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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Speculationssucht, welche von den Fondsbörsen mit diesem Namen beehrt wird,
sondern jener Thätigkeit, welche vom eignen Den/en und Schaffen, von einer
immer bessern Anwendung der zu Gebote stehenden Kräfte größere Resultate
zu erzielen weiß, als durch die bloße Routine. Ohne Unternehmungsgeist ist
wirthschaftlicher Stillstand, der aus die Dauer zum Rückschritt wird, indem das
den Fortschritt belebende Element fehlt. Auch der Unternehmungsgeist muß
in einem gewissen Gleichmaß alle Schichten durchziehen, vom Arbeiter, der nach
Kenntnissen strebt, um seine Stellung zu verbessern, oder dem Landmann, der
den Boden drainirt, um reichere Ernten zu ermöglichen, bis zum Millionär,
der die vortheilhaftesten Gelegenheiten nach Placirung seiner Gelder aufsucht.
Wo immer eine Classe der Bevölkerung es an Unternehmungsgeist fehlen läßt,
wird sie hinter den andern zurückbleiben und endlich verkommen, so der schlesische
und westphälische Leinenarbeiter, der sich nicht zu Herbeiziehung der Maschine
entschließen mag, so der zünftige Handwerker, der sich durch das Monopol
gesichert wähnt, u. f. w. Aber auch der Unternehmungsgeist lebt nicht vom
Heute, sondern vom Morgen, und er wird sich nur wenig rühren oder in
falsche Bahnen gelangen, sobald man ihm dieses nimmt.

Kann man nach diesen Betrachtungen noch daran zweifeln, worin der
Nachtheil eines Mangels an Vertrauen in die Zukunft liegt, oder noch richti¬
ger die Uebelstände eines Mißtrauens, das nicht den nächsten Tag zu garan-
tiren vermag? Capital und Unternehmungsgeist gerathen in Stocken und Ab¬
nahme; das Höchste, was sie noch vermögen, ist, daß sie sich auf solche Rich¬
tungen werfen, deren Resultate noch erreichbar scheinen und um so mehr dies
thun, je unmittelbarer sie zu fassen sind. Leben, sich kleiden, wohnen muß
der Mensch in guten und schlechten Zeiten; für diese Art von Bedürfnissen
wird daher unter allen Umständen gesorgt werden, aber wohlverstanden in jedem
einzelnen Zeitraum noch für den nächsten Moment und durchschnittlich nur mit
den vorhandenen, nicht mit erst neu zu schaffenven Kräften. Der Landmann
wird der ungewissen Zukunft wegen daS Säen und Ernten nicht aussetzen; er
wird aber nicht zu Capitalverwenbungen schreiten, deren Früchte erst in späterer
Zeit zu genießen sind. Ebensowenig wird der Fabrikant seine Fabrik schließen;
das wäre ein weit größerer Nachtheil, alö wenn er sortarbeitet, versteht sich
mit einer Borsicht, die sich nicht durch plötzliche Ereignisse überrasche" läßt,
also auch sicher mit der größten Enthaltsamkeit von weit aussehenden Unter¬
nehmungen. Was ist nun die weitere Folge davon? Alle Nerkehrskreise, die
mit jenen in Verbindung stehen, werden als mitleivend erscheinen, so die Be¬
völkerung im Allgemeinen, wenn die einzige Garantie der genügenden Ernäh¬
rung, das Streben nach reichern und immer reichern Ernten, fehlt, so der Ar¬
beiter- und Handelsstanv insbesondere, wenn die Industrie nicht über das
Nothwendige hinausgeht. Man wird um so mehr darunter leiden, da die Be-


Speculationssucht, welche von den Fondsbörsen mit diesem Namen beehrt wird,
sondern jener Thätigkeit, welche vom eignen Den/en und Schaffen, von einer
immer bessern Anwendung der zu Gebote stehenden Kräfte größere Resultate
zu erzielen weiß, als durch die bloße Routine. Ohne Unternehmungsgeist ist
wirthschaftlicher Stillstand, der aus die Dauer zum Rückschritt wird, indem das
den Fortschritt belebende Element fehlt. Auch der Unternehmungsgeist muß
in einem gewissen Gleichmaß alle Schichten durchziehen, vom Arbeiter, der nach
Kenntnissen strebt, um seine Stellung zu verbessern, oder dem Landmann, der
den Boden drainirt, um reichere Ernten zu ermöglichen, bis zum Millionär,
der die vortheilhaftesten Gelegenheiten nach Placirung seiner Gelder aufsucht.
Wo immer eine Classe der Bevölkerung es an Unternehmungsgeist fehlen läßt,
wird sie hinter den andern zurückbleiben und endlich verkommen, so der schlesische
und westphälische Leinenarbeiter, der sich nicht zu Herbeiziehung der Maschine
entschließen mag, so der zünftige Handwerker, der sich durch das Monopol
gesichert wähnt, u. f. w. Aber auch der Unternehmungsgeist lebt nicht vom
Heute, sondern vom Morgen, und er wird sich nur wenig rühren oder in
falsche Bahnen gelangen, sobald man ihm dieses nimmt.

Kann man nach diesen Betrachtungen noch daran zweifeln, worin der
Nachtheil eines Mangels an Vertrauen in die Zukunft liegt, oder noch richti¬
ger die Uebelstände eines Mißtrauens, das nicht den nächsten Tag zu garan-
tiren vermag? Capital und Unternehmungsgeist gerathen in Stocken und Ab¬
nahme; das Höchste, was sie noch vermögen, ist, daß sie sich auf solche Rich¬
tungen werfen, deren Resultate noch erreichbar scheinen und um so mehr dies
thun, je unmittelbarer sie zu fassen sind. Leben, sich kleiden, wohnen muß
der Mensch in guten und schlechten Zeiten; für diese Art von Bedürfnissen
wird daher unter allen Umständen gesorgt werden, aber wohlverstanden in jedem
einzelnen Zeitraum noch für den nächsten Moment und durchschnittlich nur mit
den vorhandenen, nicht mit erst neu zu schaffenven Kräften. Der Landmann
wird der ungewissen Zukunft wegen daS Säen und Ernten nicht aussetzen; er
wird aber nicht zu Capitalverwenbungen schreiten, deren Früchte erst in späterer
Zeit zu genießen sind. Ebensowenig wird der Fabrikant seine Fabrik schließen;
das wäre ein weit größerer Nachtheil, alö wenn er sortarbeitet, versteht sich
mit einer Borsicht, die sich nicht durch plötzliche Ereignisse überrasche» läßt,
also auch sicher mit der größten Enthaltsamkeit von weit aussehenden Unter¬
nehmungen. Was ist nun die weitere Folge davon? Alle Nerkehrskreise, die
mit jenen in Verbindung stehen, werden als mitleivend erscheinen, so die Be¬
völkerung im Allgemeinen, wenn die einzige Garantie der genügenden Ernäh¬
rung, das Streben nach reichern und immer reichern Ernten, fehlt, so der Ar¬
beiter- und Handelsstanv insbesondere, wenn die Industrie nicht über das
Nothwendige hinausgeht. Man wird um so mehr darunter leiden, da die Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/135>, abgerufen am 12.12.2024.