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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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große Zahl von Handwerkern und Handwerkersreunden dagegen, indem sie
hauptsächlich von zwei Seiten her Einwendungen dagegen erheben, auf die
wir näher eingehen müssen, weil sie gleich folgenschwere Irrthümer in sich
schließen.

Das erste, so zu sagen historische Argument, welches sie beibringen, ist
daher entnommen: "daß noch vor nicht zu langen Jahren die geforderten Ein¬
richtungen ziemlich allgemein bestanden, daß sich die Vorfahren der Handwerker
ganz wohl dabei befunden haben." Wie scheinbar dies Raisonnement den
Leuten klingen mag, so läßt sich doch kaum ein größerer Fehlschuß denken.
Denn wenn sich die Vorfahren der Handwerker vor einer Reihe von Jahren
bei jenen Einrichtungen wohl befunden haben, so kann man daraus vernünf¬
tigerweise weiter nichts folgern, als daß eine solche Gewerbeverfassung den
damaligen Verhältnissen entsprach, daß sie für jene Zeit paßte. Muß das
aber deshalb auch in Bezug auf die Gegenwart der Fall sein? Vermag man
mit jenen alten Formen, mit jenen Einrichtungen einer vergangenen Zeit,
auch diese Zeit selbst wieder zurückzurufen, nebst dem ganzen damaligen Zu¬
schnitt des bürgerlichen und häuslichen Lebens, den mäßigen Ansprüchen deS
Publicums, den beschränkten Hilfsmitteln der Production und des Verkehrs? Das
hieße, einen erwachsenen Menschen dadurch, daß man ihm seine Kinderkleider
aufzwängte, wieder zum Kinde machen wollen. Die Handwerker selbst, es ist
nicht zuviel gesagt, haben sich im Laufe der Zeit an tausend Bedürfnisse ge¬
wöhnt, welche nur die Fabrikindustrie zu befriedigen vermag. Verbiete man
ihnen einmal daS Oel und Photogcn in ihren Lampen, Das Stearin auf
ihren Leuchtern, und verweise sie auf die trübselige Flamme der Talglichter,
das Product der ehrsamen Seifensiedxrzunst; nehme man ihnen und ihren
Frauen doch einmal jene billigen, zweckmäßigen und kleidsamen Gewebe und
Bekleidungsstoffe, so wie hundert andere Dinge, welche zu dem Preise, wie sie
ihn zahlen können, nur die Fabrik zu liefern vermag, und wir wollen sehen,
waS sie dazu sagen. Das Handwerk läßt sich nun einmal nicht so vereinzelt
als ein Institut auffassen, welches nur dazu da ist, einer Classe von Leuten
ihr Brot zu geben. Vielmehr bildet eS nur einen einzelnen Zweig derjenigen
Beschäftigungen, welche die Bestimmung haben, die menschliche Gesellschaft mit
allerlei nöthigen und nützlichen Dingen zu versorgen, mit einem Worte der
Industrie. Die Industrie selbst aber ist wiederum nur eine einzelne Seite
der menschlichen Thätigkeit, nur eine der verschiedenen Richtungen, nach welchen
hin der Menschengeist sich versucht, und welche mit den übrigen, als Theil
eines Ganzen, in untrennnbarem Zusammenhange steht. Schon im vorigen
Abschnitte fanden wir, daß die hauptsächlichsten Hilfsmittel der neuern In¬
dustrie auf Anwendung der neuerlich gewonnenen Kenntnisse in den Naturwissen¬
schaften beruhten. Die Wahrheit zu erkennen, und seine Erkenntniß


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große Zahl von Handwerkern und Handwerkersreunden dagegen, indem sie
hauptsächlich von zwei Seiten her Einwendungen dagegen erheben, auf die
wir näher eingehen müssen, weil sie gleich folgenschwere Irrthümer in sich
schließen.

Das erste, so zu sagen historische Argument, welches sie beibringen, ist
daher entnommen: „daß noch vor nicht zu langen Jahren die geforderten Ein¬
richtungen ziemlich allgemein bestanden, daß sich die Vorfahren der Handwerker
ganz wohl dabei befunden haben." Wie scheinbar dies Raisonnement den
Leuten klingen mag, so läßt sich doch kaum ein größerer Fehlschuß denken.
Denn wenn sich die Vorfahren der Handwerker vor einer Reihe von Jahren
bei jenen Einrichtungen wohl befunden haben, so kann man daraus vernünf¬
tigerweise weiter nichts folgern, als daß eine solche Gewerbeverfassung den
damaligen Verhältnissen entsprach, daß sie für jene Zeit paßte. Muß das
aber deshalb auch in Bezug auf die Gegenwart der Fall sein? Vermag man
mit jenen alten Formen, mit jenen Einrichtungen einer vergangenen Zeit,
auch diese Zeit selbst wieder zurückzurufen, nebst dem ganzen damaligen Zu¬
schnitt des bürgerlichen und häuslichen Lebens, den mäßigen Ansprüchen deS
Publicums, den beschränkten Hilfsmitteln der Production und des Verkehrs? Das
hieße, einen erwachsenen Menschen dadurch, daß man ihm seine Kinderkleider
aufzwängte, wieder zum Kinde machen wollen. Die Handwerker selbst, es ist
nicht zuviel gesagt, haben sich im Laufe der Zeit an tausend Bedürfnisse ge¬
wöhnt, welche nur die Fabrikindustrie zu befriedigen vermag. Verbiete man
ihnen einmal daS Oel und Photogcn in ihren Lampen, Das Stearin auf
ihren Leuchtern, und verweise sie auf die trübselige Flamme der Talglichter,
das Product der ehrsamen Seifensiedxrzunst; nehme man ihnen und ihren
Frauen doch einmal jene billigen, zweckmäßigen und kleidsamen Gewebe und
Bekleidungsstoffe, so wie hundert andere Dinge, welche zu dem Preise, wie sie
ihn zahlen können, nur die Fabrik zu liefern vermag, und wir wollen sehen,
waS sie dazu sagen. Das Handwerk läßt sich nun einmal nicht so vereinzelt
als ein Institut auffassen, welches nur dazu da ist, einer Classe von Leuten
ihr Brot zu geben. Vielmehr bildet eS nur einen einzelnen Zweig derjenigen
Beschäftigungen, welche die Bestimmung haben, die menschliche Gesellschaft mit
allerlei nöthigen und nützlichen Dingen zu versorgen, mit einem Worte der
Industrie. Die Industrie selbst aber ist wiederum nur eine einzelne Seite
der menschlichen Thätigkeit, nur eine der verschiedenen Richtungen, nach welchen
hin der Menschengeist sich versucht, und welche mit den übrigen, als Theil
eines Ganzen, in untrennnbarem Zusammenhange steht. Schon im vorigen
Abschnitte fanden wir, daß die hauptsächlichsten Hilfsmittel der neuern In¬
dustrie auf Anwendung der neuerlich gewonnenen Kenntnisse in den Naturwissen¬
schaften beruhten. Die Wahrheit zu erkennen, und seine Erkenntniß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/267>, abgerufen am 29.06.2024.