Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wilde Treiben der Kriegsmänner noch n,ehr gelockt, als eingeschüchtert. Aller¬
dings war schon seit längerer Zeit an dem Gelde, welches im Lande umging,
Ungewöhnliches bemerkt worden. Des guten schweren Reichsgeldeö wurde
immer weniger, an seiner Statt war viel neue Münze von schlechtem Gepräge
und röthlichem Aussehn in Umlauf. Noch befremdlicher siel auf, daß die
fremden Waaren fortwährend im Preise stiegen. Man empfand eine constante
Theuerung. Wer ein Pathengeschenk machen wollte, oder fremde Kaufleute
bezahlen mußte, der bezahlte für die alten feinen 'Joachimsthaler ein immer
wachsendes Agio. Aber im Localverkehr zwischen Stadt und Land wurde das
zahlreiche neue Geld ohne Anstand genommen, ja es wurde mit erhöhtem
Schwunge umgesetzt. Die Masse des Volkes merkte nicht, daß die verschieden¬
artigen Münzen, mit denen es zu bezahlen pflegte, ihm unter der Hand werth¬
loses Blech geworden waren, daß sein ganzer Handel und Wandel bodenlos,
lügenhaft ein verderbliches Spiel. Die "Klügeren aber, welche das Sachver¬
hältniß ahnten, wurden zum großen Theil Mitschuldige an dem unredlichen
Wucher der Fürsten.

Es läßt sich noch jetzt deutlich erkennen, wie dem Volke die Erkenntniß
seiner Lage kam, und noch jetzt werden wir erschüttert durch den plötzlichen
Schreck, die Angst und Verzweiflung der Masse, und durch die Sorge und
den männlichen Zorn der Denkenden. Noch jetzt fühlen wir beim Lesen der
alten Berichte etwas von der Empörung, womit man damals die Schuldigen
betrachtete. Und wenn wir auf manchen wunderlichen Irrthum der öffentlichen
Meinung von damals herabsehen und auf den wohlmeinenden Eifer Ein¬
zelner, welche gute Rathschläge gaben, so ist uns selbst gegenüber dieser
Zeit der Trauer und Demüthigungen ein frohes Lächeln erlaubt über die
Tüchtigkeit, mit welcher schon damals von Männern aus dem Volke der
Grund des Uebels erkannt und in einer der schwierigsten nationalen Fragen
die rechte Antwort und durch sie Abhilfe wenigstens deS ärgsten Unglücks
gefunden wurde. Bevor hier versucht wird, ein Bild des Kipper- und Wippen
jahres 1621 zu geben, sind einige Bemerkungen über das Geldprägen jener
Zeit unvermeidlich.

Alle technische Fertigkeit war in alter Zeit mit Würde, Geheimniß und
einem Apparat von Formeln umgeben. Nichts ist bezeichnender für die Eigen¬
thümlichkeit der germanischen Natur, als ihre Virtuosität, auch die einförmigste
Handarbeit durch eine Fülle von gemüthlichen Zuthaten zu adeln. Und sobald
das Gemüth durch die herzliche Freude am Schaffen erregt wurde, war auch die
Phantasie des Handwerkers mit Bildern und Symbolen beschäftigt, und sein
"Wissen" zu einer hohen, ja heiligen Sache gemacht. -- Was allen Hand¬
werken deS Mittelalters zukam, das war der Kunst Münzen zu schlagen in be¬
sonderem Grade eigen. Das Gefühl der eignen Wichtigkeit war in dem Mur-


wilde Treiben der Kriegsmänner noch n,ehr gelockt, als eingeschüchtert. Aller¬
dings war schon seit längerer Zeit an dem Gelde, welches im Lande umging,
Ungewöhnliches bemerkt worden. Des guten schweren Reichsgeldeö wurde
immer weniger, an seiner Statt war viel neue Münze von schlechtem Gepräge
und röthlichem Aussehn in Umlauf. Noch befremdlicher siel auf, daß die
fremden Waaren fortwährend im Preise stiegen. Man empfand eine constante
Theuerung. Wer ein Pathengeschenk machen wollte, oder fremde Kaufleute
bezahlen mußte, der bezahlte für die alten feinen 'Joachimsthaler ein immer
wachsendes Agio. Aber im Localverkehr zwischen Stadt und Land wurde das
zahlreiche neue Geld ohne Anstand genommen, ja es wurde mit erhöhtem
Schwunge umgesetzt. Die Masse des Volkes merkte nicht, daß die verschieden¬
artigen Münzen, mit denen es zu bezahlen pflegte, ihm unter der Hand werth¬
loses Blech geworden waren, daß sein ganzer Handel und Wandel bodenlos,
lügenhaft ein verderbliches Spiel. Die "Klügeren aber, welche das Sachver¬
hältniß ahnten, wurden zum großen Theil Mitschuldige an dem unredlichen
Wucher der Fürsten.

