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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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baltischen Küsten gewisse Partien auszuweisen haben, die mit dem fraglichen
Meerestheil verglichen werden können. Ich meine die drei Haffe, daS ku¬
rische, frische und das Stettiner. Mit welcher unserer großen Nachbarmächte
wir auch immerhin in Krieg verwickelt sein möchten, jedenfalls würde das
, Eindringen einer feindlichen Flottille in eines der Haffe für uns ein kaum
minder empfindlicher Schlag sein, wie der, welcher die Russen durch das Er¬
scheinen der englischen Kanonenboote vor Taganrog und Berdiansk betraf.
Es ist kein rein zufälliger Umstand, daß die Besetzung des asowschen Meeres
im zweiten Kriegsjahre und nicht bereits im ersten erfolgte, denn man weiß
allgemein, wie man von Seiten der Verbündeten während der ersten Periode
des Krimfeldzuges ein hierzu geeignetes Marinematerial nicht besaß. Kano¬
nenboote werden heute als ein durchaus unersetzliches Hilfsmittel für den See¬
krieg in Binnenmeeren und an feindlichen Küsten angesehen, aber dermaßen
war man während der vierzigjährigen Friedenszeit von allen praktischen Ge¬
sichtspunkten abgekommen, daß man in England der Ansicht war, dieser Dienst
könne unter allen Umständen von den vorhandenen leichteren Schaufeldampfern,
die einen Tiefgang von etwa 10 Fuß und auf Deck zwei bis sechs Geschütze
haben, geleistet werden, während man in Frankreich sich darauf verließ, daß
man im Nothfall die Barkassen der Linienschiffe bemannen, und mit einer oder
zwei Karronaden ausrüsten könne. Diejenigen Mächte, welche eigentliche
Kanonenboote besaßen, waren nur Schweden, Dänemark und Rußland, und
letzteres hatte deren nur in- der Ostsee. Wenn die Versäumnis? groß war, so
konnte der Augenblick, in welchem man sich derselben bewußt wurde, in Hin¬
sicht auf den inzwischen stattgefundenen Fortschritt der Technik, nicht günstiger
fallen als es geschah. Man dachte im Jahre 1833 nicht entfernt mehr daran,
die alten dänischen und schwedischen Kanonenbo'öde, welche im Wesentlichen
Ruderfahrzeuge sind, nachzuahmen, sondern es stand sofort in Großbritannien
wie in Frankreich fest, daß die neuen Fahrzeuge Schraubenschiffe sein müßten.
Dieser Unterschied bedingt einen durchaus anderen Werth der betreffenden
Fahrzeuge. Während ein Ruderkanonenboot durch einen einzigen Schuß, der
es enftlirend seine Riemen (Ruder) zertrümmert, leicht außer Gefecht versetzt
werden kann, ist beim Dampfkanonenboot der treibende Mechanismus einer
Beschädigung durch das feindliche Feuer sehr wenig ausgesetzt, weil er meistens
unter Wasser gelegen ist. Die Mannschaften können sich fast ausschließlich
der Bedienung deö Geschützes widmen, mit Ausnahme der wenigen, die am
Steuer und bei der Maschine bedurft werden, während bei den älteren Booten
die Bedienung der Riemen den überwiegend größeren Theil der Bemannung
in Anspruch nimmt. Dabei ist die Schnelligkeit eine außerordentlich große
und °von der Windrichtung und Strömung unabhängige, während es vorbei"
den Ruderflottillen in manchen Fällen unmöglich gewesen ist, gegen diese


baltischen Küsten gewisse Partien auszuweisen haben, die mit dem fraglichen
Meerestheil verglichen werden können. Ich meine die drei Haffe, daS ku¬
rische, frische und das Stettiner. Mit welcher unserer großen Nachbarmächte
wir auch immerhin in Krieg verwickelt sein möchten, jedenfalls würde das
, Eindringen einer feindlichen Flottille in eines der Haffe für uns ein kaum
minder empfindlicher Schlag sein, wie der, welcher die Russen durch das Er¬
scheinen der englischen Kanonenboote vor Taganrog und Berdiansk betraf.
Es ist kein rein zufälliger Umstand, daß die Besetzung des asowschen Meeres
im zweiten Kriegsjahre und nicht bereits im ersten erfolgte, denn man weiß
allgemein, wie man von Seiten der Verbündeten während der ersten Periode
des Krimfeldzuges ein hierzu geeignetes Marinematerial nicht besaß. Kano¬
nenboote werden heute als ein durchaus unersetzliches Hilfsmittel für den See¬
krieg in Binnenmeeren und an feindlichen Küsten angesehen, aber dermaßen
war man während der vierzigjährigen Friedenszeit von allen praktischen Ge¬
sichtspunkten abgekommen, daß man in England der Ansicht war, dieser Dienst
könne unter allen Umständen von den vorhandenen leichteren Schaufeldampfern,
die einen Tiefgang von etwa 10 Fuß und auf Deck zwei bis sechs Geschütze
haben, geleistet werden, während man in Frankreich sich darauf verließ, daß
man im Nothfall die Barkassen der Linienschiffe bemannen, und mit einer oder
zwei Karronaden ausrüsten könne. Diejenigen Mächte, welche eigentliche
Kanonenboote besaßen, waren nur Schweden, Dänemark und Rußland, und
letzteres hatte deren nur in- der Ostsee. Wenn die Versäumnis? groß war, so
konnte der Augenblick, in welchem man sich derselben bewußt wurde, in Hin¬
sicht auf den inzwischen stattgefundenen Fortschritt der Technik, nicht günstiger
fallen als es geschah. Man dachte im Jahre 1833 nicht entfernt mehr daran,
die alten dänischen und schwedischen Kanonenbo'öde, welche im Wesentlichen
Ruderfahrzeuge sind, nachzuahmen, sondern es stand sofort in Großbritannien
wie in Frankreich fest, daß die neuen Fahrzeuge Schraubenschiffe sein müßten.
