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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Smiterlow zum Beherbergen empfohlen. Und dieser wollte sie auch gut trac-
tiren und ihnen gute Gesellschaft schaffen. Da er selbst drei erwachsene Töch¬
ter hatte, war neben andern Gästen auch diese meine Schwester eingeladen.
Die Studenten nun haben mit den Jungfern allerlei Scherzworte gewechselt
und auch lateinisch untereinander geredet, waS sich vor Jungfrauen deutsch zu
sagen nicht geziemte, wie junge Gesellen wohl thun. Da hat auch der eine
zum andern gesagt: "protecto kormosa puMa", daraus entgegnete meine Schwe¬
ster: "8le sg,ti8"; da sind sie sehr erschrocken, vermeinend, daß sie auch ihre
vorhergehende amatorische Rede verstanden hätte. Sie ist aber Anno zu
einer ganz unglücklichen Heirath gekommen, mit Christoph Meiern, war ein
ungeschlachter Mensch, verthat, verfaulte und verbankettirte alles, waS er hatte,
auch was er mit meiner Schwester ersreite.

Meine Mutter hielt ihre Töchter von Jugend auf zu der gebührenden
häuslichen Arbeit. Als meine Schwester Gertrud mit fünf Jahren von ohn-
gefähr beim Rocken saß und spann, -- denn damals waren die Spinnräder
noch nicht in Gebrauch -- erzählte mein Bruder Johann, daß die kaiserliche
Majestät, einen Reichstag ausgeschrieben hätte, wohin Kaiser, König, Kur¬
fürsten, Fürsten, Grafen und große Herrn zusammenkämen, und auf die
Frage was sie dort machten? antwortete er: sie verordneten und beschlossen,
wie es in der Welt gemacht werden und zugehen sollte. Da fing dies Mägd¬
lein beim Rocken gar hoch und tief zu seufzen an und sagte in großer Weh¬
muth: "ach du lieber Gott! wenn sie doch auch ernstlich verordnen möchten,
daß solche kleine Mädchen nicht spinnen dürsten." -- Diese meine Schwester
ist mit meiner seligen Mutter und mit noch zweien meiner Schwestern, mit
Magdalene und Katharine im Jahr i9, als die Pestilenz gar heftig grassirte,
selig entschlafen. Zuerst meine Mutter, und als meine Schwestern bitterlich
weinten, hat sie denselben im Verscheiden gesagt: "was weinet ihr? betet
vielmehr, daß mir Gott meine Pein gnädiglich wolle kürzen." Einige Tage
daraus entschlief selig Gertrud, meine jüngste Schwester. Die älteste unver-
heirathete Schwester Magdalene war auch schon dem Tode nahe, stand gleich¬
wol aus dem Bette, schloß auf und legte nicht allein Gertrudens Todtenhemd
und Lanken heraus, sondern auch was man ihr selbst um und anthun sollte,
und befahl, wenn Gertrud begraben würde, nur daS Grab offen zu lassen,
mit Erde etwas zu bedecken und sie neben Gertrud zu setzen. So legte sie
sich wieder zu Bette, bis den andern Tag, nachdem Gertrud begraben war.
Da starb auch sie; sie war 'die größte und stärkste unter allen meinen Schwe¬
stern, eine treffliche, verständige, arbeitselige Haushälterin. Dies schrieb mir
meine Schwester Katharine zwei Tage vor ihrem Tode, und daß es mit ihr
selbst ebenso stünde, sie sei aus dem Wege, der Mutter und den Schwestern zu
folgen, und sie sehne sich darnach, und vermahnte mich, daß ich mich nicht


Smiterlow zum Beherbergen empfohlen. Und dieser wollte sie auch gut trac-
tiren und ihnen gute Gesellschaft schaffen. Da er selbst drei erwachsene Töch¬
ter hatte, war neben andern Gästen auch diese meine Schwester eingeladen.
Die Studenten nun haben mit den Jungfern allerlei Scherzworte gewechselt
und auch lateinisch untereinander geredet, waS sich vor Jungfrauen deutsch zu
sagen nicht geziemte, wie junge Gesellen wohl thun. Da hat auch der eine
zum andern gesagt: „protecto kormosa puMa", daraus entgegnete meine Schwe¬
ster: „8le sg,ti8"; da sind sie sehr erschrocken, vermeinend, daß sie auch ihre
vorhergehende amatorische Rede verstanden hätte. Sie ist aber Anno zu
einer ganz unglücklichen Heirath gekommen, mit Christoph Meiern, war ein
ungeschlachter Mensch, verthat, verfaulte und verbankettirte alles, waS er hatte,
auch was er mit meiner Schwester ersreite.

Meine Mutter hielt ihre Töchter von Jugend auf zu der gebührenden
häuslichen Arbeit. Als meine Schwester Gertrud mit fünf Jahren von ohn-
gefähr beim Rocken saß und spann, — denn damals waren die Spinnräder
noch nicht in Gebrauch — erzählte mein Bruder Johann, daß die kaiserliche
Majestät, einen Reichstag ausgeschrieben hätte, wohin Kaiser, König, Kur¬
fürsten, Fürsten, Grafen und große Herrn zusammenkämen, und auf die
Frage was sie dort machten? antwortete er: sie verordneten und beschlossen,
wie es in der Welt gemacht werden und zugehen sollte. Da fing dies Mägd¬
lein beim Rocken gar hoch und tief zu seufzen an und sagte in großer Weh¬
muth: „ach du lieber Gott! wenn sie doch auch ernstlich verordnen möchten,
daß solche kleine Mädchen nicht spinnen dürsten." — Diese meine Schwester
ist mit meiner seligen Mutter und mit noch zweien meiner Schwestern, mit
Magdalene und Katharine im Jahr i9, als die Pestilenz gar heftig grassirte,
selig entschlafen. Zuerst meine Mutter, und als meine Schwestern bitterlich
weinten, hat sie denselben im Verscheiden gesagt: „was weinet ihr? betet
vielmehr, daß mir Gott meine Pein gnädiglich wolle kürzen." Einige Tage
daraus entschlief selig Gertrud, meine jüngste Schwester. Die älteste unver-
heirathete Schwester Magdalene war auch schon dem Tode nahe, stand gleich¬
wol aus dem Bette, schloß auf und legte nicht allein Gertrudens Todtenhemd
und Lanken heraus, sondern auch was man ihr selbst um und anthun sollte,
und befahl, wenn Gertrud begraben würde, nur daS Grab offen zu lassen,
mit Erde etwas zu bedecken und sie neben Gertrud zu setzen. So legte sie
sich wieder zu Bette, bis den andern Tag, nachdem Gertrud begraben war.
Da starb auch sie; sie war 'die größte und stärkste unter allen meinen Schwe¬
stern, eine treffliche, verständige, arbeitselige Haushälterin. Dies schrieb mir
meine Schwester Katharine zwei Tage vor ihrem Tode, und daß es mit ihr
selbst ebenso stünde, sie sei aus dem Wege, der Mutter und den Schwestern zu
folgen, und sie sehne sich darnach, und vermahnte mich, daß ich mich nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/16>, abgerufen am 25.08.2024.