Es läßt sich noch jetzt deutlich erkennen, wie dem Volke die Erkenntniß
seiner Lage kam, und noch jetzt werden wir erschüttert durch den plötzlichen
Schreck, die Angst und Verzweiflung der Masse, und durch die Sorge und
den männlichen Zorn der Denkenden. Noch jetzt fühlen wir beim Lesen der
alten Berichte etwas von der Empörung, womit man damals die Schuldigen
betrachtete. Und wenn wir auf manchen wunderlichen Irrthum der öffentlichen
Meinung von damals herabsehen und auf den wohlmeinenden Eifer Ein¬
zelner, welche gute Rathschläge gaben, so ist uns selbst gegenüber dieser
Zeit der Trauer und Demüthigungen ein frohes Lächeln erlaubt über die
Tüchtigkeit, mit welcher schon damals von Männern aus dem Volke der
Grund des Uebels erkannt und in einer der schwierigsten nationalen Fragen
die rechte Antwort und durch sie Abhilfe wenigstens deS ärgsten Unglücks
gefunden wurde. Bevor hier versucht wird, ein Bild des Kipper- und Wippen
jahres 1621 zu geben, sind einige Bemerkungen über das Geldprägen jener
Zeit unvermeidlich.

Alle technische Fertigkeit war in alter Zeit mit Würde, Geheimniß und
einem Apparat von Formeln umgeben. Nichts ist bezeichnender für die Eigen¬
thümlichkeit der germanischen Natur, als ihre Virtuosität, auch die einförmigste
Handarbeit durch eine Fülle von gemüthlichen Zuthaten zu adeln. Und sobald
das Gemüth durch die herzliche Freude am Schaffen erregt wurde, war auch die
Phantasie des Handwerkers mit Bildern und Symbolen beschäftigt, und sein
„Wissen" zu einer hohen, ja heiligen Sache gemacht. — Was allen Hand¬
werken deS Mittelalters zukam, das war der Kunst Münzen zu schlagen in be¬
sonderem Grade eigen. Das Gefühl der eignen Wichtigkeit war in dem Mur-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0290" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104491"/>
            <p xml:id="ID_777" prev="#ID_776"> wilde Treiben der Kriegsmänner noch n,ehr gelockt, als eingeschüchtert. Aller¬<lb/>
dings war schon seit längerer Zeit an dem Gelde, welches im Lande umging,<lb/>
Ungewöhnliches bemerkt worden. Des guten schweren Reichsgeldeö wurde<lb/>
immer weniger, an seiner Statt war viel neue Münze von schlechtem Gepräge<lb/>
und röthlichem Aussehn in Umlauf. Noch befremdlicher siel auf, daß die<lb/>
fremden Waaren fortwährend im Preise stiegen. Man empfand eine constante<lb/>
Theuerung. Wer ein Pathengeschenk machen wollte, oder fremde Kaufleute<lb/>
bezahlen mußte, der bezahlte für die alten feinen 'Joachimsthaler ein immer<lb/>
wachsendes Agio. Aber im Localverkehr zwischen Stadt und Land wurde das<lb/>
zahlreiche neue Geld ohne Anstand genommen, ja es wurde mit erhöhtem<lb/>
Schwunge umgesetzt. Die Masse des Volkes merkte nicht, daß die verschieden¬<lb/>
artigen Münzen, mit denen es zu bezahlen pflegte, ihm unter der Hand werth¬<lb/>
loses Blech geworden waren, daß sein ganzer Handel und Wandel bodenlos,<lb/>
lügenhaft ein verderbliches Spiel. Die "Klügeren aber, welche das Sachver¬<lb/>
hältniß ahnten, wurden zum großen Theil Mitschuldige an dem unredlichen<lb/>
Wucher der Fürsten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_778"> Es läßt sich noch jetzt deutlich erkennen, wie dem Volke die Erkenntniß<lb/>
seiner Lage kam, und noch jetzt werden wir erschüttert durch den plötzlichen<lb/>
Schreck, die Angst und Verzweiflung der Masse, und durch die Sorge und<lb/>
den männlichen Zorn der Denkenden. Noch jetzt fühlen wir beim Lesen der<lb/>
alten Berichte etwas von der Empörung, womit man damals die Schuldigen<lb/>
betrachtete. Und wenn wir auf manchen wunderlichen Irrthum der öffentlichen<lb/>
Meinung von damals herabsehen und auf den wohlmeinenden Eifer Ein¬<lb/>
zelner, welche gute Rathschläge gaben, so ist uns selbst gegenüber dieser<lb/>
Zeit der Trauer und Demüthigungen ein frohes Lächeln erlaubt über die<lb/>
Tüchtigkeit, mit welcher schon damals von Männern aus dem Volke der<lb/>
Grund des Uebels erkannt und in einer der schwierigsten nationalen Fragen<lb/>
die rechte Antwort und durch sie Abhilfe wenigstens deS ärgsten Unglücks<lb/>
