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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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sich in geistliche Controversen einzulassen; um so weniger Gunst fanden sie aber
in den Augen der Gesellschaft, deren Beamte ihnen die möglichsten Schwierig¬
keiten in den Weg legten, und sie vielleicht noch mehr in den Hintergrund
geschoben hätten, wären sie nicht der mächtigen Unterstützung von England
aus, wo der Einfluß der Missionäre mit der Ausdehnung des englischen Reichs
gestiegen ist, sicher gewesen. Getragen von dem Wunsche, ihre Stellung zu
befestigen, vielleicht auch um den Eingebornen, welche an geistlichen Ceremonien
so großes Wohlgefallen finden, zu imponiren, verlangten sie mit Beginn deS
neunzehnten Jahrhunderts die Einsetzung eines förmlichen Kirchenregiments
für Ostindien mit Erzbischöfen, Bischöfen und dem ganzen Würdenträgerapparat
der anglicanischen Kirche.

In dieser Zeit, während in Kalkutta und in England der Streit über das
Missionswesen in Ostindien am heftigsten wüthete, zeigte es sich, daß die Ein¬
gebornen demselben nicht theilnahmlos zugeschaut hatte"; der Aufstand zu
Vellore brach aus. Grade wie in der neuesten Zeit wurde die Furcht vor
gewaltsamen Chriftianisiren zum Vorwand eines blutigen Aufstandes genommen;
aber anders wie neuerdings in Mime wußte der dort commandirende englische
General im ersten Anlauf jede Spur der Erhebung zu vernichten; er sammelte
waS er rasch an Truppen zusammenbringen konnte, rückte den Aufständischen
sofort zu Leibe und sprengte sie völlig. Diese Begebenheit trug sich im Jahre -1806
zu und sie war wol geeignet, den allzugroßen Missionseifer einigermaßen zu
zügeln, mindestens die Abgeneigtheit der Beamten der Gesellschaft gegen den¬
selben zu rechtfertigen. Indessen ruhte er nicht, vielmehr wurden bei der schon
erwähnten Erneuerung des Freibriefs im Jahre 1813 alle Kräfte angespannt,
um dem Ziele näher zu kommen. Die Negierung war gewonnen worden und
am 17. Juni schlug Lord Castlereagh selbst eine Resolution des Inhalts vor,
daß in Ostindien ein Bischof nebst drei Erzdechanten und zwar auf Kosten der
Gesellschaft eingesetzt werden sollten. Eine andere Resolution ging noch weiter.
Zur Einführung nützlicher Kenntnisse und der religiösen und moralischen Ver¬
besserung sollten solchen Personen, welche zur Erfüllung dieser wohlwollenden
Absichten in Ostindien wären oder dorthin gingen, Erleichterungen gewährt
werden. Bei allem NegiernngSeinfluß kostete es doch große Mühe, diese Re¬
solutionen im Unterhause durchzubringen, und zu ihrer Unterstützung bedürfte
es des ganzen Feuereifers von Wilberforce. Sie wurden angenommen und
am 28. Nov. 1814 landete ver erste anglicanische Bischof bei Kalkutta. Die
Hindus, an religiöse Pracht gewohnt, kamen den Oberpiestern ihrer Herrscher
mit Freundlichkeit entgegen, und die nächste Erneuerung deö Freibriefs (1833)
brachte bereits eine Vermehrung um zwei Bischöfe, nämlich zu Bombay und
Madras. Natürlich war anch die Zahl der niedern Geistlichkeit mit der Ver¬
mehrung der Engländer in Ostindien gestiegen.


sich in geistliche Controversen einzulassen; um so weniger Gunst fanden sie aber
in den Augen der Gesellschaft, deren Beamte ihnen die möglichsten Schwierig¬
keiten in den Weg legten, und sie vielleicht noch mehr in den Hintergrund
geschoben hätten, wären sie nicht der mächtigen Unterstützung von England
aus, wo der Einfluß der Missionäre mit der Ausdehnung des englischen Reichs
gestiegen ist, sicher gewesen. Getragen von dem Wunsche, ihre Stellung zu
befestigen, vielleicht auch um den Eingebornen, welche an geistlichen Ceremonien
so großes Wohlgefallen finden, zu imponiren, verlangten sie mit Beginn deS
neunzehnten Jahrhunderts die Einsetzung eines förmlichen Kirchenregiments
für Ostindien mit Erzbischöfen, Bischöfen und dem ganzen Würdenträgerapparat
der anglicanischen Kirche.

