Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.viel man nun auch den schlaffen Gewohnheiten der Ostindier und den Ein¬ Sollte denn aber dieses Heer, daS neuerdings mit so entsetzlicher Grau¬ viel man nun auch den schlaffen Gewohnheiten der Ostindier und den Ein¬ Sollte denn aber dieses Heer, daS neuerdings mit so entsetzlicher Grau¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0335" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104536"/> <p xml:id="ID_876" prev="#ID_875"> viel man nun auch den schlaffen Gewohnheiten der Ostindier und den Ein¬<lb/> flüssen des heißen Klimas zu Gute halten mag, so ist doch in dieser Ver¬<lb/> nachlässigung der gewöhnlichsten militärischen Pflichten ein Zustand bezeichnet,<lb/> der auch in andern Symptomen hervorgetreten ist. Es ist wiederholt im Par¬<lb/> lamente erwähnt worden, daß kaum ein Jahr vorübergegangen^ ist, ohne<lb/> daß dies oder jenes Regiment des bengalischen Heeres in Unrüye oder offene<lb/> Widersetzlichkeit geriet!), wozu es denn an Vorwänden niemals fehlte. Und<lb/> auf der ander» Seite ist eS wahrhaft erstaunlich, wie sehr die englische Heeres¬<lb/> verwaltung bemüht nar, jeden, auch den leisesten Anstoß gegen die Med^A.,<lb/> und Gebräuche der im bengalischen Heere dienenden Hindubraminen niMW^<lb/> fernen, ja in welchem Grade die höhern Offiziere besonders viel auswiesen<lb/> Theil des indischen Heeres hielten. War der Grund davon die durchschnitt¬<lb/> liche Schönheit der Mannschaften oder entsprach ihre Zusammensetzung dem<lb/> aristokratischen Geschmack der Engländer? Dabei war grade daS bengalische<lb/> Heer das verhältnißmäßig am wenigsten für die Engländer verwendbare, da<lb/> sie sich nur innerhalb der eigentlichen ostindischen Grenzen gebrauchen ließen,<lb/> also nicht z. B. in China oder in Persien, oder nicht in Hinterindien, sofern<lb/> sie in Schiffen dorthin gebracht werden sollten, weshalb sie den weit beschwer¬<lb/> lichem und kostspieligem Landweg einzuschlagen hatten. Man ist fast geneigt<lb/> anzunehmen, daß diese übergroße Zuvorkommenheit von Seiten der Engländer<lb/> die schon an sich sehr anspruchsvollen Hindubraminen noch mehr in ihrem Dünkel<lb/> bestärkt, ja vielleicht sogar sie zu dem Glauben veranlaßt hat, als sei nicht<lb/> englische Toleranz, sondern englische Schwäche die Ursache ihrer Auszeichnung,<lb/> eine doppelt gefährliche Annahme in den Augen deS Orientalen.</p><lb/> <p xml:id="ID_877"> Sollte denn aber dieses Heer, daS neuerdings mit so entsetzlicher Grau¬<lb/> samkeit gegen alles, was Engländer heißt, gewüthet hat, ohne alle und jede<lb/> Veranlassung zum Aufstand gewesen sein? Oder sollte man annehmen dürfen,<lb/> daß englische Nachsicht selbst die Veranlassung dazu gegeben habe? Oder viel¬<lb/> leicht gar, daß auswärtiger, namentlich russischer Einfluß die Empörung herbei¬<lb/> geführt habe? Wir erwähnen dieser letztern Ursache, mit der sich namentlich<lb/> die Leitartikel der Morning Post abgeben, nur zu dem Zweck, um sie<lb/> Zuschieben zurückzuweisen. Nicht weil der Generalgouvemeur von In¬<lb/> dien für gut befunden hat sie zu widerlegen, sondern weil weder innere<lb/> "och äußere Veranlassung da ist, daran zu glauben. Rußlands Fortschritte<lb/> "ach Ostindien zu sind trotz manchen erheblichen Vordringens doch am wenig¬<lb/> sten der ?ne gewesen, um der eingeborenen Bevölkerung von Ostindien in die<lb/> Augen zu fallen, und selbst den Führern und Anstiftern deS Aufstandes konnte<lb/> Rußland keinen Beistand in Aussicht stellen. Ein Anderes freilich wäre eS,<lb/> wie weit die russische Politik die jetzt eingetretenen Verwicklungen in ihrem<lb/> Interesse auszubeuten im Stande oder Willens ist.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0335]
