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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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von ihnen selbst mit gebietendem Ansehen bekleidet. Die Geldlade der "ge¬
meinen Deutschen aus allen Städten" in der Marienkirche zuWisby
auf Gothland, gleichsam die Bundeslade der deutschen Kaufmannschaft, an
welche sich die Interessen naher und ferner Länder knüpften, hatte vier Schlüssel:
einen derselben führte der Aldermann von Gothland, den zweiren der Alder-
mann aus Lübeck, den dritten der aus Soest, den vierten der ans Dortmund;
so vertreten die beiden letzten Städte das ganze deutsche Binnenland. Wer
zu Wisby in erster Reihe stand, mußte sich gleichen Einflusses "am Hofe der
Deutschen zu Großnaugarden (Nowgorod)" erfreuen, -- wie uns dies in der
Mitwirkung von 3 Soester und 2 dortmunder Kaufleuten bei einem im Jahre
1228 abgeschlossenen Handelsvertrage der russischen Fürsten von Smolensk mit
der deutschen Kaufmannschaft deutlich vor Augen tritt. Dieser Verkehr mit
dem Norden Europas war so sehr die Hauptaufgabe der Handelsthätigkeit von
Westphalen, daß die Kaufmannsgilden, -- wie in Soest, Arnsberg u. s. w.
-- von der damals blühenden See- und Handelsstadt Schleswig den Namen
"Schleswicker" bleibend annahmen und noch in späten Zeiten fortführten. Weit¬
hin durch das gegenwärtige Süderland erstreckte sich der Trieb zu fern reichen¬
den Handelsunternehmungen; selbst in gewerblich und kaufmännisch jetzt so
verschollenen Orten, wie Medebach, waren Geschäfte nach Dänemark und
Nußland eine so häufige Erscheinung, daß im Jahre 1136 eS sich daselbst als
Bedürfniß erwies, die Darleihung von Capitalien zu gemeinschaftlichen Specu-
lationen in jenen Ländern gesetzlich zu regeln; ferner begegnet uns im Jahre
1328 zu Attendorn eine Kaufmannsgilde, welche einen regelmäßigen und per¬
sönlichen Verkehr nach England Unterhielt, und der Name des Flottenführers
von Lübeck in der zweiten Hälfte des 1L. Jahrhunderts, Gerhard von Atten¬
dorn ist ein lebendiges Zeugniß der alten Handelsbeziehung nach der Ostsee.
"So durchspäheten damals die Männer des innersten Westphalens alle nor¬
dischen Meere, Buchten und Eilande. Von den Küsten Englands Md
Hollands bis nach Nußland hin treffen wir schon in den Zeiten vor der Hansa
unsere Westphälinger in rührigen Kaufmannsverkehr mit mancherlei Privi¬
legien zum Schutze ihrer Güter bei Todesfällen und Strandungen, mit Zoll-
sreiheiten u. s. w. von den Grafen Hollands und. Flanderns und von nor¬
dischen Fürsten ausgestattet.

Als nun gegen das Ende deS dreizehnten Jahrhunderts die deutsche
Hansa zu ihrer vollen Ausbildung gelangte, da halten zwar inzwischen die
an den Küsten des Meeres gelegenen wendischen Städte sich so weit entwickelt,
daß sie naturgemäß den Binnenorten den eigentlichen Seeverkehr abnahmen
und sie dadurch von der höchsten Stufe deS kaufmännischen Geschäftsbetriebes
und des politischen Einflusses zurückdrängten, indessen verblieb unsern westphä-
lischen Städten noch deS Raumes genug zu weitgreifender Handelsthätigkeit,


von ihnen selbst mit gebietendem Ansehen bekleidet. Die Geldlade der „ge¬
meinen Deutschen aus allen Städten" in der Marienkirche zuWisby
auf Gothland, gleichsam die Bundeslade der deutschen Kaufmannschaft, an
welche sich die Interessen naher und ferner Länder knüpften, hatte vier Schlüssel:
einen derselben führte der Aldermann von Gothland, den zweiren der Alder-
mann aus Lübeck, den dritten der aus Soest, den vierten der ans Dortmund;
so vertreten die beiden letzten Städte das ganze deutsche Binnenland. Wer
zu Wisby in erster Reihe stand, mußte sich gleichen Einflusses „am Hofe der
Deutschen zu Großnaugarden (Nowgorod)" erfreuen, — wie uns dies in der
Mitwirkung von 3 Soester und 2 dortmunder Kaufleuten bei einem im Jahre
1228 abgeschlossenen Handelsvertrage der russischen Fürsten von Smolensk mit
der deutschen Kaufmannschaft deutlich vor Augen tritt. Dieser Verkehr mit
dem Norden Europas war so sehr die Hauptaufgabe der Handelsthätigkeit von
Westphalen, daß die Kaufmannsgilden, — wie in Soest, Arnsberg u. s. w.
— von der damals blühenden See- und Handelsstadt Schleswig den Namen
„Schleswicker" bleibend annahmen und noch in späten Zeiten fortführten. Weit¬
hin durch das gegenwärtige Süderland erstreckte sich der Trieb zu fern reichen¬
den Handelsunternehmungen; selbst in gewerblich und kaufmännisch jetzt so
verschollenen Orten, wie Medebach, waren Geschäfte nach Dänemark und
Nußland eine so häufige Erscheinung, daß im Jahre 1136 eS sich daselbst als
Bedürfniß erwies, die Darleihung von Capitalien zu gemeinschaftlichen Specu-
lationen in jenen Ländern gesetzlich zu regeln; ferner begegnet uns im Jahre
1328 zu Attendorn eine Kaufmannsgilde, welche einen regelmäßigen und per¬
sönlichen Verkehr nach England Unterhielt, und der Name des Flottenführers
von Lübeck in der zweiten Hälfte des 1L. Jahrhunderts, Gerhard von Atten¬
dorn ist ein lebendiges Zeugniß der alten Handelsbeziehung nach der Ostsee.
„So durchspäheten damals die Männer des innersten Westphalens alle nor¬
dischen Meere, Buchten und Eilande. Von den Küsten Englands Md
Hollands bis nach Nußland hin treffen wir schon in den Zeiten vor der Hansa
unsere Westphälinger in rührigen Kaufmannsverkehr mit mancherlei Privi¬
legien zum Schutze ihrer Güter bei Todesfällen und Strandungen, mit Zoll-
sreiheiten u. s. w. von den Grafen Hollands und. Flanderns und von nor¬
dischen Fürsten ausgestattet.

Als nun gegen das Ende deS dreizehnten Jahrhunderts die deutsche
Hansa zu ihrer vollen Ausbildung gelangte, da halten zwar inzwischen die
an den Küsten des Meeres gelegenen wendischen Städte sich so weit entwickelt,
daß sie naturgemäß den Binnenorten den eigentlichen Seeverkehr abnahmen
und sie dadurch von der höchsten Stufe deS kaufmännischen Geschäftsbetriebes
und des politischen Einflusses zurückdrängten, indessen verblieb unsern westphä-
lischen Städten noch deS Raumes genug zu weitgreifender Handelsthätigkeit,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/400>, abgerufen am 01.07.2024.