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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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daß sie für die erste Hochschule des Morgenlandes gilt. Von ihrem Aeußern
ist wenig zu sehen, da sie auf allen Seiten von Häusern verdeckt ist. Das
Innere ist ein großer viereckiger, von Säulengängen umgebner Hof. Auf der
Seite nach Mekka hin ist der Säulengang breiter. Hier findet der Gottesdienst
statt, nährend die Gänge der andern drei Seiten, in Säle abgetheilt, den
Studenten als Auditorien dienen. Jeder Saal gehört einer bestimmten Lands¬
mannschaft, und jeder hat seine eigne Büchersammlung. Die Wissenschaften,
die hier gelehrt werben, sind: Grammank und Rhetorik, Verslehre, Logik,
Koraueregese, Jurisprudenz und Arithmetik. Der Unterricht ist unentgeltlich,
ein Theil der Studenten bekommt sogar ein Kostgeld. Dies muß indeß sehr
spärlich sein; die meisten dieser Jünger der Wissenschaft scheinen nur von Lin¬
sen und dem groben Brot zu leben, welches in Haufen vor ihren Hörsälen
aufgeschichtet ist, um an der Sonne vor dem Schimmel bewahrt zu bleiben.
Die Professoren beziehen keinen Gehalt, sondern ernähren sich, wenn sie ohne
Vermögen sind, durch Privatunterricht oder Abschreiben von Büchern. Die Zahl
der hier Studirenden soll über zwölfhundert betragen. Manche von ihnen
bleiben ihr ganzes Leben hindurch hier und treten dann in die Classe der Ulema
ein, welche als die höchste" Rechtskundigen angesehen werden. Gegründet
wurde die Azher um daS Jahr 970 n. Chr., doch ist nur ein kleiner Theil
von dem damals errichteten Bau noch erhalten.

Aelter und schöner ist die Tulunmoschee, die nach dem Plan der Kaabah
erbaut sein soll. Jede ihrer vier Seiten ist gegen hundert Schritte lang. Die
Säulengänge bestehen auf drei Seiten aus zwei, auf der vierten, wo Kanzel
und Gebetsnische sind, aus fünf Reihen von Säulen, die sämmtlich Spitzbogen¬
gewölbe tragen. Diese Gewölbe sind von ungemein anmuthiger Form, indem
sie an der Basis der Archivolte noch ein wenig von der Hufeisengestalt haben,
die in einer Wand, welche die Moschee mit der Grundmauer deS einen Mina¬
rets verbindet, durch einen großen Bogen vollständig vertreten ist. Da i>lese
Moschee nach den kufischen Inschriften auf den Wänden des Hofes im Jahre
263 der Hebschra oder 879 n. Chr. vollendet wurde, so hat man in ihren
Säulengängen eines der ältesten," vielleicht daS älteste Beispiel der Anwendung
des Spitzbogens vor sich, und dieser Stil gehört folglich nach seinem Ursprung
nicht der germanischen Kunst und überhaupt nicht dem Abendland an. 'In
Europa läßt sich das Vorkommen des Spitzbogens nicht weiter als bis zur
letzten Hälfte deS elften Jahrhunderts n. Chr. zurückverfolgen, und zwar sind
es finnisch-normannische Bauten, an denen er zuerst erscheint. Erst zweihundert
Jahre später wurde er häufiger angewendet und höher ausgebildet. Es ist so¬
nach mit einer an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß
er eine Erfindung der Sarazenen ist, von denen er durch die Kreuzige, oder
mindestens erst kurz vor Beginn dieser Kriegsfahrten nach Dem Occivent gelangte.


Grenzboten. III. <8S7. 36

daß sie für die erste Hochschule des Morgenlandes gilt. Von ihrem Aeußern
ist wenig zu sehen, da sie auf allen Seiten von Häusern verdeckt ist. Das
Innere ist ein großer viereckiger, von Säulengängen umgebner Hof. Auf der
Seite nach Mekka hin ist der Säulengang breiter. Hier findet der Gottesdienst
statt, nährend die Gänge der andern drei Seiten, in Säle abgetheilt, den
Studenten als Auditorien dienen. Jeder Saal gehört einer bestimmten Lands¬
mannschaft, und jeder hat seine eigne Büchersammlung. Die Wissenschaften,
die hier gelehrt werben, sind: Grammank und Rhetorik, Verslehre, Logik,
Koraueregese, Jurisprudenz und Arithmetik. Der Unterricht ist unentgeltlich,
ein Theil der Studenten bekommt sogar ein Kostgeld. Dies muß indeß sehr
spärlich sein; die meisten dieser Jünger der Wissenschaft scheinen nur von Lin¬
sen und dem groben Brot zu leben, welches in Haufen vor ihren Hörsälen
aufgeschichtet ist, um an der Sonne vor dem Schimmel bewahrt zu bleiben.
Die Professoren beziehen keinen Gehalt, sondern ernähren sich, wenn sie ohne
Vermögen sind, durch Privatunterricht oder Abschreiben von Büchern. Die Zahl
der hier Studirenden soll über zwölfhundert betragen. Manche von ihnen
bleiben ihr ganzes Leben hindurch hier und treten dann in die Classe der Ulema
ein, welche als die höchste» Rechtskundigen angesehen werden. Gegründet
wurde die Azher um daS Jahr 970 n. Chr., doch ist nur ein kleiner Theil
von dem damals errichteten Bau noch erhalten.