Dieser Unterschied bedingt einen durchaus anderen Werth der betreffenden
Fahrzeuge. Während ein Ruderkanonenboot durch einen einzigen Schuß, der
es enftlirend seine Riemen (Ruder) zertrümmert, leicht außer Gefecht versetzt
werden kann, ist beim Dampfkanonenboot der treibende Mechanismus einer
Beschädigung durch das feindliche Feuer sehr wenig ausgesetzt, weil er meistens
unter Wasser gelegen ist. Die Mannschaften können sich fast ausschließlich
der Bedienung deö Geschützes widmen, mit Ausnahme der wenigen, die am
Steuer und bei der Maschine bedurft werden, während bei den älteren Booten
die Bedienung der Riemen den überwiegend größeren Theil der Bemannung
in Anspruch nimmt. Dabei ist die Schnelligkeit eine außerordentlich große
und °von der Windrichtung und Strömung unabhängige, während es vorbei»
den Ruderflottillen in manchen Fällen unmöglich gewesen ist, gegen diese


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[0184] baltischen Küsten gewisse Partien auszuweisen haben, die mit dem fraglichen Meerestheil verglichen werden können. Ich meine die drei Haffe, daS ku¬ rische, frische und das Stettiner. Mit welcher unserer großen Nachbarmächte wir auch immerhin in Krieg verwickelt sein möchten, jedenfalls würde das , Eindringen einer feindlichen Flottille in eines der Haffe für uns ein kaum minder empfindlicher Schlag sein, wie der, welcher die Russen durch das Er¬ scheinen der englischen Kanonenboote vor Taganrog und Berdiansk betraf. Es ist kein rein zufälliger Umstand, daß die Besetzung des asowschen Meeres im zweiten Kriegsjahre und nicht bereits im ersten erfolgte, denn man weiß allgemein, wie man von Seiten der Verbündeten während der ersten Periode des Krimfeldzuges ein hierzu geeignetes Marinematerial nicht besaß. Kano¬ nenboote werden heute als ein durchaus unersetzliches Hilfsmittel für den See¬ krieg in Binnenmeeren und an feindlichen Küsten angesehen, aber dermaßen war man während der vierzigjährigen Friedenszeit von allen praktischen Ge¬ sichtspunkten abgekommen, daß man in England der Ansicht war, dieser Dienst könne unter allen Umständen von den vorhandenen leichteren Schaufeldampfern, die einen Tiefgang von etwa 10 Fuß und auf Deck zwei bis sechs Geschütze haben, geleistet werden, während man in Frankreich sich darauf verließ, daß man im Nothfall die Barkassen der Linienschiffe bemannen, und mit einer oder zwei Karronaden ausrüsten könne. Diejenigen Mächte, welche eigentliche Kanonenboote besaßen, waren nur Schweden, Dänemark und Rußland, und letzteres hatte deren nur in- der Ostsee. Wenn die Versäumnis? groß war, so konnte der Augenblick, in welchem man sich derselben bewußt wurde, in Hin¬ sicht auf den inzwischen stattgefundenen Fortschritt der Technik, nicht günstiger fallen als es geschah. Man dachte im Jahre 1833 nicht entfernt mehr daran, die alten dänischen und schwedischen Kanonenbo'öde, welche im Wesentlichen Ruderfahrzeuge sind, nachzuahmen, sondern es stand sofort in Großbritannien wie in Frankreich fest, daß die neuen Fahrzeuge Schraubenschiffe sein müßten. Dieser Unterschied bedingt einen durchaus anderen Werth der betreffenden Fahrzeuge. Während ein Ruderkanonenboot durch einen einzigen Schuß, der es enftlirend seine Riemen (Ruder) zertrümmert, leicht außer Gefecht versetzt werden kann, ist beim Dampfkanonenboot der treibende Mechanismus einer Beschädigung durch das feindliche Feuer sehr wenig ausgesetzt, weil er meistens unter Wasser gelegen ist. Die Mannschaften können sich fast ausschließlich der Bedienung deö Geschützes widmen, mit Ausnahme der wenigen, die am Steuer und bei der Maschine bedurft werden, während bei den älteren Booten die Bedienung der Riemen den überwiegend größeren Theil der Bemannung in Anspruch nimmt. Dabei ist die Schnelligkeit eine außerordentlich große und °von der Windrichtung und Strömung unabhängige, während es vorbei» den Ruderflottillen in manchen Fällen unmöglich gewesen ist, gegen diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/184>, abgerufen am 25.08.2024.