, läßt es die Pforte für
sich sprechen. So lange diese irgend eine Autorität über die Nachfolger
Mehemed Alis hat, wird der Kanal nicht zu Stande kommen, und so wäre
das Project, von dem die östreichischen Zeitungen lange Zeit wie von einem
schon so gut als verwirklichten sprachen, selbst dann ein todtgeborneS Kind,


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Schaf ausgebeutet würden? Von Palliativmitteln kann hier so wenig wie im
Norden des Reichs der Sultane auf die Dauer die Rede sein. Auch Aegypten
muß mit der Zeit einmal unter die Herrschaft deS Abendlandes zurückkehren,
der Suezkanal aber würde die Krisis beschleunigen und sie herbeiführen, ehe
die hier in Frage kommenden Interessen der Großmächte sich ausgeglichen haben.
Unter den gegenwärtigen Umständen, und unter allen Umständen, wo Frankreich
einen starken Herrscher hat, würde das Land eine Beute der Franzosen werde»,
die in den letzten Jahrzehnten wacker vorgearbeitet haben. Mehemed Ali war
dem Plane, den Isthmus zu durchstechen, nie sehr geneigt, obschon er, fort¬
während gedrängt und bearbeitet von den Franzosen, endlich 1847 seine Zu¬
stimmung dazu ertheilte. Wahrscheinlich erfüllte ihn dieselbe Besorgniß, welche
den Pharao Necho von dem Unternehmen zurückschreckte, als ihm ein Orakel
den Spruch gab: er arbeite Den Barbaren zum Frommen. Frankreich hat Algier
erobert und sich dort festgesetzt. Französischer Einfluß ist in Tunis thätig, das
dortige Regiment zu untergraben. Fällt Tunis einmal in die Hände Napoleons,
so verlieren Gibraltar und Malta sehr viel von ihrer jetzigen Bedeutung; denn
Algier und das Nildelta sind sich dann um mehr als die Hälfte des Weges
näher gerückt. Von diesem Punkte aus, dem alten Karthago, würde Frankreich
im geeigneten Moment nicht blos das Meer der Syrien, sondern auch das
adriatische absperren können. Von hier aus würde eS größern Einfluß in
Sicilien und Unteritalien gewinnen und nach Maßgabe der Umstände selbst
dort Fuß fassen können. Von hier aus ließe sich ein Zug nach Aegypten auf
das wirksamste unterstützen. Frankreich hält eine starke Flotte im Mittelmeer,
eS hat eine stets schlagfertige Armee, und es war unter schwierigern Verhält¬
nissen als die jetzigen sind, schon einmal im Besitze des Landes 5er
Pharaonen.

Wir brauchen diese Andeutungen nicht weiter auszuführen, nicht zu zeigen,
daß den besten Theil des Nordrandes von Afrika haben, für eine Seemacht
wie Frankreich unter Umständen die absolute Herrschaft auf dem ganzen
Mittelmeer bedeuten kann, und daß Aegypten mit einem wirklich gelungenen
Kanal durch die Landenge von Suez besitzen den ersten Schritt zur Eroberung
oder doch zu sehr gefährlicher Bedrohung Ostindiens, des besten Theils von
Asten, gethan haben heißt. Es liegt auf der Hand, daß England trotz seines
jetzigen Bündnisses mit dem Kaiser Napoleon til. nnter keiner Bedingung in
eine Ausführung des lcssepsschen Unternehmens willigen kann, und da eS
kein Recht hat, directen Einspruch dagegen zu erheben, läßt es die Pforte für
sich sprechen. So lange diese irgend eine Autorität über die Nachfolger
Mehemed Alis hat, wird der Kanal nicht zu Stande kommen, und so wäre
das Project, von dem die östreichischen Zeitungen lange Zeit wie von einem
schon so gut als verwirklichten sprachen, selbst dann ein todtgeborneS Kind,


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[0515] Schaf ausgebeutet würden? Von Palliativmitteln kann hier so wenig wie im Norden des Reichs der Sultane auf die Dauer die Rede sein. Auch Aegypten muß mit der Zeit einmal unter die Herrschaft deS Abendlandes zurückkehren, der Suezkanal aber würde die Krisis beschleunigen und sie herbeiführen, ehe die hier in Frage kommenden Interessen der Großmächte sich ausgeglichen haben. Unter den gegenwärtigen Umständen, und unter allen Umständen, wo Frankreich einen starken Herrscher hat, würde das Land eine Beute der Franzosen werde», die in den letzten Jahrzehnten wacker vorgearbeitet haben. Mehemed Ali war dem Plane, den Isthmus zu durchstechen, nie sehr geneigt, obschon er, fort¬ während gedrängt und bearbeitet von den Franzosen, endlich 1847 seine Zu¬ stimmung dazu ertheilte. Wahrscheinlich erfüllte ihn dieselbe Besorgniß, welche den Pharao Necho von dem Unternehmen zurückschreckte, als ihm ein Orakel den Spruch gab: er arbeite Den Barbaren zum Frommen. Frankreich hat Algier erobert und sich dort festgesetzt. Französischer Einfluß ist in Tunis thätig, das dortige Regiment zu untergraben. Fällt Tunis einmal in die Hände Napoleons, so verlieren Gibraltar und Malta sehr viel von ihrer jetzigen Bedeutung; denn Algier und das Nildelta sind sich dann um mehr als die Hälfte des Weges näher gerückt. Von diesem Punkte aus, dem alten Karthago, würde Frankreich im geeigneten Moment nicht blos das Meer der Syrien, sondern auch das adriatische absperren können. Von hier aus würde eS größern Einfluß in Sicilien und Unteritalien gewinnen und nach Maßgabe der Umstände selbst dort Fuß fassen können. Von hier aus ließe sich ein Zug nach Aegypten auf das wirksamste unterstützen. Frankreich hält eine starke Flotte im Mittelmeer, eS hat eine stets schlagfertige Armee, und es war unter schwierigern Verhält¬ nissen als die jetzigen sind, schon einmal im Besitze des Landes 5er Pharaonen. Wir brauchen diese Andeutungen nicht weiter auszuführen, nicht zu zeigen, daß den besten Theil des Nordrandes von Afrika haben, für eine Seemacht wie Frankreich unter Umständen die absolute Herrschaft auf dem ganzen Mittelmeer bedeuten kann, und daß Aegypten mit einem wirklich gelungenen Kanal durch die Landenge von Suez besitzen den ersten Schritt zur Eroberung oder doch zu sehr gefährlicher Bedrohung Ostindiens, des besten Theils von Asten, gethan haben heißt. Es liegt auf der Hand, daß England trotz seines jetzigen Bündnisses mit dem Kaiser Napoleon til. nnter keiner Bedingung in eine Ausführung des lcssepsschen Unternehmens willigen kann, und da eS kein Recht hat, directen Einspruch dagegen zu erheben, läßt es die Pforte für sich sprechen. So lange diese irgend eine Autorität über die Nachfolger Mehemed Alis hat, wird der Kanal nicht zu Stande kommen, und so wäre das Project, von dem die östreichischen Zeitungen lange Zeit wie von einem schon so gut als verwirklichten sprachen, selbst dann ein todtgeborneS Kind, 6L*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/515>, abgerufen am 29.09.2024.