Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.darf. So wie er die Seele lediglich im Willen sucht, so ist ihm auch Gott Kant hatte den Geist frei gemacht durch eine Welt von Pflichten, die ihm darf. So wie er die Seele lediglich im Willen sucht, so ist ihm auch Gott Kant hatte den Geist frei gemacht durch eine Welt von Pflichten, die ihm <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0262" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104463"/> <p xml:id="ID_702" prev="#ID_701"> darf. So wie er die Seele lediglich im Willen sucht, so ist ihm auch Gott<lb/> nur die unbedingte Kraft; und zwar muß eS ein gegebener Gott sein, der<lb/> seiner eignen Hilfe nicht bedarf. Er liest eifrig die Bibel, die Imitativ ^v8u<lb/> Onristi und die geistlichen Schriften von Fsnslon. Die Organisation der Kirche<lb/> ist ihm gleichartig, er sucht nur seinen persönlichen Heiland. Die stolze Phi¬<lb/> losophie der Stoa stellte an ihn zu hohe Anforderungen, er demüthigte sich<lb/> und ergab sich der Gnade, auch hier beständig von Zweifeln gequält. Wenn er<lb/> 1793 geschrieben hatte: ^s eroi8 cjue I<z ssul yui soit sur la routs as la 8SKS88S<lb/> on Zu Konneur, c's8t eslui qui, 8ar>8 es88s osen^s' 6s 1'itnal^hö as 868 alkse-<lb/> tions, n'it prs8eins pa8 um 8sntiment, pas uns pe»8^s alone it us 8S renäs<lb/> compts a lui-mens, so finden wir 1821 in seinen Tagebüchern: in'Kabituäs<lb/> <Z<z 8'osoupsr 8psLu1ativsmsnt as es <un 8S pas«s su 8»!-usus, su mal eomms<lb/> su Kien, ssrait-eilf äons immorals? .Is is era!n3, ä'aprs«, mon sxpsrisnes.<lb/> II Isut 8s äonnsr un but, uri point ä'apmü Na»r8 as 8ol et piu8 Iland qus<lb/> soi, pour pouvoir rsa^ir avss 8usee8 sur 8S8 propre8 mväikeatisn8. lind<lb/> so ist es in der That. Die Selbstbeobachtung ist nothwendig für einen Mo¬<lb/> ment, wenn die Erkenntniß einer falschen Richtung, die man bisher verfolgt,<lb/> eine entschiedene Umkehr nöthig macht. Die fortwährende Analyse der eignen<lb/> Empfindung dagegen lähmt nicht nur die Kraft der Handlung, peinigt nicht<lb/> nur durch beständigen Wechsel von Anklagen und Ueberhebung, sie löst auch<lb/> die Integrität des Gewissens aus und verwirrt den Blick durch falsche Perspek¬<lb/> tiven. Das Detail erweitert sich ungebührlich, und aus dem Ganzen wird ein<lb/> verzerrtes Bild; nicht blos der Charakter, sondern auch die Wissenschaft leidet<lb/> endlich unter einer beständigen Selbstbetrachtung, die ihr«n Gegenstand<lb/> verliert.</p><lb/> <p xml:id="ID_703" next="#ID_704"> Kant hatte den Geist frei gemacht durch eine Welt von Pflichten, die ihm<lb/> einen nothwendigen Inhalt gaben. Zu dieser Hingebung an daS wirkliche<lb/> Leben konnte sich Biran nicht erheben. Sein Ideal blieb immer der einsame<lb/> mit sich übereinstimmende Wille, und daher war ihm das Leben ein beständiges<lb/> Elend, weil es durch die Mannigfaltigkeit der sinnlichen Eindrücke diese Har¬<lb/> monie des Geistes verwirrte. Mein Gott, rief er in seiner Angst I82i, erlöse<lb/> mich vom Uebel d. h. von diesem Zustand deS Körpers, der alle meine Kräfte<lb/> verdunkelt und absorbirt! — Seine Sehnsucht nach Gott war eine ganz andere<lb/> als die der gleichzeitigen Apostel deö Christenthums, die von der Macht und<lb/> Fülle der erscheinenden Kirche ausgingen. Die Religion, wie er sie suchte,<lb/> war die einer schönen Seele, sie lag ausschließlich im Gefühl und war der<lb/> Mystik nicht abgeneigt. Wenn er im Anfang seiner philosophischen Thätigkeit<lb/> mit Fönslon sagte: Nous n'avons rien ^ non8 qus notrs volonts; tout Is rs8es<lb/> n>s8t point a nous, so konnte er jetzt mit demselben Schriftsteller fortfahren:<lb/> ^us8i o'e8t 1a volonts aoud visu est Zaloux, car ilnvu8 äminss, ron</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0262]
