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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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gelegenheit, Hauptvertreter der Ueberzeugung gewesen, daß eine Revision der
Karte von Europa nicht heilbringend sei.

Es ist möglich, daß grade diese Ueberzeugung in einer deutschen Frage den
Kaiser zu einem Gegner deutscher Wünsche machen kann, aber auch hier fände
eine kräftige deutsche Politik in seiner Persönlichkeit wieder manches verbündete
Element. Seine politischen Ansichten werden langsam zu Ueberzeugungen, er
ist sehr geneigt, ein kräftiges und maßvolles Wollen zu achten und er gilt für
frei von den zahllosen traditionellen Befangenheiten, welche die Politiker an¬
derer Länder z. B. die Engländer nicht selten borniren. Auch in der Schles-
wig-holsteinischen Sache wird der Grad von persönlicher Achtung und Neigung,
die er gegen die deutschen Vertreter derselben fühlt, vorzugsweise seine Partei¬
nahme bestimmen, salls auch dieser nationalen Frage das unglückliche Schick¬
sal bereitet werden sollte, durch eine Comitesitzung europäischer Minister ab¬
gemacht zu werden.

Mehr als in einem andern Staate Europas hängt die französische Politik
von den persönlichen Eindrücken und Anschauungen ab, welche der Kaiser selbst
erhält. Und wie alle politischen Persönlichkeiten, deren egoistisches Wollen
mit einem schwärmerischen Fatalismus umkleidet ist, hat auch er das lebhafte
Bedürfniß gemüthlicher Stimmungen und eines persönlichen Verhältnisses zu
seinen Verbündeten. So auffallend der Ausdruck deutschen Ohren klingen mag,
die Politik Napoleons III. ist vorzugsweise gemüthlich. Allerdings ist diese
Gemüthlichkeit nicht grade die eines deutschen Hausbesitzers, aber sie ist ihr so
ähnlich, als bei dem Herrn deS 2. Decembers nur möglich ist. In der merk¬
würdig organistrten Natur deS Kaisers wohnt neben italienischer Verschlagenheit
ein tiefes Gefühl für Wahrheit und Ehrlichkeit. Seit er den Thron bestieg,
war, so scheint uns, sein aufrichtiges Bestreben, eine gemäßigte und honnette
Politik nach außen durchzuführen. Und wie groß die Versuchungen waren,
welche ihm in den politischen Conjuncturen kamen, bei seinen Freunden wie bei
seinen Gegnern hat er den Ruf eines zuverlässige" Geschäftsmannes erworben,
mit dem zu verhandeln nicht demüthigend ist, weil er, so weit er überhaupt
spricht, grade seine Meinung sagt und fest darauf besteht; und weil er zwar
fremde Ueberzeugungen sich schwer zu eigen macht, aber jede entgegenstehende
Ansicht unbefangen zu prüfen bemüht ist. ES ist möglich, daß solche gerade
Ehrlichkeit in Geschäften bei ihm mehr das Resultat eines festen Willens als
natürlicher Anlage ist, aber welche Energie gehört dazu, mit so dauerhafter
Selbstbeherrschung eine Rolle zu spielen!

Bei solcher Persönlichkeit nimmt der Kaiser auch zu den deutschen Inter¬
essen-keine principiell feindliche Stellung ein. Was ihm bei dem Wollen der
Deutschen vernünftig und kräftig erscheint, das wird er achten, und er wird
eher als die englische Politik verstehn, was der wahre Vortheil Deutschlands


gelegenheit, Hauptvertreter der Ueberzeugung gewesen, daß eine Revision der
Karte von Europa nicht heilbringend sei.

Es ist möglich, daß grade diese Ueberzeugung in einer deutschen Frage den
Kaiser zu einem Gegner deutscher Wünsche machen kann, aber auch hier fände
eine kräftige deutsche Politik in seiner Persönlichkeit wieder manches verbündete
Element. Seine politischen Ansichten werden langsam zu Ueberzeugungen, er
ist sehr geneigt, ein kräftiges und maßvolles Wollen zu achten und er gilt für
frei von den zahllosen traditionellen Befangenheiten, welche die Politiker an¬
derer Länder z. B. die Engländer nicht selten borniren. Auch in der Schles-
wig-holsteinischen Sache wird der Grad von persönlicher Achtung und Neigung,
die er gegen die deutschen Vertreter derselben fühlt, vorzugsweise seine Partei¬
nahme bestimmen, salls auch dieser nationalen Frage das unglückliche Schick¬
sal bereitet werden sollte, durch eine Comitesitzung europäischer Minister ab¬
gemacht zu werden.

Mehr als in einem andern Staate Europas hängt die französische Politik
von den persönlichen Eindrücken und Anschauungen ab, welche der Kaiser selbst
erhält. Und wie alle politischen Persönlichkeiten, deren egoistisches Wollen
mit einem schwärmerischen Fatalismus umkleidet ist, hat auch er das lebhafte
Bedürfniß gemüthlicher Stimmungen und eines persönlichen Verhältnisses zu
seinen Verbündeten. So auffallend der Ausdruck deutschen Ohren klingen mag,
die Politik Napoleons III. ist vorzugsweise gemüthlich. Allerdings ist diese
Gemüthlichkeit nicht grade die eines deutschen Hausbesitzers, aber sie ist ihr so
ähnlich, als bei dem Herrn deS 2. Decembers nur möglich ist. In der merk¬
würdig organistrten Natur deS Kaisers wohnt neben italienischer Verschlagenheit
ein tiefes Gefühl für Wahrheit und Ehrlichkeit. Seit er den Thron bestieg,
war, so scheint uns, sein aufrichtiges Bestreben, eine gemäßigte und honnette
Politik nach außen durchzuführen. Und wie groß die Versuchungen waren,
welche ihm in den politischen Conjuncturen kamen, bei seinen Freunden wie bei
seinen Gegnern hat er den Ruf eines zuverlässige» Geschäftsmannes erworben,
mit dem zu verhandeln nicht demüthigend ist, weil er, so weit er überhaupt
spricht, grade seine Meinung sagt und fest darauf besteht; und weil er zwar
fremde Ueberzeugungen sich schwer zu eigen macht, aber jede entgegenstehende
Ansicht unbefangen zu prüfen bemüht ist. ES ist möglich, daß solche gerade
Ehrlichkeit in Geschäften bei ihm mehr das Resultat eines festen Willens als
natürlicher Anlage ist, aber welche Energie gehört dazu, mit so dauerhafter
Selbstbeherrschung eine Rolle zu spielen!

Bei solcher Persönlichkeit nimmt der Kaiser auch zu den deutschen Inter¬
essen-keine principiell feindliche Stellung ein. Was ihm bei dem Wollen der
Deutschen vernünftig und kräftig erscheint, das wird er achten, und er wird
eher als die englische Politik verstehn, was der wahre Vortheil Deutschlands


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/172>, abgerufen am 24.08.2024.