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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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fürchtet, daß man auch ihm Polizeispione auf den Hals schicken wird. Nie¬
mand wird sich ärgern, wenn die lustige Margot dem heiligen Petrus die
Schlüssel des Paradieses stiehlt und trotz der Protestationen des Pförtners
selbst den Teufel einläßt. Auch die Schilderung von dem Tode des Teufels
kann trotz der argen Einfälle nur Heiterkeit erregen. Wenn aber der Epiku¬
räer den "Gott der guten Leute" dogmatisch beschreibt und für das Glaubens-
bekenntniß der Gedankenlosigkeit die ernste Aufmerksamkeit des Lesers in An¬
spruch nimmt, darf man daS Recht der souveränen Kunst nicht mehr gelten
lassen ; durch diese sehr populäre liederliche Religionsphilosophie hat Bürcmger der
echten Religiosität einen empfindlichen Schaden gethan. Desto erfreulicher wird
die Satire, wenn sie sich gegen die Aristokratie und die Höflinge wendet. Der
Marquis von Carabas, die Marquise von Pretentaille, Paillasse der politische
Wetterhahn, der Dickbauch, der aus den ministeriellen Mahlzeiten auf daS
Glück deö Landes schließt, der lustige Pfarrer, der lebt und leben läßt, die Pairs-
kammer, die den heiligen Geist umsonst anruft herabzusteigen, die Kammerjunker
des in einen Ochsen verwandelten Nebukadnezar u. s. w., werden ewige Bil¬
der bleiben. Bei manchen Gedichten, die man für satirisch ausgibt, muß man
das Mikroskop anwenden. Wenn z. B. die allerliebste Beschreibung des Kö¬
nigs von Uvetot wirklich eine Kritik des napoleonischen Absolutismus sein soll,
so muß man gestehen, daß die Franzosen für dergleichen Anspielungen ein
feineres Verständniß haben als wir. Die gelungenste unter diesen älteren
Satiren ist le 8<znalkur, überhaupt eine der feinsten Arbeiten unsres Dichters,
mit einer Steigerung des Humors, die weit über George Daudin hinausgeht
und einer anscheinenden Unbefangenheit, die kein Gefühl des Mißbehagens
aufkommen läßt.

Der Dichter fühlte daS Bedürfniß, diese Kritik durch etwas Positives zu er¬
gänzen. In der Gesellschaft der Grisetten traten ihm zunächst die Militärs
entgegen, tüchtige lebensfrohe Leute, die dem Tode ruhig inS Auge sahen, sich
um die Jesuiten nicht kümmerten und von ihren Marketenderinnen, Callus und
Gottorf, respectable Sitten gelernt hatten; Männer, in denen am lebhaftesten
das Gefühl der französischen Ehre lebte, welche die Kosaken der heiligen Allianz
verabscheuten und in der Erinnerung an den ersten Helden des Jahrhun¬
derts das Joch der Schwarzröcke um so unwilliger empfanden. In der Schil¬
derung dieser Militärs und der Erinnerungen, die sich an sie knüpfen, hat sich
Beranger zuweilen zu einer Poesie erhoben, die seinen Namen unsterblich
machen wird, so in dem alten Sergeanten und der' zerbrochenen Violine. Nur
muß man diese Bilder neben die Darstellungen aus dem Zigeunerleben stellen,
jenem Leben in freier Luft, fern von den dumpfen Werkstätten der Civilisation,
wo man mit rascher Entschlossenheit den Augenblick ergreift, unter dem Laub¬
dach oder der Haide sein Nachtlager hält und dem Vogel gleich für den sol-


fürchtet, daß man auch ihm Polizeispione auf den Hals schicken wird. Nie¬
mand wird sich ärgern, wenn die lustige Margot dem heiligen Petrus die
Schlüssel des Paradieses stiehlt und trotz der Protestationen des Pförtners
selbst den Teufel einläßt. Auch die Schilderung von dem Tode des Teufels
kann trotz der argen Einfälle nur Heiterkeit erregen. Wenn aber der Epiku¬
räer den „Gott der guten Leute" dogmatisch beschreibt und für das Glaubens-
bekenntniß der Gedankenlosigkeit die ernste Aufmerksamkeit des Lesers in An¬
spruch nimmt, darf man daS Recht der souveränen Kunst nicht mehr gelten
lassen ; durch diese sehr populäre liederliche Religionsphilosophie hat Bürcmger der
echten Religiosität einen empfindlichen Schaden gethan. Desto erfreulicher wird
die Satire, wenn sie sich gegen die Aristokratie und die Höflinge wendet. Der
Marquis von Carabas, die Marquise von Pretentaille, Paillasse der politische
Wetterhahn, der Dickbauch, der aus den ministeriellen Mahlzeiten auf daS
Glück deö Landes schließt, der lustige Pfarrer, der lebt und leben läßt, die Pairs-
kammer, die den heiligen Geist umsonst anruft herabzusteigen, die Kammerjunker
des in einen Ochsen verwandelten Nebukadnezar u. s. w., werden ewige Bil¬
der bleiben. Bei manchen Gedichten, die man für satirisch ausgibt, muß man
das Mikroskop anwenden. Wenn z. B. die allerliebste Beschreibung des Kö¬
nigs von Uvetot wirklich eine Kritik des napoleonischen Absolutismus sein soll,
so muß man gestehen, daß die Franzosen für dergleichen Anspielungen ein
feineres Verständniß haben als wir. Die gelungenste unter diesen älteren
Satiren ist le 8<znalkur, überhaupt eine der feinsten Arbeiten unsres Dichters,
mit einer Steigerung des Humors, die weit über George Daudin hinausgeht
und einer anscheinenden Unbefangenheit, die kein Gefühl des Mißbehagens
aufkommen läßt.