gefunden wurde. Bevor hier versucht wird, ein Bild des Kipper- und Wippen<lb/>
jahres 1621 zu geben, sind einige Bemerkungen über das Geldprägen jener<lb/>
Zeit unvermeidlich.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_779" next="#ID_780"> Alle technische Fertigkeit war in alter Zeit mit Würde, Geheimniß und<lb/>
einem Apparat von Formeln umgeben. Nichts ist bezeichnender für die Eigen¬<lb/>
thümlichkeit der germanischen Natur, als ihre Virtuosität, auch die einförmigste<lb/>
Handarbeit durch eine Fülle von gemüthlichen Zuthaten zu adeln. Und sobald<lb/>
das Gemüth durch die herzliche Freude am Schaffen erregt wurde, war auch die<lb/>
Phantasie des Handwerkers mit Bildern und Symbolen beschäftigt, und sein<lb/>
&#x201E;Wissen" zu einer hohen, ja heiligen Sache gemacht. &#x2014; Was allen Hand¬<lb/>
werken deS Mittelalters zukam, das war der Kunst Münzen zu schlagen in be¬<lb/>
sonderem Grade eigen. Das Gefühl der eignen Wichtigkeit war in dem Mur-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0290] wilde Treiben der Kriegsmänner noch n,ehr gelockt, als eingeschüchtert. Aller¬ dings war schon seit längerer Zeit an dem Gelde, welches im Lande umging, Ungewöhnliches bemerkt worden. Des guten schweren Reichsgeldeö wurde immer weniger, an seiner Statt war viel neue Münze von schlechtem Gepräge und röthlichem Aussehn in Umlauf. Noch befremdlicher siel auf, daß die fremden Waaren fortwährend im Preise stiegen. Man empfand eine constante Theuerung. Wer ein Pathengeschenk machen wollte, oder fremde Kaufleute bezahlen mußte, der bezahlte für die alten feinen 'Joachimsthaler ein immer wachsendes Agio. Aber im Localverkehr zwischen Stadt und Land wurde das zahlreiche neue Geld ohne Anstand genommen, ja es wurde mit erhöhtem Schwunge umgesetzt. Die Masse des Volkes merkte nicht, daß die verschieden¬ artigen Münzen, mit denen es zu bezahlen pflegte, ihm unter der Hand werth¬ loses Blech geworden waren, daß sein ganzer Handel und Wandel bodenlos, lügenhaft ein verderbliches Spiel. Die "Klügeren aber, welche das Sachver¬ hältniß ahnten, wurden zum großen Theil Mitschuldige an dem unredlichen Wucher der Fürsten. Es läßt sich noch jetzt deutlich erkennen, wie dem Volke die Erkenntniß seiner Lage kam, und noch jetzt werden wir erschüttert durch den plötzlichen Schreck, die Angst und Verzweiflung der Masse, und durch die Sorge und den männlichen Zorn der Denkenden. Noch jetzt fühlen wir beim Lesen der alten Berichte etwas von der Empörung, womit man damals die Schuldigen betrachtete. Und wenn wir auf manchen wunderlichen Irrthum der öffentlichen Meinung von damals herabsehen und auf den wohlmeinenden Eifer Ein¬ zelner, welche gute Rathschläge gaben, so ist uns selbst gegenüber dieser Zeit der Trauer und Demüthigungen ein frohes Lächeln erlaubt über die Tüchtigkeit, mit welcher schon damals von Männern aus dem Volke der Grund des Uebels erkannt und in einer der schwierigsten nationalen Fragen die rechte Antwort und durch sie Abhilfe wenigstens deS ärgsten Unglücks gefunden wurde. Bevor hier versucht wird, ein Bild des Kipper- und Wippen jahres 1621 zu geben, sind einige Bemerkungen über das Geldprägen jener Zeit unvermeidlich. Alle technische Fertigkeit war in alter Zeit mit Würde, Geheimniß und einem Apparat von Formeln umgeben. Nichts ist bezeichnender für die Eigen¬ thümlichkeit der germanischen Natur, als ihre Virtuosität, auch die einförmigste Handarbeit durch eine Fülle von gemüthlichen Zuthaten zu adeln. Und sobald das Gemüth durch die herzliche Freude am Schaffen erregt wurde, war auch die Phantasie des Handwerkers mit Bildern und Symbolen beschäftigt, und sein „Wissen" zu einer hohen, ja heiligen Sache gemacht. — Was allen Hand¬ werken deS Mittelalters zukam, das war der Kunst Münzen zu schlagen in be¬ sonderem Grade eigen. Das Gefühl der eignen Wichtigkeit war in dem Mur-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/290
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/290>, abgerufen am 01.07.2024.