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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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die englische Malerei entwickelte. Als ihr Gründer darf Sir Josua Rcynolds
angesehen werden, der zuerst höhern künstlerischen Ansprüchen genügte. Er
war der erste englische Maler, der ein sorgfältiges Studium der italienischen
Meisterwerke in ihrem Vaterlande selbst unternahm, von dort brachte er Be¬
griffe und Methoden mit, die weit von den herkömmlichen Anschauungen ab¬
wichen und hob die Porträtmalerei aus dem conventionellen Geleise zu einer
wahrhaften Kunst. Er selbst schildert, wie seine Vorgänger zu Werke gingen.
"Sie hatten eine Reihe von Stellungen, welche sie ununterschiedlich auf alle
Personen anwendeten, daher haben alle ihre Bilder einen schildwachmäßigen
Charakter; wenn sie eine Geschichte oder ein Familienbild malen sollen, so
sehen sie geschwind ihr Handbuch durch, stöbern in ihren Kupferstichen und
plündern hier eine Figur, dort einen Zug, aber geben sich nicht die Mühe
selbst zu denken." Im Gegensatz zu ihnen war Reynolds ein denkender Maler,
der die bloße Nachahmung der Natur verschmähte und ihr einen idealen
Stempel gab. Er besaß in hohem Grade die Gabe, seine Personen in
charakteristischen Stellungen aufzufassen, deshalb sind seine Bilder so sprechend
und scheinen aus dem Rahmen herauszutreten. Er erzählt, daß, als er Lord T> habe
malen sollen, dieser statt die gewünschte Stellung einzunehmen vor einem alten
Bilde stehen blieb und dasselbe unverwandt und sinnend anschaute. "Ich erfaßte
ihn in diesem Augenblick im Profil und brachte seine siiuunde Melancholie hinein,
so viel wie möglich war; als das Bild beendet, lobte er es .besonders wegen
des Ausdruckes, obwol er gewiß nicht an die Veranlassung dachte, die mich
darauf brachte, ihn grade so aufzufassen." Diese Vorzüge reynoldscher
Malerei finden wir charakteristisch in den besten seiner Bilder, welche die Aus¬
stellung uns bietet z. B. in dem "Erdbeermädchen", das in reizender Weise von
unten aufblickt, dem zeichnenden Mädchen, dem Porträt der Gräfin Althorpe
und namentlich von Nelly-Obrien, daS mit seiner weichen träumerischen und
trägen Schönheit ein lebhaftes Bild der Person gibt; aber auch die Schatten
seiner Malerweise zeigen sich, vor allem die schlechte Komposition der Farben,
mit denen er malte, weshalb auch die meisten seiner Bilder verwitterter aus¬
sehen als Raphaels oder Dürers. Er behauptete freilich, es ließen sich mit
solchen flüchtigen Farben zartere Effecte erreichen und der Künstler dürfe nur
darauf sehen, den höchsten Grad von Trefflichkeit im Augenblick der Vollendung
des Bildes zu erreichen, doch waren begreiflicherweise mit dieser Theorie die Käufer
seiner Bilder wenig zufrieden, welche nicht für einen so kurzen Genuß bezahlt haben
wollten. Reynolds erwarb sich um die Entwicklung der englischen Kunst noch
ein besonderes Verdienst, indem er hauptsächlich die königliche Akademie der
Künste ins Leben rief; bis -1760 gab es keine jährliche Ausstellung der Werke
englischer Maler. Dr. Johnson machte sich lustig über die Mittelmäßigkeit der
Werke, welche die ersten Ausstellungen brachten, und allerdings mögen zuerst auch


die englische Malerei entwickelte. Als ihr Gründer darf Sir Josua Rcynolds
angesehen werden, der zuerst höhern künstlerischen Ansprüchen genügte. Er
war der erste englische Maler, der ein sorgfältiges Studium der italienischen
Meisterwerke in ihrem Vaterlande selbst unternahm, von dort brachte er Be¬
griffe und Methoden mit, die weit von den herkömmlichen Anschauungen ab¬
wichen und hob die Porträtmalerei aus dem conventionellen Geleise zu einer
wahrhaften Kunst. Er selbst schildert, wie seine Vorgänger zu Werke gingen.
„Sie hatten eine Reihe von Stellungen, welche sie ununterschiedlich auf alle
Personen anwendeten, daher haben alle ihre Bilder einen schildwachmäßigen
Charakter; wenn sie eine Geschichte oder ein Familienbild malen sollen, so
sehen sie geschwind ihr Handbuch durch, stöbern in ihren Kupferstichen und
plündern hier eine Figur, dort einen Zug, aber geben sich nicht die Mühe
selbst zu denken." Im Gegensatz zu ihnen war Reynolds ein denkender Maler,
der die bloße Nachahmung der Natur verschmähte und ihr einen idealen
Stempel gab. Er besaß in hohem Grade die Gabe, seine Personen in
charakteristischen Stellungen aufzufassen, deshalb sind seine Bilder so sprechend
und scheinen aus dem Rahmen herauszutreten. Er erzählt, daß, als er Lord T> habe
malen sollen, dieser statt die gewünschte Stellung einzunehmen vor einem alten
Bilde stehen blieb und dasselbe unverwandt und sinnend anschaute. „Ich erfaßte
ihn in diesem Augenblick im Profil und brachte seine siiuunde Melancholie hinein,
so viel wie möglich war; als das Bild beendet, lobte er es .besonders wegen
des Ausdruckes, obwol er gewiß nicht an die Veranlassung dachte, die mich
darauf brachte, ihn grade so aufzufassen." Diese Vorzüge reynoldscher
Malerei finden wir charakteristisch in den besten seiner Bilder, welche die Aus¬
stellung uns bietet z. B. in dem „Erdbeermädchen", das in reizender Weise von
unten aufblickt, dem zeichnenden Mädchen, dem Porträt der Gräfin Althorpe
und namentlich von Nelly-Obrien, daS mit seiner weichen träumerischen und
trägen Schönheit ein lebhaftes Bild der Person gibt; aber auch die Schatten
seiner Malerweise zeigen sich, vor allem die schlechte Komposition der Farben,
mit denen er malte, weshalb auch die meisten seiner Bilder verwitterter aus¬
sehen als Raphaels oder Dürers. Er behauptete freilich, es ließen sich mit
solchen flüchtigen Farben zartere Effecte erreichen und der Künstler dürfe nur
darauf sehen, den höchsten Grad von Trefflichkeit im Augenblick der Vollendung
des Bildes zu erreichen, doch waren begreiflicherweise mit dieser Theorie die Käufer
seiner Bilder wenig zufrieden, welche nicht für einen so kurzen Genuß bezahlt haben
wollten. Reynolds erwarb sich um die Entwicklung der englischen Kunst noch
ein besonderes Verdienst, indem er hauptsächlich die königliche Akademie der
Künste ins Leben rief; bis -1760 gab es keine jährliche Ausstellung der Werke
englischer Maler. Dr. Johnson machte sich lustig über die Mittelmäßigkeit der
Werke, welche die ersten Ausstellungen brachten, und allerdings mögen zuerst auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/490>, abgerufen am 12.12.2024.