Aelter und schöner ist die Tulunmoschee, die nach dem Plan der Kaabah
erbaut sein soll. Jede ihrer vier Seiten ist gegen hundert Schritte lang. Die
Säulengänge bestehen auf drei Seiten aus zwei, auf der vierten, wo Kanzel
und Gebetsnische sind, aus fünf Reihen von Säulen, die sämmtlich Spitzbogen¬
gewölbe tragen. Diese Gewölbe sind von ungemein anmuthiger Form, indem
sie an der Basis der Archivolte noch ein wenig von der Hufeisengestalt haben,
die in einer Wand, welche die Moschee mit der Grundmauer deS einen Mina¬
rets verbindet, durch einen großen Bogen vollständig vertreten ist. Da i>lese
Moschee nach den kufischen Inschriften auf den Wänden des Hofes im Jahre
263 der Hebschra oder 879 n. Chr. vollendet wurde, so hat man in ihren
Säulengängen eines der ältesten," vielleicht daS älteste Beispiel der Anwendung
des Spitzbogens vor sich, und dieser Stil gehört folglich nach seinem Ursprung
nicht der germanischen Kunst und überhaupt nicht dem Abendland an. 'In
Europa läßt sich das Vorkommen des Spitzbogens nicht weiter als bis zur
letzten Hälfte deS elften Jahrhunderts n. Chr. zurückverfolgen, und zwar sind
es finnisch-normannische Bauten, an denen er zuerst erscheint. Erst zweihundert
Jahre später wurde er häufiger angewendet und höher ausgebildet. Es ist so¬
nach mit einer an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß
er eine Erfindung der Sarazenen ist, von denen er durch die Kreuzige, oder
mindestens erst kurz vor Beginn dieser Kriegsfahrten nach Dem Occivent gelangte.


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[0433] daß sie für die erste Hochschule des Morgenlandes gilt. Von ihrem Aeußern ist wenig zu sehen, da sie auf allen Seiten von Häusern verdeckt ist. Das Innere ist ein großer viereckiger, von Säulengängen umgebner Hof. Auf der Seite nach Mekka hin ist der Säulengang breiter. Hier findet der Gottesdienst statt, nährend die Gänge der andern drei Seiten, in Säle abgetheilt, den Studenten als Auditorien dienen. Jeder Saal gehört einer bestimmten Lands¬ mannschaft, und jeder hat seine eigne Büchersammlung. Die Wissenschaften, die hier gelehrt werben, sind: Grammank und Rhetorik, Verslehre, Logik, Koraueregese, Jurisprudenz und Arithmetik. Der Unterricht ist unentgeltlich, ein Theil der Studenten bekommt sogar ein Kostgeld. Dies muß indeß sehr spärlich sein; die meisten dieser Jünger der Wissenschaft scheinen nur von Lin¬ sen und dem groben Brot zu leben, welches in Haufen vor ihren Hörsälen aufgeschichtet ist, um an der Sonne vor dem Schimmel bewahrt zu bleiben. Die Professoren beziehen keinen Gehalt, sondern ernähren sich, wenn sie ohne Vermögen sind, durch Privatunterricht oder Abschreiben von Büchern. Die Zahl der hier Studirenden soll über zwölfhundert betragen. Manche von ihnen bleiben ihr ganzes Leben hindurch hier und treten dann in die Classe der Ulema ein, welche als die höchste» Rechtskundigen angesehen werden. Gegründet wurde die Azher um daS Jahr 970 n. Chr., doch ist nur ein kleiner Theil von dem damals errichteten Bau noch erhalten. Aelter und schöner ist die Tulunmoschee, die nach dem Plan der Kaabah erbaut sein soll. Jede ihrer vier Seiten ist gegen hundert Schritte lang. Die Säulengänge bestehen auf drei Seiten aus zwei, auf der vierten, wo Kanzel und Gebetsnische sind, aus fünf Reihen von Säulen, die sämmtlich Spitzbogen¬ gewölbe tragen. Diese Gewölbe sind von ungemein anmuthiger Form, indem sie an der Basis der Archivolte noch ein wenig von der Hufeisengestalt haben, die in einer Wand, welche die Moschee mit der Grundmauer deS einen Mina¬ rets verbindet, durch einen großen Bogen vollständig vertreten ist. Da i>lese Moschee nach den kufischen Inschriften auf den Wänden des Hofes im Jahre 263 der Hebschra oder 879 n. Chr. vollendet wurde, so hat man in ihren Säulengängen eines der ältesten," vielleicht daS älteste Beispiel der Anwendung des Spitzbogens vor sich, und dieser Stil gehört folglich nach seinem Ursprung nicht der germanischen Kunst und überhaupt nicht dem Abendland an. 'In Europa läßt sich das Vorkommen des Spitzbogens nicht weiter als bis zur letzten Hälfte deS elften Jahrhunderts n. Chr. zurückverfolgen, und zwar sind es finnisch-normannische Bauten, an denen er zuerst erscheint. Erst zweihundert Jahre später wurde er häufiger angewendet und höher ausgebildet. Es ist so¬ nach mit einer an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß er eine Erfindung der Sarazenen ist, von denen er durch die Kreuzige, oder mindestens erst kurz vor Beginn dieser Kriegsfahrten nach Dem Occivent gelangte. Grenzboten. III. <8S7. 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/433>, abgerufen am 12.12.2024.