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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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wo er sich wohl fühlt. Er liebt die italienischen Sitten ebenso, als er die
französischen haßt, und man hat wenigstens zuweilen das Gefühl des Behagens.
Aber die Erzählung ist noch verwirrter, als in den frühern Versuchen. Im
Vordergrund steht Graf Mvsca, der Diplomat eines kleinen Hoff, der illie
großer Virtuosität, aber ohne eigentlichen Gegenstand, die Kunst eines Mac-
chiavell und Talleyrand ausübt. Er liebt ein schönes Weib, Gina; da er
aber selbst verheirathet ist, gibt er sie einem bequemen alten Herrn zur Frau.
Aber die Sache verwickelt sich, auch der Herzog macht der schönen Frau die
Cour, und sie selbst verliebt sich in den jungen Priester Fabrice, den italienischen
Geistesverwandten Juliens, einen Don Juan der lustigen Art. Es ist schwer,
die Begebenheiten zu entwirren. Fabrice hält sich zuerst an eine Seiltänzerin,
deren Liebhaber er tödtet, dann an eine gewisse Clelia. Nach dem Tod der¬
selben zieht er sich, der mittlerweile Erzbischof geworden ist, in die Karthause
von Parma zurück. Die bunten Ereignisse, die in diesem Roman vorkom¬
men, erregen kein dauerhaftes Interesse, weil die Fäden fortwährend abge¬
brochen werden. Das Ganze steht wie eine Maskerade aus, in der keiner
der Mitspieler sein wahres Gesicht zeigt. Bei Fabrice, der unbedingt seinem
Instinct folgt, ist die Paradorie Juliens zur Plattheit geworden, und 'Man
fühlt sich ganz und gar ins thierische Leben versetzt. Doch enthält der Roman
eine sehr anmuthige Episode, die Beschreibung der Schlacht von Waterloo
durch einen, der sie mitgemacht, ohne ihren Sinn und Zusammenhang zu be¬
greifen. Die Schilderung ist nicht blos sehr anziehend, sondern auch wahr;
indeß muß bemerkt werden, daß sich Beyle auf eine ältere Quelle stützt, wie
er denn überhaupt bei seiner im Ganzen geringen Erfindungsgabe im Ent¬
lehnen fremden Eigenthums ein Virtuos war.

Zu den besten seiner Schriften gehören die kleinen Novellen, die er in den
Jahren 1826 bis 1839 ältern italienischen Dichtern nachgebildet hat, z. B.
Vanina-Vsnini; l.s eoKrs et le rvvensnt; I^s pniltie; Vittoria ^ecoramkoni,
I.S8(!mei; I.g, cluenesss cle ?klliaria; I^bbssse als Lid8i,r<z. Er behauptet zwar,
die Localfarbe treu bewahrt zu haben, aber der voltairesche Geist, in dem die
Geschichten erklärt sind, gehört ihm doch eigen an. In diesen kleinen Bildern
macht sich sein Esprit vortheilhaft geltend, zu einer größern Erfindung reicht
sein Athem nicht aus.


I. S.


wo er sich wohl fühlt. Er liebt die italienischen Sitten ebenso, als er die
französischen haßt, und man hat wenigstens zuweilen das Gefühl des Behagens.
Aber die Erzählung ist noch verwirrter, als in den frühern Versuchen. Im
Vordergrund steht Graf Mvsca, der Diplomat eines kleinen Hoff, der illie
großer Virtuosität, aber ohne eigentlichen Gegenstand, die Kunst eines Mac-
chiavell und Talleyrand ausübt. Er liebt ein schönes Weib, Gina; da er
aber selbst verheirathet ist, gibt er sie einem bequemen alten Herrn zur Frau.
Aber die Sache verwickelt sich, auch der Herzog macht der schönen Frau die
Cour, und sie selbst verliebt sich in den jungen Priester Fabrice, den italienischen
Geistesverwandten Juliens, einen Don Juan der lustigen Art. Es ist schwer,
die Begebenheiten zu entwirren. Fabrice hält sich zuerst an eine Seiltänzerin,
deren Liebhaber er tödtet, dann an eine gewisse Clelia. Nach dem Tod der¬
selben zieht er sich, der mittlerweile Erzbischof geworden ist, in die Karthause
von Parma zurück. Die bunten Ereignisse, die in diesem Roman vorkom¬
men, erregen kein dauerhaftes Interesse, weil die Fäden fortwährend abge¬
brochen werden. Das Ganze steht wie eine Maskerade aus, in der keiner
der Mitspieler sein wahres Gesicht zeigt. Bei Fabrice, der unbedingt seinem
Instinct folgt, ist die Paradorie Juliens zur Plattheit geworden, und 'Man
fühlt sich ganz und gar ins thierische Leben versetzt. Doch enthält der Roman
eine sehr anmuthige Episode, die Beschreibung der Schlacht von Waterloo
durch einen, der sie mitgemacht, ohne ihren Sinn und Zusammenhang zu be¬
greifen. Die Schilderung ist nicht blos sehr anziehend, sondern auch wahr;
indeß muß bemerkt werden, daß sich Beyle auf eine ältere Quelle stützt, wie
er denn überhaupt bei seiner im Ganzen geringen Erfindungsgabe im Ent¬
lehnen fremden Eigenthums ein Virtuos war.

Zu den besten seiner Schriften gehören die kleinen Novellen, die er in den
Jahren 1826 bis 1839 ältern italienischen Dichtern nachgebildet hat, z. B.
Vanina-Vsnini; l.s eoKrs et le rvvensnt; I^s pniltie; Vittoria ^ecoramkoni,
I.S8(!mei; I.g, cluenesss cle ?klliaria; I^bbssse als Lid8i,r<z. Er behauptet zwar,
die Localfarbe treu bewahrt zu haben, aber der voltairesche Geist, in dem die
Geschichten erklärt sind, gehört ihm doch eigen an. In diesen kleinen Bildern
macht sich sein Esprit vortheilhaft geltend, zu einer größern Erfindung reicht
sein Athem nicht aus.


I. S.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/120>, abgerufen am 22.07.2024.