viel man nun auch den schlaffen Gewohnheiten der Ostindier und den Ein¬
flüssen des heißen Klimas zu Gute halten mag, so ist doch in dieser Ver¬
nachlässigung der gewöhnlichsten militärischen Pflichten ein Zustand bezeichnet,
der auch in andern Symptomen hervorgetreten ist. Es ist wiederholt im Par¬
lamente erwähnt worden, daß kaum ein Jahr vorübergegangen^ ist, ohne
daß dies oder jenes Regiment des bengalischen Heeres in Unrüye oder offene
Widersetzlichkeit geriet!), wozu es denn an Vorwänden niemals fehlte. Und
auf der ander» Seite ist eS wahrhaft erstaunlich, wie sehr die englische Heeres¬
verwaltung bemüht nar, jeden, auch den leisesten Anstoß gegen die Med^A.,
und Gebräuche der im bengalischen Heere dienenden Hindubraminen niMW^
fernen, ja in welchem Grade die höhern Offiziere besonders viel auswiesen
Theil des indischen Heeres hielten. War der Grund davon die durchschnitt¬
liche Schönheit der Mannschaften oder entsprach ihre Zusammensetzung dem
aristokratischen Geschmack der Engländer? Dabei war grade daS bengalische
Heer das verhältnißmäßig am wenigsten für die Engländer verwendbare, da
sie sich nur innerhalb der eigentlichen ostindischen Grenzen gebrauchen ließen,
also nicht z. B. in China oder in Persien, oder nicht in Hinterindien, sofern
sie in Schiffen dorthin gebracht werden sollten, weshalb sie den weit beschwer¬
lichem und kostspieligem Landweg einzuschlagen hatten. Man ist fast geneigt
anzunehmen, daß diese übergroße Zuvorkommenheit von Seiten der Engländer
die schon an sich sehr anspruchsvollen Hindubraminen noch mehr in ihrem Dünkel
bestärkt, ja vielleicht sogar sie zu dem Glauben veranlaßt hat, als sei nicht
englische Toleranz, sondern englische Schwäche die Ursache ihrer Auszeichnung,
eine doppelt gefährliche Annahme in den Augen deS Orientalen.
Sollte denn aber dieses Heer, daS neuerdings mit so entsetzlicher Grau¬
samkeit gegen alles, was Engländer heißt, gewüthet hat, ohne alle und jede
Veranlassung zum Aufstand gewesen sein? Oder sollte man annehmen dürfen,
daß englische Nachsicht selbst die Veranlassung dazu gegeben habe? Oder viel¬
leicht gar, daß auswärtiger, namentlich russischer Einfluß die Empörung herbei¬
geführt habe? Wir erwähnen dieser letztern Ursache, mit der sich namentlich
die Leitartikel der Morning Post abgeben, nur zu dem Zweck, um sie
Zuschieben zurückzuweisen. Nicht weil der Generalgouvemeur von In¬
dien für gut befunden hat sie zu widerlegen, sondern weil weder innere
"och äußere Veranlassung da ist, daran zu glauben. Rußlands Fortschritte
"ach Ostindien zu sind trotz manchen erheblichen Vordringens doch am wenig¬
sten der ?ne gewesen, um der eingeborenen Bevölkerung von Ostindien in die
Augen zu fallen, und selbst den Führern und Anstiftern deS Aufstandes konnte
Rußland keinen Beistand in Aussicht stellen. Ein Anderes freilich wäre eS,
wie weit die russische Politik die jetzt eingetretenen Verwicklungen in ihrem
Interesse auszubeuten im Stande oder Willens ist.
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