Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.völkerung sich noch nicht erhöhn, wozu sie grade in den Gegenden, welche völkerung sich noch nicht erhöhn, wozu sie grade in den Gegenden, welche <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0334" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104535"/> <p xml:id="ID_875" prev="#ID_874" next="#ID_876"> völkerung sich noch nicht erhöhn, wozu sie grade in den Gegenden, welche<lb/> den Mittelpunkt des Aufstandes bilden, auch am allerwenigsten Veranlassung<lb/> bat. Er ist aber auch kein blos militärischer, insofern er unverkennbar einen<lb/> socialen Hintergrund hat. Das zeigt sich grade an der Patronengeschichte;<lb/> das Abbeißen der Schweine- oder Ochsenfetlpatronen hätte die Sipoys in ihrer<lb/> Kaste d. h. in ihrer ganzen gesellschaftlichen und bürgerlichen Stellung herab¬<lb/> gewürdigt. ES war in der That das Gegentheil einer schlechten Behandlung,<lb/> die den Truppen Bengalens zu Theil geworden war. Während eS z. B. in<lb/> den Vorschriften über die Recrutirung des Bombayheeres einfach heißt: „Wir<lb/> nehmen jeden an, solche ausgenommen, die zum Diebstahl, zur Trunkenheit<lb/> oder zu andern zerstörenden Lastern geneigt sind," lautet die Vorschrift in<lb/> Bengalen schon ganz anders: „Vorzügliche Sorge soll getragen werden, um<lb/> alle Personen der niedern Kasten auszuschließen und namentlich alle kleine»<lb/> Händler, alle Schreiber, Barbiere, Oelmänner (unum), Schäfer, Dachdecker,<lb/> Pfandverleiher, xram^arekk:r8, Lastträger, Confectmacher, Gärtner und Höker,<lb/> so wie alle andern, welche regelmäßig zu niedern Beschäftigungen verwandt<lb/> werden." Weiter kann sicher die Sorge für die Kaste nicht gehen, indem<lb/> so die hochgeborenen Braminen vor jeder Berührung mit den unheiligen<lb/> Leibern der niedern Menschenarten bewahrt wurden, und haben sie jederzeit<lb/> mit Aufstand gedroht, falls man sie solchem Unheil aussetzte. Ein jedes ben¬<lb/> galische Regiment bestand auch im Durchschnitt aus 330 Braminen, 330<lb/> Nadschputcn, der Kaste der Chetryas (wie die Engländer schreiben) angehörig,<lb/> 130 Muselmännern und 130 Hindus von anderweitiger guter Abstammung.<lb/> Wie im Uebrigen die Disciplin oder der Mangel an Disciplin im bengalischen<lb/> Heere war, davon hat der jüngst im Parlamente oft genannte Brigadegeneral<lb/> Jacob folgende anziehende Schilderung gegeben: „Das erste, was ein Bengal-<lb/> Sipoy vornimmt, wenn er die Wache bezieht, ist, daß er Waffen, Uniform<lb/> und Kleidung ablegt, die Gewehre werden zusammengestellt und eine Schild-<lb/> wache postirt, die in der Regel, nicht immer, in gehöriger Uniform bleibt; alle<lb/> übrigen, die Unteroffiziere eingeschlossen, legen Waffen und Zeug ab. Ist<lb/> etwa Wasser in der Nähe, so gehen sie dahin, und benetzen sich damit, wie<lb/> eS alle Ostindier machen; andernfalls bedecken sie sich mit Tüchern und legen<lb/> sich zum Schlafen nieder, vollkommen nackt mit Ausnahme einer Langusten<lb/> (Leibbinde?). Glaubt der Posten lange genug Schildwache gestanden zu haben,<lb/> so brüllt er aus, daß jemand ihn ablösen möge. Nach einiger Zeit erhebt<lb/> sich dann ein Sipop aus seiner Decke und legt nach einigem Gähnen und<lb/> Dehnen Kleider und Uniform an, nimmt aber nicht sein Gewehr, denn das<lb/> würde zu viel Mühe machen und den ganzen Gewehrstand umzuwerfen drohen;<lb/> dann geht er zum Posten, nimmt ihm daS Gewehr ab und seine Stelle ein;<lb/> der abgelöste Mann geht nun weg und zieht sich ans wie die andern." So</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0334]
