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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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großer Vortheil für den Adel, daß das Privilegium des Branntweinbrennens,
durch welches eine Art Mauthgrenze gegen die in dieser Hinsicht sehr beschränk¬
ten russischen Gouvernements für vie Regierung nöthig wird, ihm die Mög¬
lichkeit gewährt, seine Ernten auch auf andere Weise zu verwerthen, als durch
Export ins Ausland (der meiste Spiritus geht nach Petersburg.) Außerdem
haben sie auch das Recht, in ihren Krüger selbst den Branntwein ausschenken
zu lassen und wahre Wollust ist es für den russischen Soldaten, hier einmal
starkes Gebräu zu genießen, wenn er von dem verwässerten Getränk seines
Vaterlandes kommt. Die Spiritusträbern werden zur Mast der Ukrainer Ochsen
verwendet, welche von ihrer fernen Heimath her erst den weiten Umweg über
die Ostseeprovinzen machen, um dann durch die Abfälle deutscher Cultur ge¬
stärkt und gerundet, im Frühjahr ihrer Bestimmung in der Hauptstadt zuzu¬
eilen. Pension zahlen die Kleinrussen durchschnittlich -15 Silberrubel für das
Stück, Auch außerdem wissen die Russen ihren Vortheil besonders aus dem
der Hauptstadt näher liegenden Esthland zu ziehen, indem sie die Obsternten
pachten, Hühner und Eier aufkaufen und so die Preise mancher Lebensmittel
vertheuern. -- --

Wir bemerken serner einen großen, langgedehnten Schafstall, dessen Be¬
wohner noch nicht von der Weide zurückgekehrt sind. Unser Wirth erzählt
uns, daß die Schafzucht nicht mehr im Zunehmen begriffen sei, weil sie zu
wenig abwirft; erstlich muß man die Schäfer aus dem Auslande kommen lassen,
da die nationalen blos als Unterkuechte zu brauchen sind -- und dann fehlt
es für die Wolle an Abnehmern. In Reval macht ein einziger Fabrikant die
Preise und der Transport nach Riga verschlingt jeglichen Prosit. Die hier
einheimischen Schafe sind schwarzbraun und von unansehnlicher Gestalt. Einen
merkwürdigen Eindruck macht es, wenn man hier den Schäfer hinter der
Heerde statt mit dem friedlichen Hirtenstabe mit einer Muskete im Arme
gehen sieht. Er trägt sie der Wölfe wegen. Doch wenn er am Rande des
Waldes weidet, nützt auch diese Waffe nichts; mit Blitzesschnelle springt das
Naubthier auf seine Beute und entschwindet mit ihr im Dickicht, ehe der Ver¬
dutzte Zeit hat, den rostigen Hahn zu spannen, und wenn er es versäumt,
Lücken und Thüren am Stalle gut zu schließen, dann kann eS leicht geschehen,
daß in der Nacht ein einziger Wolf aus reiner Mordlust ein paar Dutzend
Schafe erwürgt, ohne an einem einzigen seinen Hunger zu stillen. Mit
Wehmuth erzählen uns die Kinder vom tragischen Ende ihres treuen Karo,
der im vorigen Winter von zwei Wölfen aus dem Hose aufs Feld gelockt
und dort bis auf den Schweif aufgefressen worden sei. So schlimm hatten
wir eS uns doch nicht mehr gedacht, Und noch mehr erstaunen wir, wenn wir
hören, daß erst vor wenig Jahren die Ritterschaft in Esthland 300 Rubel
Belohnung für ebensoviel?, in einem Jahre erlegte Wölfe ausgezahlt habe!


großer Vortheil für den Adel, daß das Privilegium des Branntweinbrennens,
durch welches eine Art Mauthgrenze gegen die in dieser Hinsicht sehr beschränk¬
ten russischen Gouvernements für vie Regierung nöthig wird, ihm die Mög¬
lichkeit gewährt, seine Ernten auch auf andere Weise zu verwerthen, als durch
Export ins Ausland (der meiste Spiritus geht nach Petersburg.) Außerdem
haben sie auch das Recht, in ihren Krüger selbst den Branntwein ausschenken
zu lassen und wahre Wollust ist es für den russischen Soldaten, hier einmal
starkes Gebräu zu genießen, wenn er von dem verwässerten Getränk seines
Vaterlandes kommt. Die Spiritusträbern werden zur Mast der Ukrainer Ochsen
verwendet, welche von ihrer fernen Heimath her erst den weiten Umweg über
die Ostseeprovinzen machen, um dann durch die Abfälle deutscher Cultur ge¬
stärkt und gerundet, im Frühjahr ihrer Bestimmung in der Hauptstadt zuzu¬
eilen. Pension zahlen die Kleinrussen durchschnittlich -15 Silberrubel für das
Stück, Auch außerdem wissen die Russen ihren Vortheil besonders aus dem
der Hauptstadt näher liegenden Esthland zu ziehen, indem sie die Obsternten
pachten, Hühner und Eier aufkaufen und so die Preise mancher Lebensmittel
vertheuern. — —

