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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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besagt, ein zu einer gewissen Zeit gestandener Lohnsatz festgehalten und nicht
erniedrigt werden dürfe;" denn erst dann ist die Erreichung seiner Absicht, dem
Arbeitgeber eine Beisteuer für den Arbeiter über den Lohn hinaus aufy'legen
und so den Lohn indirekt zu erhöhe", gesichert. Freilich durch einen Eingriff
in die Regulirung dieses Verhältnisses mittelst der natürliche" Factoren; und
zu welchen Schritten man auf diesem schlüpfrige" Pfade von da "och weiter
gedrängt werden würde, indem der eine stets die anderen nach sich zieht, und
em Stillstand überhaupt gar nicht, sondern nur Umkehr oder Vorschreiten
möglich ist, das haben wir an dem verhängnisvollen Beispiele deS Marimum
gesehen.

Ohne somit länger bei dem Versuche auf indirectem Wege eine Lohner¬
höhung mittelst gesetzlichen Zwanges zu bewirken, den wir als ebenso vergeb¬
lich und verwerflich, wie einen directen Eingriff zu diesem Zwecke, erachten
müssen, länger zu verweilen, wenden wir uns den Forderungen derjenigen zu,
welche das Einschreiten der öffentlichen Mildthätigkeit gradezu in Anspruch
nehmen, um daS Loos des Arbeiters, sobald er über kurz oder lang arbeits¬
unfähig wird, zu erleichtern, und somit das Ziel, welchem die obige Richtung
auf verdecktem Wege zustrebte, offen verfolgen. Da sollen Rettungshäuser und
Spitäler geschafft, Schulen und Kosthäuser gegründet, Wohnungen gebaut,
Lebensmittel und Heizmaterial unter dem Ma>klpreise abgelassen werden, ent¬
weder auf gemeine Kosten, oder aus den Erträgen von Sammlungen und
Subscripiionen, durch die Wirksamkeit gemeinnütziger Vereine. Dabei begegnet
man ziemlich allgemein der naiven Vorstellung, als könne man durch An¬
rufung der StaatShilse pas Almosen von dem Lästigen für die Geber, wir
von Heu Erniedrigenden für die Empfänger entkleiden, und bedenkt nicht, daß
der Staat keiner Classe seiner Bürger etwas geben kann, ohne eS den alldem
zu nehmen, indem sich seine Einnahmequellen am letzten Ende stets aus die
Taschen seiner Angehörigen reduciren. Wie nothwendig und ehrenwerth nun
auch die erwähnten Anstalten und Maßregeln sein mögen, wenn eS sich da¬
rum handelt, wirklich schon vorhandene Noth zu lindern, der vereinzelten oder
vorübergehenden Hilflosigkeit beiiuspringen, so wenig taugen sie dazu, die
Quelle des EleiitS selbst zu verstopfe", der fortschreitenden Massenverarmung
entgegenzutreten, und als Mittel bei Lösung der socialen Frage in Betracht
zu kommen, welche es ihrem Hauplkenie nach bei weitem mehr mit Verhütung
der Verarmung, mit Erhaltung der Arbeitermassen in wirthschaftlich gesunden
Zustände", als mit Organisation der Mildthätigkeit gegen bereits Verarmte
zu thu" hat. Im Gegentheil, insofern man jene humane Fürsorge nicht als
Ausnahme, sondern als Regel, als etwas hinstellt, was mit den Zuständen
der arbeitende" Classen einmal unabänderlich verwachsen ist; insofern man den
Arbeitern die Aussicht darauf, als daS natürliche Endziel ihrer Laufbahn er-


besagt, ein zu einer gewissen Zeit gestandener Lohnsatz festgehalten und nicht
erniedrigt werden dürfe;" denn erst dann ist die Erreichung seiner Absicht, dem
Arbeitgeber eine Beisteuer für den Arbeiter über den Lohn hinaus aufy'legen
und so den Lohn indirekt zu erhöhe», gesichert. Freilich durch einen Eingriff
in die Regulirung dieses Verhältnisses mittelst der natürliche» Factoren; und
zu welchen Schritten man auf diesem schlüpfrige» Pfade von da »och weiter
gedrängt werden würde, indem der eine stets die anderen nach sich zieht, und
em Stillstand überhaupt gar nicht, sondern nur Umkehr oder Vorschreiten
möglich ist, das haben wir an dem verhängnisvollen Beispiele deS Marimum
gesehen.

Ohne somit länger bei dem Versuche auf indirectem Wege eine Lohner¬
höhung mittelst gesetzlichen Zwanges zu bewirken, den wir als ebenso vergeb¬
lich und verwerflich, wie einen directen Eingriff zu diesem Zwecke, erachten
müssen, länger zu verweilen, wenden wir uns den Forderungen derjenigen zu,
welche das Einschreiten der öffentlichen Mildthätigkeit gradezu in Anspruch
nehmen, um daS Loos des Arbeiters, sobald er über kurz oder lang arbeits¬
unfähig wird, zu erleichtern, und somit das Ziel, welchem die obige Richtung
auf verdecktem Wege zustrebte, offen verfolgen. Da sollen Rettungshäuser und
Spitäler geschafft, Schulen und Kosthäuser gegründet, Wohnungen gebaut,
Lebensmittel und Heizmaterial unter dem Ma>klpreise abgelassen werden, ent¬
weder auf gemeine Kosten, oder aus den Erträgen von Sammlungen und
Subscripiionen, durch die Wirksamkeit gemeinnütziger Vereine. Dabei begegnet
man ziemlich allgemein der naiven Vorstellung, als könne man durch An¬
rufung der StaatShilse pas Almosen von dem Lästigen für die Geber, wir
von Heu Erniedrigenden für die Empfänger entkleiden, und bedenkt nicht, daß
der Staat keiner Classe seiner Bürger etwas geben kann, ohne eS den alldem
zu nehmen, indem sich seine Einnahmequellen am letzten Ende stets aus die
Taschen seiner Angehörigen reduciren. Wie nothwendig und ehrenwerth nun
auch die erwähnten Anstalten und Maßregeln sein mögen, wenn eS sich da¬
rum handelt, wirklich schon vorhandene Noth zu lindern, der vereinzelten oder
vorübergehenden Hilflosigkeit beiiuspringen, so wenig taugen sie dazu, die
Quelle des EleiitS selbst zu verstopfe«, der fortschreitenden Massenverarmung
entgegenzutreten, und als Mittel bei Lösung der socialen Frage in Betracht
zu kommen, welche es ihrem Hauplkenie nach bei weitem mehr mit Verhütung
der Verarmung, mit Erhaltung der Arbeitermassen in wirthschaftlich gesunden
Zustände», als mit Organisation der Mildthätigkeit gegen bereits Verarmte
zu thu« hat. Im Gegentheil, insofern man jene humane Fürsorge nicht als
Ausnahme, sondern als Regel, als etwas hinstellt, was mit den Zuständen
der arbeitende» Classen einmal unabänderlich verwachsen ist; insofern man den
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/418>, abgerufen am 22.07.2024.