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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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haben, die ungeheure Uebermacht der von der Schraube.bewegten Zwei- und
Dreidecker über die nur vom Segel getriebenen feindlichen durch die aller-
directeste Prüfung zu messen und zu erhärten. Niemand kann in Zweifel
darüber sein, daß, unter was immer für Verhältnissen diese Prüfung statt¬
gefunden haben möchte, ihr Tag der letzte der betreffenden zarischen Schiffs¬
macht gewesen sein würde. Aber wie sicher man auch hierüber sein Mag, so
wird gleichwol ein jeder Sachverständige anerkennen, daß die aus dem wirk¬
lichen Zusammenstoß gewonnenen Detailerfahrungen ein um vieles besserer
Anhalt gewesen sein würden, wie die bloße theoretische Ueberzeugung. Viel¬
leicht, daß man in solchem Falle über einige Fragen, die neuerdings in Rücksicht
auf pas zwischen den schweren Schraubenlinienschiffen und den Schrauben¬
fregatten bestehende Verhältniß und ihre respective Leistungsfähigkeit im All¬
gemeinen anders, wie heute wirklich geschieht, urtheilen würde. Indeß, diese
Gelegenheit ist vorüber,, wahrscheinlich für immer. Denn eben jetzt ist die
russische Seemacht in dem Uebergange aus dem alten zum neuen System be¬
griffen. Muthmaßlich wird in wenigen Jahren ein Segellinienschiff zu Kron¬
stäbe und Sweaborg sich nur noch in der Reihe der Hulks, d. h. unter den
ausrangirten Fahrzeugen antreffen lassen, und so werden wir auf eine genaue
und thatsächlich begründete Beantwortung der Frage, wie viele Segeldreidecker
ein "Duke", oder wie viele Segelzweidecker ein "Agamemnon" oder "Napoleon"
auf sich nehmen könne, verzichten müssen.

Indeß können wir uns, nach Maßgabe früherer Seeschlachten, namentlich
derjenigen aus der nelsonischen Epoche, mindestens annähernd ein Bild von
dem Zusammentreffen einer Schrauben- und Segelflotte machen; und zwar in¬
sofern, als die damalige Ueberlegenheit der britischen Schiffe im Manövriren
über ihre Gegner eine Analogie zu der Uebermacht des neuen Systems über
das ältere bietet. Man darf annehmen, daß Napier, an der Spitze von
zwanzig Schraubenlinienschiffen, sich ebensowenig an die einengendem Formen
der seitherigen Taktik gebunden gehalten haben würde, wie Nelson bei seinen
großen Schlachten. Schon zu Abukir (1. August 1798) verließ dieser die
Vorschriften des Herkommens, indem er es aufgab, dem nahe dem User in
Linie liegenden Feind gegenüber eine Schlachtlinie zu formiren, und sich, auf
die Unbeweglichkeit ' der Gegner vertrauend, massenweise mit allen ihm zur
Verfügung stehenden Schiffen auf den linken Flügel der französischen Auf¬
stellung warf. Sicherlich wäre für Napier diese Schlacht das Muster geworden,
falls er die Russen, wie er anfangs wol erwartete, in einer offenen Bucht des
baltischen Meeres, etwa unter dem Schutze einiger Küstenbatterien, angetroffen
hätte. Bei Trafalgar (22. October 1803) agirte Nelson im Grunde ge¬
nommen nicht anders wie bei Abukir, indem er in zwei Colonnen senkrecht
die französisch-spanische Schlachtlinie angriff. Auch war dieses Manöver


haben, die ungeheure Uebermacht der von der Schraube.bewegten Zwei- und
Dreidecker über die nur vom Segel getriebenen feindlichen durch die aller-
directeste Prüfung zu messen und zu erhärten. Niemand kann in Zweifel
darüber sein, daß, unter was immer für Verhältnissen diese Prüfung statt¬
gefunden haben möchte, ihr Tag der letzte der betreffenden zarischen Schiffs¬
macht gewesen sein würde. Aber wie sicher man auch hierüber sein Mag, so
wird gleichwol ein jeder Sachverständige anerkennen, daß die aus dem wirk¬
lichen Zusammenstoß gewonnenen Detailerfahrungen ein um vieles besserer
Anhalt gewesen sein würden, wie die bloße theoretische Ueberzeugung. Viel¬
leicht, daß man in solchem Falle über einige Fragen, die neuerdings in Rücksicht
auf pas zwischen den schweren Schraubenlinienschiffen und den Schrauben¬
fregatten bestehende Verhältniß und ihre respective Leistungsfähigkeit im All¬
gemeinen anders, wie heute wirklich geschieht, urtheilen würde. Indeß, diese
Gelegenheit ist vorüber,, wahrscheinlich für immer. Denn eben jetzt ist die
russische Seemacht in dem Uebergange aus dem alten zum neuen System be¬
griffen. Muthmaßlich wird in wenigen Jahren ein Segellinienschiff zu Kron¬
stäbe und Sweaborg sich nur noch in der Reihe der Hulks, d. h. unter den
ausrangirten Fahrzeugen antreffen lassen, und so werden wir auf eine genaue
und thatsächlich begründete Beantwortung der Frage, wie viele Segeldreidecker
ein „Duke", oder wie viele Segelzweidecker ein „Agamemnon" oder „Napoleon"
auf sich nehmen könne, verzichten müssen.

Indeß können wir uns, nach Maßgabe früherer Seeschlachten, namentlich
derjenigen aus der nelsonischen Epoche, mindestens annähernd ein Bild von
dem Zusammentreffen einer Schrauben- und Segelflotte machen; und zwar in¬
sofern, als die damalige Ueberlegenheit der britischen Schiffe im Manövriren
über ihre Gegner eine Analogie zu der Uebermacht des neuen Systems über
das ältere bietet. Man darf annehmen, daß Napier, an der Spitze von
zwanzig Schraubenlinienschiffen, sich ebensowenig an die einengendem Formen
der seitherigen Taktik gebunden gehalten haben würde, wie Nelson bei seinen
großen Schlachten. Schon zu Abukir (1. August 1798) verließ dieser die
Vorschriften des Herkommens, indem er es aufgab, dem nahe dem User in
Linie liegenden Feind gegenüber eine Schlachtlinie zu formiren, und sich, auf
die Unbeweglichkeit ' der Gegner vertrauend, massenweise mit allen ihm zur
Verfügung stehenden Schiffen auf den linken Flügel der französischen Auf¬
stellung warf. Sicherlich wäre für Napier diese Schlacht das Muster geworden,
falls er die Russen, wie er anfangs wol erwartete, in einer offenen Bucht des
baltischen Meeres, etwa unter dem Schutze einiger Küstenbatterien, angetroffen
hätte. Bei Trafalgar (22. October 1803) agirte Nelson im Grunde ge¬
nommen nicht anders wie bei Abukir, indem er in zwei Colonnen senkrecht
die französisch-spanische Schlachtlinie angriff. Auch war dieses Manöver


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/176>, abgerufen am 22.07.2024.