völkerung sich noch nicht erhöhn, wozu sie grade in den Gegenden, welche
den Mittelpunkt des Aufstandes bilden, auch am allerwenigsten Veranlassung
bat. Er ist aber auch kein blos militärischer, insofern er unverkennbar einen
socialen Hintergrund hat. Das zeigt sich grade an der Patronengeschichte;
das Abbeißen der Schweine- oder Ochsenfetlpatronen hätte die Sipoys in ihrer
Kaste d. h. in ihrer ganzen gesellschaftlichen und bürgerlichen Stellung herab¬
gewürdigt. ES war in der That das Gegentheil einer schlechten Behandlung,
die den Truppen Bengalens zu Theil geworden war. Während eS z. B. in
den Vorschriften über die Recrutirung des Bombayheeres einfach heißt: „Wir
nehmen jeden an, solche ausgenommen, die zum Diebstahl, zur Trunkenheit
oder zu andern zerstörenden Lastern geneigt sind," lautet die Vorschrift in
Bengalen schon ganz anders: „Vorzügliche Sorge soll getragen werden, um
alle Personen der niedern Kasten auszuschließen und namentlich alle kleine»
Händler, alle Schreiber, Barbiere, Oelmänner (unum), Schäfer, Dachdecker,
Pfandverleiher, xram^arekk:r8, Lastträger, Confectmacher, Gärtner und Höker,
so wie alle andern, welche regelmäßig zu niedern Beschäftigungen verwandt
werden." Weiter kann sicher die Sorge für die Kaste nicht gehen, indem
so die hochgeborenen Braminen vor jeder Berührung mit den unheiligen
Leibern der niedern Menschenarten bewahrt wurden, und haben sie jederzeit
mit Aufstand gedroht, falls man sie solchem Unheil aussetzte. Ein jedes ben¬
galische Regiment bestand auch im Durchschnitt aus 330 Braminen, 330
Nadschputcn, der Kaste der Chetryas (wie die Engländer schreiben) angehörig,
130 Muselmännern und 130 Hindus von anderweitiger guter Abstammung.
Wie im Uebrigen die Disciplin oder der Mangel an Disciplin im bengalischen
Heere war, davon hat der jüngst im Parlamente oft genannte Brigadegeneral
Jacob folgende anziehende Schilderung gegeben: „Das erste, was ein Bengal-
Sipoy vornimmt, wenn er die Wache bezieht, ist, daß er Waffen, Uniform
und Kleidung ablegt, die Gewehre werden zusammengestellt und eine Schild-
wache postirt, die in der Regel, nicht immer, in gehöriger Uniform bleibt; alle
übrigen, die Unteroffiziere eingeschlossen, legen Waffen und Zeug ab. Ist
etwa Wasser in der Nähe, so gehen sie dahin, und benetzen sich damit, wie
eS alle Ostindier machen; andernfalls bedecken sie sich mit Tüchern und legen
sich zum Schlafen nieder, vollkommen nackt mit Ausnahme einer Langusten
(Leibbinde?). Glaubt der Posten lange genug Schildwache gestanden zu haben,
so brüllt er aus, daß jemand ihn ablösen möge. Nach einiger Zeit erhebt
sich dann ein Sipop aus seiner Decke und legt nach einigem Gähnen und
Dehnen Kleider und Uniform an, nimmt aber nicht sein Gewehr, denn das
würde zu viel Mühe machen und den ganzen Gewehrstand umzuwerfen drohen;
dann geht er zum Posten, nimmt ihm daS Gewehr ab und seine Stelle ein;
der abgelöste Mann geht nun weg und zieht sich ans wie die andern." So
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