In dieser Zeit, während in Kalkutta und in England der Streit über das
Missionswesen in Ostindien am heftigsten wüthete, zeigte es sich, daß die Ein¬
gebornen demselben nicht theilnahmlos zugeschaut hatte»; der Aufstand zu
Vellore brach aus. Grade wie in der neuesten Zeit wurde die Furcht vor
gewaltsamen Chriftianisiren zum Vorwand eines blutigen Aufstandes genommen;
aber anders wie neuerdings in Mime wußte der dort commandirende englische
General im ersten Anlauf jede Spur der Erhebung zu vernichten; er sammelte
waS er rasch an Truppen zusammenbringen konnte, rückte den Aufständischen
sofort zu Leibe und sprengte sie völlig. Diese Begebenheit trug sich im Jahre -1806
zu und sie war wol geeignet, den allzugroßen Missionseifer einigermaßen zu
zügeln, mindestens die Abgeneigtheit der Beamten der Gesellschaft gegen den¬
selben zu rechtfertigen. Indessen ruhte er nicht, vielmehr wurden bei der schon
erwähnten Erneuerung des Freibriefs im Jahre 1813 alle Kräfte angespannt,
um dem Ziele näher zu kommen. Die Negierung war gewonnen worden und
am 17. Juni schlug Lord Castlereagh selbst eine Resolution des Inhalts vor,
daß in Ostindien ein Bischof nebst drei Erzdechanten und zwar auf Kosten der
Gesellschaft eingesetzt werden sollten. Eine andere Resolution ging noch weiter.
Zur Einführung nützlicher Kenntnisse und der religiösen und moralischen Ver¬
besserung sollten solchen Personen, welche zur Erfüllung dieser wohlwollenden
Absichten in Ostindien wären oder dorthin gingen, Erleichterungen gewährt
werden. Bei allem NegiernngSeinfluß kostete es doch große Mühe, diese Re¬
solutionen im Unterhause durchzubringen, und zu ihrer Unterstützung bedürfte
es des ganzen Feuereifers von Wilberforce. Sie wurden angenommen und
am 28. Nov. 1814 landete ver erste anglicanische Bischof bei Kalkutta. Die
Hindus, an religiöse Pracht gewohnt, kamen den Oberpiestern ihrer Herrscher
mit Freundlichkeit entgegen, und die nächste Erneuerung deö Freibriefs (1833)
brachte bereits eine Vermehrung um zwei Bischöfe, nämlich zu Bombay und
Madras. Natürlich war anch die Zahl der niedern Geistlichkeit mit der Ver¬
mehrung der Engländer in Ostindien gestiegen.


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[0342] sich in geistliche Controversen einzulassen; um so weniger Gunst fanden sie aber in den Augen der Gesellschaft, deren Beamte ihnen die möglichsten Schwierig¬ keiten in den Weg legten, und sie vielleicht noch mehr in den Hintergrund geschoben hätten, wären sie nicht der mächtigen Unterstützung von England aus, wo der Einfluß der Missionäre mit der Ausdehnung des englischen Reichs gestiegen ist, sicher gewesen. Getragen von dem Wunsche, ihre Stellung zu befestigen, vielleicht auch um den Eingebornen, welche an geistlichen Ceremonien so großes Wohlgefallen finden, zu imponiren, verlangten sie mit Beginn deS neunzehnten Jahrhunderts die Einsetzung eines förmlichen Kirchenregiments für Ostindien mit Erzbischöfen, Bischöfen und dem ganzen Würdenträgerapparat der anglicanischen Kirche. In dieser Zeit, während in Kalkutta und in England der Streit über das Missionswesen in Ostindien am heftigsten wüthete, zeigte es sich, daß die Ein¬ gebornen demselben nicht theilnahmlos zugeschaut hatte»; der Aufstand zu Vellore brach aus. Grade wie in der neuesten Zeit wurde die Furcht vor gewaltsamen Chriftianisiren zum Vorwand eines blutigen Aufstandes genommen; aber anders wie neuerdings in Mime wußte der dort commandirende englische General im ersten Anlauf jede Spur der Erhebung zu vernichten; er sammelte waS er rasch an Truppen zusammenbringen konnte, rückte den Aufständischen sofort zu Leibe und sprengte sie völlig. Diese Begebenheit trug sich im Jahre -1806 zu und sie war wol geeignet, den allzugroßen Missionseifer einigermaßen zu zügeln, mindestens die Abgeneigtheit der Beamten der Gesellschaft gegen den¬ selben zu rechtfertigen. Indessen ruhte er nicht, vielmehr wurden bei der schon erwähnten Erneuerung des Freibriefs im Jahre 1813 alle Kräfte angespannt, um dem Ziele näher zu kommen. Die Negierung war gewonnen worden und am 17. Juni schlug Lord Castlereagh selbst eine Resolution des Inhalts vor, daß in Ostindien ein Bischof nebst drei Erzdechanten und zwar auf Kosten der Gesellschaft eingesetzt werden sollten. Eine andere Resolution ging noch weiter. Zur Einführung nützlicher Kenntnisse und der religiösen und moralischen Ver¬ besserung sollten solchen Personen, welche zur Erfüllung dieser wohlwollenden Absichten in Ostindien wären oder dorthin gingen, Erleichterungen gewährt werden. Bei allem NegiernngSeinfluß kostete es doch große Mühe, diese Re¬ solutionen im Unterhause durchzubringen, und zu ihrer Unterstützung bedürfte es des ganzen Feuereifers von Wilberforce. Sie wurden angenommen und am 28. Nov. 1814 landete ver erste anglicanische Bischof bei Kalkutta. Die Hindus, an religiöse Pracht gewohnt, kamen den Oberpiestern ihrer Herrscher mit Freundlichkeit entgegen, und die nächste Erneuerung deö Freibriefs (1833) brachte bereits eine Vermehrung um zwei Bischöfe, nämlich zu Bombay und Madras. Natürlich war anch die Zahl der niedern Geistlichkeit mit der Ver¬ mehrung der Engländer in Ostindien gestiegen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/342>, abgerufen am 24.08.2024.