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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Disconto oder für Hypotheken nöthig haben, erst dann werden sie Gegenstand
eines lebhaften Börsenhandels. Solche Papiere dagegen, deren Chancen über¬
haupt unbekannt oder unbestimmt sind, wie namentlich die Actien oder die
JnterimSscheine eines neuen Unternehmens, werden mit dem größten Eifer
von den Börsenspekulanten aufgegriffen. Man kann ganz dreist behaupten
und wir haben das zum Theil schon früher nachgewiesen, daß eine ganze
Reihe von Actienunternehmungen in neuester Zeit allein diesem Drange der
Börsen nach neuen Papieren ihre Existenz verdanken. Nicht weil das Unter¬
nehmen besonders gute Erfolge versprach, sondern weil möglichst viele von dem
ersten Steigen der Course profttiren wollten, drängte sich die Masse zu Actien-
zeichnungen und beförderte dadurch selbst dies Steigen. Wer nicht selbst Ac¬
tien zu erHaschen vermochte, der kaufte sie den Actienzeichnern zum höhern
Course ab und so fort und fort, bis man endlich anfing sich umzusehen, oder
richtiger, bis die klugen Leute ihre Coursgewinne eingestrichen hatten, und
den spätern Inhabern blos die Aussicht auf Nachzahlungen und problematische
Dividenden blieb.

Also der Fondshandel sieht durchaus nicht danach, ob ein Papier "gut"
oder "schlecht" sei; es kommt ihm vielmehr nur darauf an, daß es zu Spe-
culationen Raum biete, und darum wird die leiseste Bewegung auf die
Speculation zu sofort von ihm wahrgenommen werden. An Motiven dazu
kann eS ihm nie fehlen. Eine Regierung veröffentlicht die Bilanz deS ver¬
flossenen Finanzjahres; es ergibt sich dabei ein Ausfall von einer halben
Million gegen das frühere Jahr, eine reine Zufälligkeit und ein ganz unbe¬
deutender Betrag im Verhältnisse zur gesammten Einnahme; dennoch -- die
Staatspapiere fallen um Pret. Gleichwol wird kein vernünftiger Mensch
daran denken, daß dieser Ausfall die Zahlfähigkeit jenes Staates um Vs Pret.
gemindert habe, was doch eigentlich nur der Sinn des CourSrückgangs zu
sein scheint. Oder der Staat hat zu einem vorübergehenden Zweck eine Anleihe
nöthig, ein Minimalbetrag gegenüber der schon vorhandenen Staatsschuld;
die Fondsbörse begrüßt die Nachricht davon gleichfalls mit einem CourSweichen.
Will sie damit sagen, daß der Staat weniger solvent geworden ist? Sie denkt
nicht daran. Oder baß ihr Geschäft beeinträchtigt werde? Umgekehrt, die Zahl
der Börsenpapiere vermehrt sich. In ganz derselben Weise kann eS sehr ver¬
schiedenartige Ereignisse geben, welche in ähnlicher und wie man meinen
müßte, in ebenso unverständiger Weise dazu benutzt werden, um auf die Course
zu influiren.

Geht man freilich der Sache näher auf den Grund, so findet sich manche
auffallende Erscheinung an den Fondsbörsen durch deren Betrieb erklärt. Der
Fondshandel ist meistentheils Lieferungsgeschäft, mag eS in Gestalt von
Prämien oder Reports oder sonstwie auftreten. Prämie nennt man diejenige


Disconto oder für Hypotheken nöthig haben, erst dann werden sie Gegenstand
eines lebhaften Börsenhandels. Solche Papiere dagegen, deren Chancen über¬
haupt unbekannt oder unbestimmt sind, wie namentlich die Actien oder die
JnterimSscheine eines neuen Unternehmens, werden mit dem größten Eifer
von den Börsenspekulanten aufgegriffen. Man kann ganz dreist behaupten
und wir haben das zum Theil schon früher nachgewiesen, daß eine ganze
Reihe von Actienunternehmungen in neuester Zeit allein diesem Drange der
Börsen nach neuen Papieren ihre Existenz verdanken. Nicht weil das Unter¬
nehmen besonders gute Erfolge versprach, sondern weil möglichst viele von dem
ersten Steigen der Course profttiren wollten, drängte sich die Masse zu Actien-
zeichnungen und beförderte dadurch selbst dies Steigen. Wer nicht selbst Ac¬
tien zu erHaschen vermochte, der kaufte sie den Actienzeichnern zum höhern
Course ab und so fort und fort, bis man endlich anfing sich umzusehen, oder
richtiger, bis die klugen Leute ihre Coursgewinne eingestrichen hatten, und
den spätern Inhabern blos die Aussicht auf Nachzahlungen und problematische
Dividenden blieb.

Also der Fondshandel sieht durchaus nicht danach, ob ein Papier „gut"
oder „schlecht" sei; es kommt ihm vielmehr nur darauf an, daß es zu Spe-
culationen Raum biete, und darum wird die leiseste Bewegung auf die
Speculation zu sofort von ihm wahrgenommen werden. An Motiven dazu
kann eS ihm nie fehlen. Eine Regierung veröffentlicht die Bilanz deS ver¬
flossenen Finanzjahres; es ergibt sich dabei ein Ausfall von einer halben
Million gegen das frühere Jahr, eine reine Zufälligkeit und ein ganz unbe¬
deutender Betrag im Verhältnisse zur gesammten Einnahme; dennoch — die
Staatspapiere fallen um Pret. Gleichwol wird kein vernünftiger Mensch
daran denken, daß dieser Ausfall die Zahlfähigkeit jenes Staates um Vs Pret.
gemindert habe, was doch eigentlich nur der Sinn des CourSrückgangs zu
sein scheint. Oder der Staat hat zu einem vorübergehenden Zweck eine Anleihe
nöthig, ein Minimalbetrag gegenüber der schon vorhandenen Staatsschuld;
die Fondsbörse begrüßt die Nachricht davon gleichfalls mit einem CourSweichen.
Will sie damit sagen, daß der Staat weniger solvent geworden ist? Sie denkt
nicht daran. Oder baß ihr Geschäft beeinträchtigt werde? Umgekehrt, die Zahl
der Börsenpapiere vermehrt sich. In ganz derselben Weise kann eS sehr ver¬
schiedenartige Ereignisse geben, welche in ähnlicher und wie man meinen
müßte, in ebenso unverständiger Weise dazu benutzt werden, um auf die Course
zu influiren.

Geht man freilich der Sache näher auf den Grund, so findet sich manche
auffallende Erscheinung an den Fondsbörsen durch deren Betrieb erklärt. Der
Fondshandel ist meistentheils Lieferungsgeschäft, mag eS in Gestalt von
Prämien oder Reports oder sonstwie auftreten. Prämie nennt man diejenige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/100>, abgerufen am 22.07.2024.