Der Dichter fühlte daS Bedürfniß, diese Kritik durch etwas Positives zu er¬
gänzen. In der Gesellschaft der Grisetten traten ihm zunächst die Militärs
entgegen, tüchtige lebensfrohe Leute, die dem Tode ruhig inS Auge sahen, sich
um die Jesuiten nicht kümmerten und von ihren Marketenderinnen, Callus und
Gottorf, respectable Sitten gelernt hatten; Männer, in denen am lebhaftesten
das Gefühl der französischen Ehre lebte, welche die Kosaken der heiligen Allianz
verabscheuten und in der Erinnerung an den ersten Helden des Jahrhun¬
derts das Joch der Schwarzröcke um so unwilliger empfanden. In der Schil¬
derung dieser Militärs und der Erinnerungen, die sich an sie knüpfen, hat sich
Beranger zuweilen zu einer Poesie erhoben, die seinen Namen unsterblich
machen wird, so in dem alten Sergeanten und der' zerbrochenen Violine. Nur
muß man diese Bilder neben die Darstellungen aus dem Zigeunerleben stellen,
jenem Leben in freier Luft, fern von den dumpfen Werkstätten der Civilisation,
wo man mit rascher Entschlossenheit den Augenblick ergreift, unter dem Laub¬
dach oder der Haide sein Nachtlager hält und dem Vogel gleich für den sol-


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[0194] fürchtet, daß man auch ihm Polizeispione auf den Hals schicken wird. Nie¬ mand wird sich ärgern, wenn die lustige Margot dem heiligen Petrus die Schlüssel des Paradieses stiehlt und trotz der Protestationen des Pförtners selbst den Teufel einläßt. Auch die Schilderung von dem Tode des Teufels kann trotz der argen Einfälle nur Heiterkeit erregen. Wenn aber der Epiku¬ räer den „Gott der guten Leute" dogmatisch beschreibt und für das Glaubens- bekenntniß der Gedankenlosigkeit die ernste Aufmerksamkeit des Lesers in An¬ spruch nimmt, darf man daS Recht der souveränen Kunst nicht mehr gelten lassen ; durch diese sehr populäre liederliche Religionsphilosophie hat Bürcmger der echten Religiosität einen empfindlichen Schaden gethan. Desto erfreulicher wird die Satire, wenn sie sich gegen die Aristokratie und die Höflinge wendet. Der Marquis von Carabas, die Marquise von Pretentaille, Paillasse der politische Wetterhahn, der Dickbauch, der aus den ministeriellen Mahlzeiten auf daS Glück deö Landes schließt, der lustige Pfarrer, der lebt und leben läßt, die Pairs- kammer, die den heiligen Geist umsonst anruft herabzusteigen, die Kammerjunker des in einen Ochsen verwandelten Nebukadnezar u. s. w., werden ewige Bil¬ der bleiben. Bei manchen Gedichten, die man für satirisch ausgibt, muß man das Mikroskop anwenden. Wenn z. B. die allerliebste Beschreibung des Kö¬ nigs von Uvetot wirklich eine Kritik des napoleonischen Absolutismus sein soll, so muß man gestehen, daß die Franzosen für dergleichen Anspielungen ein feineres Verständniß haben als wir. Die gelungenste unter diesen älteren Satiren ist le 8<znalkur, überhaupt eine der feinsten Arbeiten unsres Dichters, mit einer Steigerung des Humors, die weit über George Daudin hinausgeht und einer anscheinenden Unbefangenheit, die kein Gefühl des Mißbehagens aufkommen läßt. Der Dichter fühlte daS Bedürfniß, diese Kritik durch etwas Positives zu er¬ gänzen. In der Gesellschaft der Grisetten traten ihm zunächst die Militärs entgegen, tüchtige lebensfrohe Leute, die dem Tode ruhig inS Auge sahen, sich um die Jesuiten nicht kümmerten und von ihren Marketenderinnen, Callus und Gottorf, respectable Sitten gelernt hatten; Männer, in denen am lebhaftesten das Gefühl der französischen Ehre lebte, welche die Kosaken der heiligen Allianz verabscheuten und in der Erinnerung an den ersten Helden des Jahrhun¬ derts das Joch der Schwarzröcke um so unwilliger empfanden. In der Schil¬ derung dieser Militärs und der Erinnerungen, die sich an sie knüpfen, hat sich Beranger zuweilen zu einer Poesie erhoben, die seinen Namen unsterblich machen wird, so in dem alten Sergeanten und der' zerbrochenen Violine. Nur muß man diese Bilder neben die Darstellungen aus dem Zigeunerleben stellen, jenem Leben in freier Luft, fern von den dumpfen Werkstätten der Civilisation, wo man mit rascher Entschlossenheit den Augenblick ergreift, unter dem Laub¬ dach oder der Haide sein Nachtlager hält und dem Vogel gleich für den sol-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/194>, abgerufen am 25.08.2024.