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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Gewitters dem Tanz einer Kindergruppe zusieht, und an das Unwetter denkt,
welches sich über dem Haupt der Nation zusammenzieht; furchtbar dem Mit¬
lebenden, wirb es dem jungen Geschlecht zu Gute kommen, das unter den
Leiden deS Vaterlandes aufwuchs:


l>!ins l(! kraess lies armes,
van" nah tons en clebris,
Vous neue/ it nos lurmvs
Votre prämier souris.

Man fühlt mit dem Dichter, wenn er (18A0) in bitterer Ironie über die
sinkende Größe seines Vaterlandes dem Nuhm Lebewohl sagt:


Du sommvil <I(! I" Iiberl,e
I^es rupes fort, penibles:
lleverions insensibles,
1'our conserver notre Al,;^.
<)uanll l^out sueeomko,
I''in>)Jo eolombe,
An muss uussi sur lies rnses retombe.
I-ssiis it'inner l'aigle glUer,
IZIIo roprenll son lloux mötier:
Llieellus in'uppellc, et ^je rentre su ljUiirUer.
^llieu livre, pauvre Kloire!
llesbüritons l'I^stoire.
Vene?., ^mours, et verse?-nous ii boirv!

Man liest aus diesen Gedichten noch etwas Anderes: eine melancholische
Nuance, ohne die ein echter Poet nicht zu denken ist. In der That hat der
Sänger FretillonS, Callus und Lisettcns Augenblicke einer sanften contemplativen
Stimmung, die wenigstens ebenso wahr ist als der Lärm seiner Lustigkeit:
Iczs KironlZelles, 1'exile (18-17), 1<zö visaux (1816), 1e Krenier und ähnliche
zarte Lieder legen ein schönes Zeugniß dafür ab. Diese Elegien voll Empfin¬
dung und Wohlklang werden wenigstens ebenso lange leben als seine Satiren,
deren relative Berechtigung vielleicht bald in Vergessenheit gerathen wird.

Zuweilen findet sich in den rührendsten Bildern ein falscher Zug. Merk¬
würdig ist in dieser Beziehung "die Göttin der Freiheit"; musikalisch ist das
Lied so vollendet wie wenige, und auch die menschliche Theilnahme fehlt nicht,
wenn man hinter den Zügen der armen alten Frau die ehemalige Schönheit
des jungen stolzen Weibes erkennt, die auf den Schultern des Volkes im
Triumph getragen wurde; aber daß dieser Triumphzug ein wüster Sabbat war,
der frevelhafte Taumel einer verruchten Pöbelmasse, die selbst bei Robespierre
Entsetzen erregte, und daß der Dichter die Religion des Pere Duchesne ver¬
herrlicht -- hier hört die poetische Licenz nuf! -- Ganz ohne Fleck ist das


Gewitters dem Tanz einer Kindergruppe zusieht, und an das Unwetter denkt,
welches sich über dem Haupt der Nation zusammenzieht; furchtbar dem Mit¬
lebenden, wirb es dem jungen Geschlecht zu Gute kommen, das unter den
Leiden deS Vaterlandes aufwuchs:


l>!ins l(! kraess lies armes,
van« nah tons en clebris,
Vous neue/ it nos lurmvs
Votre prämier souris.

Man fühlt mit dem Dichter, wenn er (18A0) in bitterer Ironie über die
sinkende Größe seines Vaterlandes dem Nuhm Lebewohl sagt:


Du sommvil <I(! I» Iiberl,e
I^es rupes fort, penibles:
lleverions insensibles,
1'our conserver notre Al,;^.
<)uanll l^out sueeomko,
I''in>)Jo eolombe,
An muss uussi sur lies rnses retombe.
I-ssiis it'inner l'aigle glUer,
IZIIo roprenll son lloux mötier:
Llieellus in'uppellc, et ^je rentre su ljUiirUer.
^llieu livre, pauvre Kloire!
llesbüritons l'I^stoire.
Vene?., ^mours, et verse?-nous ii boirv!

Man liest aus diesen Gedichten noch etwas Anderes: eine melancholische
Nuance, ohne die ein echter Poet nicht zu denken ist. In der That hat der
Sänger FretillonS, Callus und Lisettcns Augenblicke einer sanften contemplativen
Stimmung, die wenigstens ebenso wahr ist als der Lärm seiner Lustigkeit:
Iczs KironlZelles, 1'exile (18-17), 1<zö visaux (1816), 1e Krenier und ähnliche
zarte Lieder legen ein schönes Zeugniß dafür ab. Diese Elegien voll Empfin¬
dung und Wohlklang werden wenigstens ebenso lange leben als seine Satiren,
deren relative Berechtigung vielleicht bald in Vergessenheit gerathen wird.

Zuweilen findet sich in den rührendsten Bildern ein falscher Zug. Merk¬
würdig ist in dieser Beziehung „die Göttin der Freiheit"; musikalisch ist das
Lied so vollendet wie wenige, und auch die menschliche Theilnahme fehlt nicht,
wenn man hinter den Zügen der armen alten Frau die ehemalige Schönheit
des jungen stolzen Weibes erkennt, die auf den Schultern des Volkes im
Triumph getragen wurde; aber daß dieser Triumphzug ein wüster Sabbat war,
der frevelhafte Taumel einer verruchten Pöbelmasse, die selbst bei Robespierre
Entsetzen erregte, und daß der Dichter die Religion des Pere Duchesne ver¬
herrlicht — hier hört die poetische Licenz nuf! — Ganz ohne Fleck ist das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/196>, abgerufen am 22.07.2024.