Wir bemerken serner einen großen, langgedehnten Schafstall, dessen Be¬
wohner noch nicht von der Weide zurückgekehrt sind. Unser Wirth erzählt
uns, daß die Schafzucht nicht mehr im Zunehmen begriffen sei, weil sie zu
wenig abwirft; erstlich muß man die Schäfer aus dem Auslande kommen lassen,
da die nationalen blos als Unterkuechte zu brauchen sind — und dann fehlt
es für die Wolle an Abnehmern. In Reval macht ein einziger Fabrikant die
Preise und der Transport nach Riga verschlingt jeglichen Prosit. Die hier
einheimischen Schafe sind schwarzbraun und von unansehnlicher Gestalt. Einen
merkwürdigen Eindruck macht es, wenn man hier den Schäfer hinter der
Heerde statt mit dem friedlichen Hirtenstabe mit einer Muskete im Arme
gehen sieht. Er trägt sie der Wölfe wegen. Doch wenn er am Rande des
Waldes weidet, nützt auch diese Waffe nichts; mit Blitzesschnelle springt das
Naubthier auf seine Beute und entschwindet mit ihr im Dickicht, ehe der Ver¬
dutzte Zeit hat, den rostigen Hahn zu spannen, und wenn er es versäumt,
Lücken und Thüren am Stalle gut zu schließen, dann kann eS leicht geschehen,
daß in der Nacht ein einziger Wolf aus reiner Mordlust ein paar Dutzend
Schafe erwürgt, ohne an einem einzigen seinen Hunger zu stillen. Mit
Wehmuth erzählen uns die Kinder vom tragischen Ende ihres treuen Karo,
der im vorigen Winter von zwei Wölfen aus dem Hose aufs Feld gelockt
und dort bis auf den Schweif aufgefressen worden sei. So schlimm hatten
wir eS uns doch nicht mehr gedacht, Und noch mehr erstaunen wir, wenn wir
hören, daß erst vor wenig Jahren die Ritterschaft in Esthland 300 Rubel
Belohnung für ebensoviel?, in einem Jahre erlegte Wölfe ausgezahlt habe!


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[0318] großer Vortheil für den Adel, daß das Privilegium des Branntweinbrennens, durch welches eine Art Mauthgrenze gegen die in dieser Hinsicht sehr beschränk¬ ten russischen Gouvernements für vie Regierung nöthig wird, ihm die Mög¬ lichkeit gewährt, seine Ernten auch auf andere Weise zu verwerthen, als durch Export ins Ausland (der meiste Spiritus geht nach Petersburg.) Außerdem haben sie auch das Recht, in ihren Krüger selbst den Branntwein ausschenken zu lassen und wahre Wollust ist es für den russischen Soldaten, hier einmal starkes Gebräu zu genießen, wenn er von dem verwässerten Getränk seines Vaterlandes kommt. Die Spiritusträbern werden zur Mast der Ukrainer Ochsen verwendet, welche von ihrer fernen Heimath her erst den weiten Umweg über die Ostseeprovinzen machen, um dann durch die Abfälle deutscher Cultur ge¬ stärkt und gerundet, im Frühjahr ihrer Bestimmung in der Hauptstadt zuzu¬ eilen. Pension zahlen die Kleinrussen durchschnittlich -15 Silberrubel für das Stück, Auch außerdem wissen die Russen ihren Vortheil besonders aus dem der Hauptstadt näher liegenden Esthland zu ziehen, indem sie die Obsternten pachten, Hühner und Eier aufkaufen und so die Preise mancher Lebensmittel vertheuern. — — Wir bemerken serner einen großen, langgedehnten Schafstall, dessen Be¬ wohner noch nicht von der Weide zurückgekehrt sind. Unser Wirth erzählt uns, daß die Schafzucht nicht mehr im Zunehmen begriffen sei, weil sie zu wenig abwirft; erstlich muß man die Schäfer aus dem Auslande kommen lassen, da die nationalen blos als Unterkuechte zu brauchen sind — und dann fehlt es für die Wolle an Abnehmern. In Reval macht ein einziger Fabrikant die Preise und der Transport nach Riga verschlingt jeglichen Prosit. Die hier einheimischen Schafe sind schwarzbraun und von unansehnlicher Gestalt. Einen merkwürdigen Eindruck macht es, wenn man hier den Schäfer hinter der Heerde statt mit dem friedlichen Hirtenstabe mit einer Muskete im Arme gehen sieht. Er trägt sie der Wölfe wegen. Doch wenn er am Rande des Waldes weidet, nützt auch diese Waffe nichts; mit Blitzesschnelle springt das Naubthier auf seine Beute und entschwindet mit ihr im Dickicht, ehe der Ver¬ dutzte Zeit hat, den rostigen Hahn zu spannen, und wenn er es versäumt, Lücken und Thüren am Stalle gut zu schließen, dann kann eS leicht geschehen, daß in der Nacht ein einziger Wolf aus reiner Mordlust ein paar Dutzend Schafe erwürgt, ohne an einem einzigen seinen Hunger zu stillen. Mit Wehmuth erzählen uns die Kinder vom tragischen Ende ihres treuen Karo, der im vorigen Winter von zwei Wölfen aus dem Hose aufs Feld gelockt und dort bis auf den Schweif aufgefressen worden sei. So schlimm hatten wir eS uns doch nicht mehr gedacht, Und noch mehr erstaunen wir, wenn wir hören, daß erst vor wenig Jahren die Ritterschaft in Esthland 300 Rubel Belohnung für ebensoviel?, in einem Jahre erlegte Wölfe ausgezahlt habe!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/318>, abgerufen am 22.07.2024.