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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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wie, jsind die Worte unsrer heiligen Schriften: der den Himmel ausgedehnt,
wie ein Fell, nicht der Behauptung entgegen, daß der Himmel die Form
einer Kugel habe? Wenn diese Behauptung falsch ist, so dürfen ihr diese
Worte allerdings entgegen sein, denn wahrer ist der Ausdruck der gött¬
lichen Autorität, als die Vermuthung des beschränkten menschlichen Denkens.
Sollte aber gedachte Behauptung durch so gewichtige Gründe
unterstützt werden können, daß darüber jeder Zweifel ver¬
schwindet, so wäre nur zu zeigen, daß der Ausdruck "Fell"
jenen wahren Gründen nicht entgegen sei." Wir wollen gern glauben,
daß Augustinus bei der Aufstellung und Wagner bei der Empfehlung
dieser Regel in gutem Glauben gehandelt haben, aber dadurch wird das Ver¬
fahren selbst nicht löblicher, der gegebene Satz soll und muß vertheidigt werden,
geht eS mit dem Wortlaute nicht länger, so gibt man diesem einen andern
Sinn, den man nach Bedarf wieder umdrehen kann -- das ist nichts Anderes
als Sophistik in ihrer höchsten Vollendung. Daß Wagner das nicht bemerkt
hat, ist auffallend und bedauerlich, namentlich da er sich von jener Regel nur
zu sehr hat leiten lassen. Er möge das nicht vergessen, wenn er von der
"Nichtigkeit und Verkehrtheit einer gottentfremdeten Weltanschauung" anderer
Naturforscher wieder einmal reden will.

Größere Mäßigung in den Ausdrücken und größere Correctheit in.ein¬
zelnen 'Angaben dürften dem Verfasser überhaupt anzurathen sein. Er erboßt
sich nicht selten über Schriften Andersdenkender so sehr, daß man an der Un¬
parteilichkeit seines verdammenden Urtheils mehr als zweifelhaft werden muß.
An einer Stelle sagt er sogar: die Einheit der Menschenart könne mit einer
solchen. Evidenz dargethan werden, daß kein Naturforscher von gesunden
Sinnen auch nur im Mindesten daran gezweifelt habe. Angesichts
namhafter Gegner, insonderheit Burmeisters, ist dies eine ebenso falsche,
wie plumpe Insinuation. Von der hegelschen Philosophie sagt er, die Er¬
fahrungswissenschaft müsse sie verachten, und habe gar keine Notiz von ihr
genommen, der schellingschen Lehre habe sich dagegen kein Naturforscher ent¬
ziehen können. Die Naturwissenschaft hat nun zwar die schellingsche Philo¬
sophie eingelassen, aber sie nachher mit noch größerem Eifer wieder hinaus¬
geworfen und sich grade dadurch vor jeder Philosophie, selbst der hegelschen zu
hüten gelernt.

In der Polemik gegen Strauß nennt er die Vorstellung von einer un¬
begrenzten Körperlichkeit und Sinnenwelt absurd und behauptet, tiefer forschen¬
den Astronomen werde es immer mehr zur Gewißheit, daß der Sternenhimmel
kein grenzenlos Unendliches sei, sondern ein geschlossenes Ganze ausmache.
Diese Astronomen aber, wenn es deren wirklich gibt, können wenigstens nicht
tief in die Analyse des Unendlichen eingedrungen sein.


wie, jsind die Worte unsrer heiligen Schriften: der den Himmel ausgedehnt,
wie ein Fell, nicht der Behauptung entgegen, daß der Himmel die Form
einer Kugel habe? Wenn diese Behauptung falsch ist, so dürfen ihr diese
Worte allerdings entgegen sein, denn wahrer ist der Ausdruck der gött¬
lichen Autorität, als die Vermuthung des beschränkten menschlichen Denkens.
Sollte aber gedachte Behauptung durch so gewichtige Gründe
unterstützt werden können, daß darüber jeder Zweifel ver¬
schwindet, so wäre nur zu zeigen, daß der Ausdruck „Fell"
jenen wahren Gründen nicht entgegen sei." Wir wollen gern glauben,
daß Augustinus bei der Aufstellung und Wagner bei der Empfehlung
dieser Regel in gutem Glauben gehandelt haben, aber dadurch wird das Ver¬
fahren selbst nicht löblicher, der gegebene Satz soll und muß vertheidigt werden,
geht eS mit dem Wortlaute nicht länger, so gibt man diesem einen andern
Sinn, den man nach Bedarf wieder umdrehen kann — das ist nichts Anderes
als Sophistik in ihrer höchsten Vollendung. Daß Wagner das nicht bemerkt
hat, ist auffallend und bedauerlich, namentlich da er sich von jener Regel nur
zu sehr hat leiten lassen. Er möge das nicht vergessen, wenn er von der
„Nichtigkeit und Verkehrtheit einer gottentfremdeten Weltanschauung" anderer
Naturforscher wieder einmal reden will.

Größere Mäßigung in den Ausdrücken und größere Correctheit in.ein¬
zelnen 'Angaben dürften dem Verfasser überhaupt anzurathen sein. Er erboßt
sich nicht selten über Schriften Andersdenkender so sehr, daß man an der Un¬
parteilichkeit seines verdammenden Urtheils mehr als zweifelhaft werden muß.
An einer Stelle sagt er sogar: die Einheit der Menschenart könne mit einer
solchen. Evidenz dargethan werden, daß kein Naturforscher von gesunden
Sinnen auch nur im Mindesten daran gezweifelt habe. Angesichts
namhafter Gegner, insonderheit Burmeisters, ist dies eine ebenso falsche,
wie plumpe Insinuation. Von der hegelschen Philosophie sagt er, die Er¬
fahrungswissenschaft müsse sie verachten, und habe gar keine Notiz von ihr
genommen, der schellingschen Lehre habe sich dagegen kein Naturforscher ent¬
ziehen können. Die Naturwissenschaft hat nun zwar die schellingsche Philo¬
sophie eingelassen, aber sie nachher mit noch größerem Eifer wieder hinaus¬
geworfen und sich grade dadurch vor jeder Philosophie, selbst der hegelschen zu
hüten gelernt.

In der Polemik gegen Strauß nennt er die Vorstellung von einer un¬
begrenzten Körperlichkeit und Sinnenwelt absurd und behauptet, tiefer forschen¬
den Astronomen werde es immer mehr zur Gewißheit, daß der Sternenhimmel
kein grenzenlos Unendliches sei, sondern ein geschlossenes Ganze ausmache.
Diese Astronomen aber, wenn es deren wirklich gibt, können wenigstens nicht
tief in die Analyse des Unendlichen eingedrungen sein.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/199>, abgerufen am 12.12.2024.