darf. So wie er die Seele lediglich im Willen sucht, so ist ihm auch Gott
nur die unbedingte Kraft; und zwar muß eS ein gegebener Gott sein, der
seiner eignen Hilfe nicht bedarf. Er liest eifrig die Bibel, die Imitativ ^v8u
Onristi und die geistlichen Schriften von Fsnslon. Die Organisation der Kirche
ist ihm gleichartig, er sucht nur seinen persönlichen Heiland. Die stolze Phi¬
losophie der Stoa stellte an ihn zu hohe Anforderungen, er demüthigte sich
und ergab sich der Gnade, auch hier beständig von Zweifeln gequält. Wenn er
1793 geschrieben hatte: ^s eroi8 cjue I<z ssul yui soit sur la routs as la 8SKS88S
on Zu Konneur, c's8t eslui qui, 8ar>8 es88s osen^s' 6s 1'itnal^hö as 868 alkse-
tions, n'it prs8eins pa8 um 8sntiment, pas uns pe»8^s alone it us 8S renäs
compts a lui-mens, so finden wir 1821 in seinen Tagebüchern: in'Kabituäs
<Z<z 8'osoupsr 8psLu1ativsmsnt as es <un 8S pas«s su 8»!-usus, su mal eomms
su Kien, ssrait-eilf äons immorals? .Is is era!n3, ä'aprs«, mon sxpsrisnes.
II Isut 8s äonnsr un but, uri point ä'apmü Na»r8 as 8ol et piu8 Iland qus
soi, pour pouvoir rsa^ir avss 8usee8 sur 8S8 propre8 mväikeatisn8. lind
so ist es in der That. Die Selbstbeobachtung ist nothwendig für einen Mo¬
ment, wenn die Erkenntniß einer falschen Richtung, die man bisher verfolgt,
eine entschiedene Umkehr nöthig macht. Die fortwährende Analyse der eignen
Empfindung dagegen lähmt nicht nur die Kraft der Handlung, peinigt nicht
nur durch beständigen Wechsel von Anklagen und Ueberhebung, sie löst auch
die Integrität des Gewissens aus und verwirrt den Blick durch falsche Perspek¬
tiven. Das Detail erweitert sich ungebührlich, und aus dem Ganzen wird ein
verzerrtes Bild; nicht blos der Charakter, sondern auch die Wissenschaft leidet
endlich unter einer beständigen Selbstbetrachtung, die ihr«n Gegenstand
verliert.
Kant hatte den Geist frei gemacht durch eine Welt von Pflichten, die ihm
einen nothwendigen Inhalt gaben. Zu dieser Hingebung an daS wirkliche
Leben konnte sich Biran nicht erheben. Sein Ideal blieb immer der einsame
mit sich übereinstimmende Wille, und daher war ihm das Leben ein beständiges
Elend, weil es durch die Mannigfaltigkeit der sinnlichen Eindrücke diese Har¬
monie des Geistes verwirrte. Mein Gott, rief er in seiner Angst I82i, erlöse
mich vom Uebel d. h. von diesem Zustand deS Körpers, der alle meine Kräfte
verdunkelt und absorbirt! — Seine Sehnsucht nach Gott war eine ganz andere
als die der gleichzeitigen Apostel deö Christenthums, die von der Macht und
Fülle der erscheinenden Kirche ausgingen. Die Religion, wie er sie suchte,
war die einer schönen Seele, sie lag ausschließlich im Gefühl und war der
Mystik nicht abgeneigt. Wenn er im Anfang seiner philosophischen Thätigkeit
mit Fönslon sagte: Nous n'avons rien ^ non8 qus notrs volonts; tout Is rs8es
n>s8t point a nous, so konnte er jetzt mit demselben Schriftsteller fortfahren:
^us8i o'e8t 1a volonts aoud visu est Zaloux, car ilnvu8 äminss, ron
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